Fünf Jahre türkische Angriffe auf Şengal
Nach der Befreiung von Şengal im Jahr 2017 begann die Türkei, die bereits den IS massiv unterstützt hatte, selbst die Region anzugreifen. Seitdem reißen die Attacken nicht ab.
Nach der Befreiung von Şengal im Jahr 2017 begann die Türkei, die bereits den IS massiv unterstützt hatte, selbst die Region anzugreifen. Seitdem reißen die Attacken nicht ab.
2014 fiel unter den Augen der Welt der IS in die Şengal-Region im Nordirak ein und verübte einen Genozid an der ezidischen Bevölkerung. Nur durch den Widerstand eines Dutzends Guerillakämpfer:innen konnte das Schlimmste verhindert und Hunderttausenden das Leben gerettet werden. Die mit der Türkei kollaborierende PDK hatte die Region über Nacht fluchtartig verlassen und die Bevölkerung dem von der Türkei massiv unterstützten IS überlassen. Es folgten Jahre des Freiheitskampfes durch die HPG, YJA Star, YPG, YPJ und den neu aufgebauten ezidischen Widerstandseinheiten YBŞ/YJŞ. 2017 wurde Şengal befreit und die HPG und YPG/YPJ zogen sich anschließend zurück. Mit der Befreiung der Region war jedoch der Albtraum nicht zu Ende, denn jetzt griffen PDK und der türkische Staat Şengal immer wieder direkt an. Seitdem gab es Dutzende Angriffe, die insbesondere in den letzten Wochen und Monaten zugenommen haben. Bei den Angriffen wurde zivile und militärische Führungspersönlichkeiten der ezidischen Bevölkerung wie auch Zivilist:innen zum Ziel tödlicher Attacken.
Angriff von kurdischen Kollaborateuren nach Befreiung
Eine unvollständige Chronologie der Angriffe zeigt das Ausmaß der Aggression. Bereits am 3. März 2017 setzte die PDK vom türkischen Geheimdienst MIT trainierte sogenannte Roj-Peschmerga, ausgestattet mit Ausrüstung der Bundeswehr, gegen Şengal ein. Bei Angriffen in Xanêsor wurden Nazê Nayif, ein Mitglied der ezidischen Frauenbewegung (TAJÊ), und sieben Kämpfer:innen der Widerstandseinheiten Şengal (YBŞ) und der HPG getötet. Darüber hinaus wurde die Journalistin Nûjiyan Erhan, die große Verdienste bei der Berichterstattung über den Şengal-Genozid hatte, schwer verletzt und verstarb am 22. März.
Erster türkischer Luftangriff im April 2017 gilt den Medien
Wenig später folgte der erste türkische Luftangriff auf das etwa 170 Kilometer von der Türkei entfernt liegende Şengal-Massiv am 25. April 2017. Am selben Tag griff die türkische Armee das Hauptquartier des Generalkommandos der YPG auf dem Berg Qereçox in Rojava an und tötete 20 Kämpfer:innen der YPG und YPJ. Bei einem Angriff auf Şengal wurden ein Zivilist getötet und ein YBŞ-Kämpfer verletzt. Außerdem stürzte das Gebäude des Radiosenders Çira vollständig ein und der Park der Stadt wurde durch die Angriffe schwer beschädigt.
Gezielte Angriffe auf ezidische Führungspersönlichkeit
Bei seinem zweiten Angriff am 15. August 2018 zielte der türkische Staat auf Mam Zeki Şengalî. Eine türkische Drohne hatte das Fahrzeug, in der das Mitglied der ezidischen Koordination von Şengal saß, attackiert, als Şengalî auf dem Rückweg von einer Gedenkveranstaltung aus dem Dorf Koço war. Das Dorf war am 15. August 2014 fast vollständig von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ausgelöscht worden. Mam Zekî kam bei dem Angriff sofort ums Leben, während der YBŞ-Kämpfer Mahir Serhed zwei Wochen später seinen Verletzungen erlag.
Weitere Drohnenanschläge folgen
Ende 2019 folgte eine Serie weiterer Drohnenangriffe. Im November griffen türkische Drohnen Xanêsor an und töteten sechs YBŞ-Kämpfer. Am 13. Dezember wurden drei Arbeiter aus Kobanê getötet. Sie waren zur Unterstützung beim Brunnenbau nach Şengal gekommen. Am 15. Januar 2020 wurden der hochrangige YBŞ-Kommandant Zerdeşt Şengalî und die Kämpfer Pîr Hemîd, Êzdîn Şengalî und Cîlo Şengalî bei einem türkischen Luftangriff auf das Dorf Digur getötet.
Angriff auf Krankenhaus und Flüchtlingslager
Am 15. Juni 2020 folgten Angriffe auf ein Krankenhaus im Dorf Serdeşt und verschiedene andere Orte in der Şengal-Region. Die Krankenstation wurde vollständig zerstört. Am 30. Juni folgte ein Angriff auf ein Zivilfahrzeug in der direkten Umgebung des Serdeşt-Camps, in dem Genozidüberlebende untergebracht waren. Dabei gab es glücklicherweise nur Sachschaden.
