Kritische Phase im Friedens- und Demokratisierungsprozess

Im Dialogprozess deutet sich eine kritische Phase an: Während im Parlament die Bildung einer Kommission zur Lösung der kurdischen Frage vorbereitet wird, wird ein neuer Aufruf von Abdullah Öcalan und eine symbolische Waffenniederlegung erwartet.

Aufruf Öcalans an die Guerilla und Waffenniederlegung erwartet

Der „Prozess für Frieden und eine demokratische Gesellschaft“ in der Türkei steht vor einer entscheidenden Woche. Nach dem historischen Aufruf von Abdullah Öcalan zur Beendigung des bewaffneten Kampfes im Februar und dem anschließenden Beschluss der PKK zur Selbstauflösung könnte nun ein symbolträchtiger Schritt folgen: Ein Teil der Guerillakräfte soll Medienberichten zufolge in einem öffentlichen Akt die Waffen niederlegen. Zeitgleich bereitet das türkische Parlament die Gründung einer überparteilichen Kommission zur Lösung der kurdischen Frage vor.

Nach Informationen aus politischen Kreisen wird noch in dieser Woche mit konkreten Ergebnissen der laufenden Gespräche im Parlament gerechnet. Unter Vorsitz von Parlamentspräsident Numan Kurtulmuş fanden zuletzt Sondierungen mit allen Fraktionen statt. Die Parteien sollen nun schriftlich ihre Positionen zur geplanten Kommission vorlegen, die sich mit der Demokratisierung der Türkei und der Lösung der kurdischen Frage befassen soll. Der Ausschuss könnte noch vor der Sommerpause seine Arbeit aufnehmen.

Öcalan plant neue Initiative

Parallel zur parlamentarischen Dynamik wird erwartet, dass Abdullah Öcalan, der seit 1999 auf der Gefängnisinsel Imrali inhaftiert ist, in Kürze einen neuen Aufruf an die Guerillakräfte der PKK richtet. Offenbar wird eine Gruppe, darunter auch führende Mitglieder der kurdischen Bewegung, in der Kurdistan-Region des Irak im Rahmen einer Zeremonie offiziell die Waffen niederlegen. Die Veranstaltung soll unter internationaler Beobachtung und medienwirksam stattfinden.

Im Mittelpunkt der Zeremonie, zu der auch zivilgesellschaftliche Organisationen, Parteien und Medien aus der Türkei und dem südlichen Kurdistan eingeladen werden, steht die Botschaft: Die kurdische Bewegung ist bereit, unter entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen am demokratischen Prozess teilzunehmen.

Bedeutung eines möglichen Treffens zwischen Erdoğan und Imrali-Delegation

Als weiterer Wendepunkt gilt ein möglicher Dialog zwischen einer Delegation der DEM-Partei und Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Beobachtende werten ein solches Treffen als Indikator für die Ernsthaftigkeit der Regierung in Bezug auf eine politische Lösung.

Von der Friedensinitiative zum politischen Test

Der jüngste Vorstoß geht auf Öcalans Erklärung vom 27. Februar zurück. Darin hatte er nicht nur das Ende des bewaffneten Kampfes, sondern auch die Auflösung der PKK in ihrer bisherigen Form gefordert. Die 1978 gegründete Partei folgte dem Aufruf auf ihrem 12. Kongress Anfang Mai. Doch statt auf konkrete Reformschritte der Regierung zu treffen, blieb es bei vagen Ankündigungen.

Nun stellt Öcalans bevorstehender neuer Appell einen Wendepunkt dar. Sollte es tatsächlich zu einem organisierten, öffentlichen Akt des Waffenverzichts kommen, wäre dies nicht nur ein Signal an die türkische Öffentlichkeit, sondern auch an die internationale Staatengemeinschaft.

DEM-Partei fordert gesellschaftliche Verankerung des Prozesses

Die DEM-Partei betonte in einer Stellungnahme, dass die geplante Parlamentskommission mit breitem gesellschaftlichem Konsens arbeiten müsse. Gleichzeitig kritisierte sie das „zögerliche Verhalten“ der Regierung. Öcalans Führungsrolle sei es zu verdanken, dass der Prozess überhaupt vorankomme. Auch die größte Oppositionspartei CHP befürwortet eine politische Lösung innerhalb der Institutionen – ebenso weitere oppositionelle Akteur:innen.

Reformen und Garantien entscheidend für Erfolg

Ob die Entwicklungen der kommenden Tage tatsächlich einen Wendepunkt darstellen, hängt laut politischen Beobachter:innen maßgeblich vom weiteren Verhalten der Regierung ab. Ohne klare rechtliche Garantien, Transparenz und umfassende demokratische Reformen droht auch dieser Versuch eines politischen Dialogs zu scheitern. Doch die Signale, die nun von Imrali, aus den Bergen und dem Parlament kommen, zeigen: Der Wille zur Lösung ist spürbar – auf beiden Seiten.