Insiderberichte aus der Kontramiliz „Roj-Peschmerga“

Bei den „Roj-Peschmerga“ handelt es sich um eine von der Türkei mit Hilfe der PDK aufgebaute Gruppe mit dem Ziel, die Revolution von Rojava zu zerschlagen. Die Gruppe gilt als bewaffneter Arm des Kurdischen Nationalrats (ENKS).

Unter dem Zeichen einer „kurdischen Miliz“ sollten die Roj-Peschmerga bei der Bekämpfung der Revolution von Rojava über mehr Legitimität verfügen als die türkische Armee und ihre dschihadistischen Proxys. Nicht nur Quellen aus der Region, auch die deutsche Bundesregierung hatte mehrfach erklärt, dass die „Rojava-Peschmerga“ von der Türkei ausgebildet wurden. Die Miliz wurde direkt den PDK-Loyalisten der Zêrevanî-Peschmerga der PDK unterstellt. Diese Gruppe verfügt über engste Beziehungen zum türkischen Geheimdienst MIT. In Propagandavideos der Roj-Peschmerga ist zu sehen, wie sie Briefings von der türkischen Armee erhalten. Es existieren auch Aufnahmen des damaligen türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu, wie er die Roj-Peschmerga besuchte. Der Verband besteht aus drei Brigaden, die vom MIT und dem türkischen Militär ausgebildet werden. Obwohl keine genauen Zahlen existieren, wird ihre Stärke auf etwa 4.000 geschätzt.

Vorbereitungen zum Aufbau dieser konterrevolutionären bewaffneten Kraft gehörten von Beginn der Revolution von Rojava an zur Strategie der Türkei und der mit ihr kollaborierenden PDK. Bereits 2012 wurden die Roj-Peschmerga gegründet. Die Rekrutierungsbemühungen liefen damals über Bestechung und Erpressung von Schutzsuchenden in Südkurdistan und der Behauptung, die Miliz würde aufgebaut, um Rojava zu verteidigen. ANF-Recherchen zu dieser Zeit im Camp Kawergosk und Domîz belegten, dass Schutzsuchende zum Beispiel erst Passierscheine erhielten, wenn sie sich zur Unterstützung des ENKS oder der Roj-Peschmerga verpflichteten.

 

Rekruten immer wieder geflohen

So konnten die Roj-Peschmerga ein erstes Kontingent von etwa 6.000 Personen aufbauen. Dieses Kontingent löste sich aber schnell wieder auf, da die Rekruten systematische Diskriminierung und Misshandlung beklagten. Von ähnlichen Konjunkturen berichtet Mihemed Mircan gegenüber der Nachrichtenagentur ANHA. Mircan verließ Rojava im Jahr 2011 aufgrund der Repression durch das Regime und ging nach Südkurdistan. Bei den Roj-Peschmerga hielt er sich zwischen 2015 und 2018 auf. Er war wie viele andere auch auf den Slogan hereingefallen, die Gruppe würde Rojava verteidigen. Kurz nach seinem Beitritt realisierte Mircan seinen Fehler. Er wurde von MIT-Agenten ausgebildet und bemerkte, dass sich in den eigenen Reihen Spitzel befanden.

„Wir wurden von türkischen Soldaten ausgebildet. Auch der Lohn der Mitglieder der Gruppe wurde vom türkischen Staat bezahlt. Als ich sah, dass die Roj-Peschmerga von der türkischen Armee ausgebildet wurden, sanken sie von Tag zu Tag in meinem Ansehen. Ich wollte nach Hause zurückkehren. Als die Wirklichkeit deutlich wurde, nahm die Zahl der Roj-Peschmerga rapide ab“, erinnert sich Mircan.

Auch von Diskriminierung kann er erzählen: „Als Roj-Peschmerga, die aus Menschen aus Rojava bestehen, erfuhren wir eine andere Behandlung als die Peschmerga der PDK. Wir waren immer die ‚anderen’ und uns wurde massiv misstraut. Wir wurden betrogen und belogen. Denn während die Türkei gegen unser Volk in Rojava kämpfte, bildete sie uns in der Gemeinde Hiniz zwischen Hewlêr und Dihok aus.“

Rückweg blockiert

Mircan weist darauf hin, dass die Mehrheit der Gruppe nach Rojava zurückkehren wollte. Allerdings wurden die Namen dieser Personen über den PDK-Geheimdienst und den MIT an die Grenzposten weitergegeben. Viele Roj-Peschmerga seien bei dem Versuch, nach Rojava zurückzukehren, festgenommen und anschließend ins Gefängnis geworfen worden.

