Forum in Berlin: „28 Jahre PKK-Betätigungsverbot. Jetzt reden wir!“

Mit dem Forum „28 Jahre PKK-Betätigungsverbot. Jetzt reden wir!“ haben Betroffene und Jurist:innen am vergangenen Wochenende in Berlin einen umfassenden Überblick über die Folgen der Kriminalisierung der kurdischen Bewegung präsentiert.

Seit Jahrzehnten wird die in Deutschland lebende kurdische Community aufgrund des 1993 erlassenen PKK-Verbots stigmatisiert und kriminalisiert. Aus diesem Anlass lud der Verein MAF-DAD e.V. (Verein für Demokratie und internationales Recht) am 18./19. Juli zu einem Forum unter dem Namen „28 Jahre PKK-Betätigungsverbot. Jetzt reden wir!“ nach Berlin ein.

 

Am ersten Tag des Forums stand der Gedanke im Vordergrund, einen Rückblick zu halten und den vielen durch das Verbot Betroffenen das Wort zu geben. Nach der Eröffnung des Forums durch Rechtsanwältin Besra Güler von MAF-DAD beschrieb der langjährige Vorsitzende des ehemaligen kurdischen Dachverbandes YEK-KOM, Mehmed Demir, in der ersten Sitzung die politischen Umstände rund um das Verbotsjahr 1993. Ebenfalls aus eigener Anschauung ergänzte der Journalist und Historiker Dr. Nick Brauns den Umfang der Verbote und der Repression Mitte der 1990er Jahre.

Tod nach der Flucht

Im Zuge der Hetze, die damals in Politik und Medien im Umgang mit der kurdischen Befreiungsbewegung betrieben wurde, fand auch ein sechzehnjähriger Flüchtling aus Kurdistan in Hannover den Tod. Halim Dener wurde 1994 in Hannover beim Anbringen von Plakaten der kurdischen Befreiungsfront ERNK von einem Polizeibeamten durch einen Schuss in den Rücken getötet, als er sich der Festnahme entziehen wollte. Ein Vertreter der Halim-Dener-Initiative aus Hannover schilderte die genaueren Umstände und auch das bis heute anhaltende Tauziehen mit den Behörden, einen offiziellen Gendenkort für den jungen Kurden und dessen Todesumstände einzurichten.

Mit bewegenden Worten erzählte am Schluss der ersten Sitzung Malak Zaher Ahmad vom vermeidbaren Tod seines Sohnes in einem deutschen Gefängnis im September 2018. Er war aufgrund einer nicht nachvollziehbaren Namensverwechslung zu Unrecht mehr als zwei Monate inhaftiert. Der Haftbefehl, der gegen den syrischen Kurden zum Zuge kam, galt einer Person aus Mali mit ähnlichem Namen. Aus Verzweiflung über seine ungerechte Inhaftierung soll Amed Ahmad dann nach Polizeiangaben seine Zelle angezündet haben.

Gefangen in Deutschland

In der zweiten Sitzung am Vormittag berichte der ehemalige politische Gefangene Mustafa Tuzak über seine Erlebnisse und Erfahrungen mit dem deutschen Justizsystem. Er war wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach §129b StGB im Dezember 2021 zu einer Haftstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt worden. Mustafa schilderte vor allem die harten Isolationsbedingungen in der Untersuchungshaft, die mit der Anklage nach § 129b automisch verbunden sind. Selbst bei Krankenhausaufenthalten wurde er mit Hand- oder Fußfesseln ans Bett fixiert.

Nach seinen Ausführungen wurden Briefe von weiteren kurdischen Aktivisten verlesen, die sich aktuell unter dem Vorwurf des § 129b in deutschen Gefängnissen befinden.

Politisches Engagement unerwünscht

In der ersten Nachmittagssitzung berichteten mehrere Aktivist:innen über persönliche Repressionserfahrungen aufgrund ihres politischen Engagements. Hierbei ging es um gravierende Nachteile hinsichtlich des Ausländerrechts, um Ausweisungsbescheide oder verweigerte Einbürgerungen. Andere erzählten über Schikane, die sie als Teilnehmer:innen oder Anmelder:innen von Demonstrationen erfahren hatten.