Zwischen dem 23. und 25. August 2020 erfolgten erneute Angriffe auf Şengal, gleichzeitig zu einer Angriffswelle auf die Medya-Verteidigungsgebiete. Die Angriffe wurden am 26. August fortgesetzt. Im Dorf Behrava bei Xanêsor wurde ein Auto von türkischen Drohnen getroffen, wobei zwei Menschen getötet wurden. Bei einem Angriff auf das Dorf Barê gab es keine Verletzten.
Am 9. November desselben Jahres wurde Barê erneut von Drohnen angegriffen. Bei den Angriffen kamen ein YBŞ-Kämpfer und ein Zivilist ums Leben, zwei weitere Personen wurden verletzt.
Ermordung von Seîd Hesen
Am 16. August 2021 griff die türkische Luftwaffe das Fahrzeug des YBŞ-Kommandanten Seîd Hesen mitten auf dem Markplatz in der Innenstadt von Şengal-Stadt (Sindschar) an. Seîd Hesen und sein Neffe, der YBŞ-Kämpfer Îsa Xwedêda, wurden getötet, drei weitere Personen wurden verletzt.
Angriff auf das Krankenhaus von Sikêniyê
Während noch um Seid Hesen und Îsa Xwedêda getrauert wurde, griff die türkische Luftwaffe am 17. August die Klinik von Sikêniyê an. Bei dem Angriff auf das Krankenhaus gab es acht Tote und vier Verwundete. Bei vier der Gefallenen handelte es sich um YBŞ-Kämpfer, die medizinisch behandelt wurden. Drei weitere gehören zum Gesundheitspersonal, unter ihnen eine Ärztin.
Ermordung des Ko-Vorsitzenden des Volksrats
Am 7. Dezember 2021 griffen türkische Drohnen das Fahrzeug des Ko-Vorsitzenden des Exekutivausschusses im Volksrat von Şengal, Merwan Bedel, an. Bei dem Angriff starb Bedel, zwei seiner Kinder wurden verletzt. Vier Tage später griffen Drohnen das Gebäude des Volksrats in Xanêsor an und verursachten Sachschaden.
2022 gingen die Angriffe weiter
Im Januar 2022 folgten die nächsten Attacken. Am 21. Januar 2022 wurden der YBŞ-Kommandant Azad Êzdîn und der Kämpfer Enver Tolhildan getötet, ein weiterer Kämpfer wurde verletzt. Türkische Bomber griffen am 1. Februar fünf Stunden lang strategische Positionen in Şengal an. Dabei gab es keine Verluste.
Zwölfjähriger getötet
Am 15. Juni wurde der zwölfjährige Salih Xidir Naso bei einem Angriff auf das Gebäude des Volksrats von Sinunê getötet. Acht weitere Zivilist:innen wurden verletzt.
Irakische Truppen beteiligten sich an Angriffen
Parallel zu den Invasionsangriffen des türkischen Staates in den Medya-Verteidigungsgebieten im April versuchten auch mit der irakischen Regierung verbundene Truppen, in Şengal einzudringen. Am 2. Mai begannen die irakischen Milizen, das Hauptquartier der Asayîşa Êzidxanê und das Dorf Digur in Sinunê anzugreifen. Die Asayîşa Êzidxanê und die YBŞ und YJŞ wehrten diese Angriffe jedoch ab. Während der Angriffe sind der YBŞ-Kämpfer Şervan Êzîdxan und die YJŞ-Kämpferin Feraşin Şengalî gefallen.
Damoklesschwert schwebt über Şengal
Türkische Drohnen kreisen permanent im Luftraum über Şengal und versuchen so, Angst und Schrecken zu verbreiten. Nach dem 24. August 2022 folgte eine neue Serie von Attacken. Am 29. August wurde ein Fahrzeug, besetzt mit zwei Kämpfern der YBŞ, zwischen Xanêsor und Barê attackiert. Dabei wurden die beiden Kämpfer verwundet. Am 11. September wurde ebenfalls ein Fahrzeug der YBŞ in Behrava bei Xanêsor von einer Drohne attackiert. Es liegen keine Angaben über Verluste vor.
Am 23. September wurde die Stadt Til Ezer ebenfalls ohne bekannte Verluste attackiert. Am 6. Oktober folgte ein Angriff auf das Serdeşt-Camp. Auch hier wurden bisher keine Meldungen über menschliche Verluste oder Sachschäden gemacht.
Am 28. Oktober wurde auf ein Fahrzeug, das auf der Autobahn 47 in Höhe des südwestlich von Şengal-Stadt gelegenen Dorfes Cidalê (Jaddala) fuhr, ein Drohnenangriff verübt. In unmittelbarer Nähe des Angriffsortes befindet sich ein Kontrollpunkt der irakischen Armee. Auch hier ist weiter unklar, ob Menschen verletzt worden sind.
Heilige Stätten bombardiert
Am 1. November wurde die Pilgerstätte Qubeya Hesin Meman im Zentrum von Şengal von einer Drohne angegriffen, Angaben aus der Region zufolge kam es dabei zu großem Sachschaden.
Zivilist bei Drohnenangriff getötet
Bei einem türkischen Kampfdrohnenangriff am 3. November auf ein Fahrzeug in Region Şengal wurde der Zivilist Mehsin Şemo, Überlebender des IS-Genozids von 2014, getötet. Zwei namentlich bislang nicht bekannte Beifahrer:innen des Mannes, darunter eine Frau, wurden verletzt und in ein Krankenhaus in Şengal gebracht.