Domîz – Flüchtlingslager als Rekrutierungsbasis

Dennoch setzten die PDK und die Türkei ihre Bemühungen um den Aufbau einer solchen Kontramiliz fort. Gestützt auf die ökonomische Not der Geflüchteten und die Propaganda, eine Truppe zur Verteidigung von Rojava aufzubauen, sind neue Rekruten vor allem aus dem Flüchtlingslager Domîz den Roj-Peschmerga zugeführt worden. Mircan berichtet: „Das Flüchtlingslager wurde wie ein Peschmerga-Camp genutzt. Für die Rekrutierung war vor allem der ENKS zuständig. Die ENKS-Büros im Lager dienten zur Einschreibung. Sie haben die Armut der jungen Flüchtlinge ausgenutzt. Die Mehrheit der Roj-Peschmerga lebte ohnehin in diesem Lager.“

 

Verbindungen zum ENKS und zur Bundesregierung

Der von der Bundesregierung unterstützte ENKS wies selbst Medien gegenüber immer wieder die Roj-Peschmerga als seinen bewaffneten Arm aus. Mustafa Cuma von ENKS erklärte bei einem Besuch in Europa, die Roj-Peschmerga verfügten über tausende Kämpfer. Immer wieder versuchte der ENKS in den Abkommen von Hewlêr und Dihok durchzusetzen, dass die „Roj-Pesch“ in Rojava stationiert werden sollen. Mit der Falschbehauptung, die YPG/YPJ seien die Parteimiliz der PYD, argumentierte er, dass er ebenfalls seine Parteimiliz in der Region haben wollte.

Besuche des Türkei-Proxys ENKS im Kanzleramt

Die Bundesregierung unterstützt den ENKS bzw. seine Vorfeldorganisation in Europa, das Europäische Zentrum für Kurdische Studien (EZKS), mit hohen Geldbeträgen. Das haben Kleine Anfragen der Linksfraktion ergeben. Geführt wird das EZKS von Siamend Hajo und Eva Savelsberg, die bekannt für ihre Nähe zum türkischen Staat und Stiftungen der türkischen Regierung und des Geheimdienstes wie SETA sind. Hajo selbst ist ebenfalls Vertreter im ENKS und gehört dort zur besonders türkeinahen Hardlinerfraktion. Er wurde immer wieder in Beratungsgesprächen im Kanzleramt vorstellig und betreibt dort Lobbyarbeit im Namen von PDK, ENKS und Ankara. Hajo vertrat zeitweise den ENKS auch in der von der Türkei und den Muslimbrüdern kontrollierten Nationalen Koalition in Istanbul (ETILAF) und stellte damit eine wichtige Scharnierfunktion dar.

Deutsche Waffen für Roj-Peschmerga

Nicht nur deutsches Geld fließt an den ENKS, sondern offensichtlich auch deutsche Waffen an die Roj-Peschmerga. Während die „Roj-Pesch“ bei dschihadistischen Angriffen des IS, von al-Nusra und anderer von der Türkei unterstützter bewaffneter Gruppen keinen Finger rührten, griffen sie im März 2017 in der nordirakischen Şengal-Region bei Gefechten ezidische Kurd*innen und ihre Verteidigungskräfte an. Die Roj-Peschmerga operierten dabei gemeinsam mit Peschmerga der PDK im Auftrag der Türkei. Bei dem Angriff wurden mindestens fünf Kämpfer*innen der Widerstandseinheiten Şengals (YBŞ) getötet. Darüber hinaus wurden zwei Mitglieder der Volksverteidigungskräfte HPG getötet, als sie sich ohne jegliche Drohhaltung vor einen gepanzerten Wagen vom Typ Dingo stellten, um den Militärkonvoi zu blockieren. Der Dingo gehört zu den neueren Panzerfahrzeugen der Bundeswehr, die im Rahmen des Anti-IS-Einsatzes an die südkurdische Regierung und damit an die PDK geliefert wurden.

Von türkischen Soldaten ausgebildet

Der 1996 in Qamişlo geborene Salar Mihemed Ismail ist ehemaliger Roj-Peschmerga. Er kämpft mittlerweile allerdings in den Reihen der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD). Salar stammt aus einer PDK-nahen Familie und ging 2016 nach Südkurdistan, um sich den Peschmerga anzuschließen. Er sagt, ihm sei nicht klar gewesen, worauf er sich eingelassen habe. Er habe die Reise auf Wunsch seines Vaters unternommen. In dem Glauben, er werde eines Tages nach Qamişlo zurückkehren und Rojava gegen Angriffe verteidigen, schloss er sich den Roj-Peschmerga an. Zunächst nahm Ismail an einer 45-tägigen Ausbildung unter Anleitung von vier verschiedenen türkischen Geheimdienstmitarbeitern teil. Als er die Kommandanten der PDK-Peschmerga darauf ansprach, erklärten sie ihm, es handele um ihre „Verbündeten“. In Konfrontation mit seinen Kommandanten geriet Salar beim Angriff auf Efrîn im Januar 2018. Er beantragte nach Efrîn zu gehen, um Rojava zu verteidigen. Sein Antrag wurde, wie der vieler anderer auch, abgelehnt. Wer gegen dieses Verbot protestierte, wurde bestraft. Der ENKS und damit höchstwahrscheinlich auch Teile der Roj-Peschmerga nahmen auf der Seite der Aggressoren, also auf Seiten der Türkei, an der Invasion teil und nahmen in der Hoffnung, ihre Position dort ausbauen zu können, ein Massaker in Kauf.  

ENKS-Führung an der Leine des MIT

Salar bestätigt, dass Ibrahim Biro und Abdulhakim Başar, die einflussreichsten ENKS-Vertreter, in direkter Verbindung mit dem MIT stehen. Er erzählt: „Als ich sah, dass sie unsere Bitte, nach Efrîn zu gehen, ablehnten und das Massaker des türkischen Staates an der Bevölkerung von Efrîn kaltblütig beobachteten, erkannte ich das wahre Gesicht dieser Struktur in aller Deutlichkeit.“ Salar spricht von großer Frustration in den Kreisen der Roj-Peschmerga. Die meisten von ihnen würden nach Rojava zurückkehren wollen, dürften es aber nicht, da es die PDK nicht erlaube.

„Roj-Peschmerga nach Gare und in die Türkei entsandt“

Salar berichtet weiter, dass auch eine Gruppe von Roj-Peschmerga nach Gare in die Medya-Verteidigungsgebiete geschickt worden sei, um dort auf Befehl des türkischen Militärs gegen die Guerilla zu kämpfen. Dieses Vorgehen bezeichnet Salar als „schändlich“, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die übrigen kurdischen Kräfte zusammen mit der Generalkommandantur der QSD am Aufbau einer politischen Einheit arbeiteten. Er sieht in dem Befehl, die Roj-Peschmerga gegen die Guerilla einzusetzen, eine Reaktion der Türkei auf die Einheitsbestrebungen.

Propaganda als Kriegsmittel

Salar spricht von massiver Hetzpropaganda der PDK und der Roj-Peschmerga-Führung gegen die QSD und die Selbstverwaltung. Dabei gehe es vor allem darum, junge Menschen davon abzuhalten, nach Rojava zurückzukehren. Salar erzählt: „Aber als ich 2018 nach Rojava zurückkehrte, habe ich gesehen, dass es sich hier genau gegenteilig zu dem verhält, was sie uns erzählen wollten. Jetzt verteidige ich als Kämpfer der QSD mein Land. Ich rufe meine Freunde bei den Roj-Peschmerga auf, in ihr Land zurückzukehren und sich den QSD anzuschließen.“

MIT benutzt Roj-Peschmerga zu Informationsgewinnung

Ehmed Ehmed ging im Jahr 2013 nach Südkurdistan, um sich den PDK-Peschmerga anzuschließen. 2016 kam er zu den Roj-Peschmerga. Er berichtet, dass die türkischen Soldaten und MIT-Agenten von ihnen Informationen gesammelt hätten: „Sie haben unsere Email-Adressen, Telefonnummern, Passwörter für Online-Netzwerke, persönliche Daten und die Namen unserer Verwandten bei den YPG und YPJ in Rojava erfragt. Die türkischen Soldaten waren besonders nah mit den Türkisch sprechenden Mitgliedern der Roj-Peschmerga zusammen. Sie zogen sie auf ihre Seite, um noch mehr Informationen sammeln zu können.“

„Sie haben uns und unser Volk verraten“

Jihat Şemseddin Haji, ein weiterer ehemaliger Roj-Peschmerga, berichtet ebenfalls von seinen Erfahrungen. Er war 2012 nach Südkurdistan gegangen und hatte sich 2015 den Roj-Peschmerga angeschlossen. Er sagt: „Sie haben uns belogen. Sie sagten uns, dass wir gegen den IS und das syrische Regime Kämpfen würden, um den Kampf des kurdischen Volkes und Rojava zu schützen. Aber sie haben uns und unser Volk verraten. Denn der ENKS, der selbst zugibt, mit dieser Struktur verbunden zu sein, geht Hand in Hand mit der Türkei.

„Der ENKS hat ein Abkommen mit der Türkei gegen Rojava geschlossen“

Jihad bestätigt ebenfalls, dass die Roj-Peschmerga aufgrund eines Befehls des türkischen Staates von der PDK und dem ENKS in die Guerillagebiete geschickt wurden. Er sagt, die Kollaboration des ENKS und der PDK mit der Türkei bei der Efrîn-Invasion habe ihm die Augen geöffnet. Er führt weiter aus: „Sie haben gesagt, dass es unsere Aufgabe sei, die Kurden in Syrien zu schützen. Aber der ENKS hat stattdessen gegen unser Volk ein Abkommen mit der Türkei geschlossen. Sie haben uns gesagt, wir würden auch Efrîn verteidigen. Aber diejenigen, die nach Efrîn und Rojava gehen wollten, wurden bestraft.“ Er führt weiter aus, die Roj-Peschmerga seien gegründet worden, um entsprechend der türkischen Agenda die YPG und YPJ sowie später die QSD zu bekämpfen.

„Die Geschichte wird über die Verräter richten“

Zu der Verlegung von Roj-Peschmerga in die Medya-Verteidigungsgebiete sagt Haji: „Es ist unverzeihlich, in die Berge Kurdistans zu gehen, um gegen die Guerilla zu kämpfen. Die Geschichte wird diesen Verrat am kurdischen Volk durch die Roj-Peschmerga und die PDK nicht vergessen und über sie richten.“ Haci kämpft mittlerweile in den Reihen der QSD, er spricht von der Bedeutung der kurdischen Einheit: „Die QSD sind das Heer von Syriens Zukunft.“