Staatliche Kulturvernichtung und Exklusion

Danach wurde die Repression gegen kurdische Institutionen thematisiert. Ali Kaya, Inhaber des 2019 verbotenen Mezopotamia-Verlags, berichtete über Razzien gegen den Verlag in den Jahren 2018 und 2019, bei denen tonnenweise Bücher und Musikträger beschlagnahmt wurden. Dieser Angriff auf die kurdische Kultur wurde leider Anfang dieses Jahres vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig für rechtens befunden.

Im Anschluss schilderte der ehemalige Ko-Vorsitzende des kurdischen Dachverbands KON-MED, Tahir Köçer, von unzähligen polizeilichen Schikanen vor allem bei der Anmeldung und Durchführung kurdischer Demonstrationen. Nur in seltenen Ausnahmen zeigten sich deutsche Behörden kooperationsbereit. Sie setzten eher auf Verhinderungen kurdischer politischer und kultureller Aktivitäten.

Zum Schluss dieses Blocks erinnerte Nûjiyan Günay von NAV-YEK (Zentralverband der Ezidischen Vereine e.V.) an das Massaker, welches der „Islamische Staat“ (IS) 2014 an den Ezid:innen in Şengal im Nordirak anrichtete. Sie betonte, dass allein die militärischen Kräfte der PKK und der nordsyrischen YPG/YPJ ihnen zur Hilfe kamen und Schlimmeres verhinderten. Ungeachtet dieser Tatsache würden sie als Verband von Politik und Medien als „PKK-nahe“ Vereinigung geschnitten und von finanziellen staatlichen Zuschüssen ausgeschlossen.

Kriminalisierte Solidarität

Im letzten Diskussionsblock des ersten Tages berichtete Uli W., dass ihm Anfang dieses Jahres aufgrund seiner politischen Aktivitäten die Ausreise aus Deutschland verboten wurde und er in diesem Zusammenhang seine Personaldokumente bei den Behörden abliefern musste. Per Video zugeschaltet aus München berichtete Uli Bez über die Repression gegen die kurdische Bewegung in Bayern und ihren persönlichen Umgang damit. Zu Schluss der Session schilderte Olaf Meyer von der Antifa Lüneburg den besonderen Verfolgungseifer der dortigen Staatsanwaltschaft. Zahlreiche Verfahren betrafen Fahnen der „Antifa Enternasyonal“, die laut Interpretation der Strafverfolger PKK-Symbole zeigen sollen. Auch wenn kürzlich das zuständige Gericht dem Spuk ein Ende bereitete und sämtliche Klagen abwies, sind solche Kriminalisierungsversuche – oft auch mit Razzien in Privaträumen verbunden – für die Beteiligten nerven- und zeitraubend.

Zweiter Tag: Rechtliche Einschätzungen und Situation außerhalb Deutschlands

Am zweiten Tag des Forums lag der Schwerpunkt auf der rechtlichen Einordnung des Verbots und der aktuellen Situation außerhalb Deutschlands am Beispiel ausgewählter Länder. Am Anfang der ersten Sitzung legte Dr. Rolf Gössner – Rechtsanwalt, Publizist und langjähriger Vorsitzender der „Internationalen Liga für Menschrechte“ – den Anachronismus des nach wie vor bestehenden PKK-Verbots aus seiner Sicht dar.

Im Anschluss ging Rechtsanwalt Dr. Lukas Theune auf den Wortlaut der Verbotsverfügung von 1993 ein. Er stellte ihn in Zusammenhang mit einem von ihm und seinem Kollegen Dr. Peer Stolle am 11. Mai im Namen der PKK eingereichten Antrag an das Bundesinnenministerium, die Verbotsverfügung zu überprüfen und gegebenenfalls aufzuheben.

Rechtsanwalt Dr. Stephan Kuhn befasste sich in seinem Vortrag vor allem mit der Absurdität der Sicherheitsauflagen, die mit § 129b-Verfahren verbunden sind. Mit seinen Mandanten dürfe er nur mit Trennscheibe kommunizieren, was die Ausarbeitung einer vernünftigen Prozessstrategie erschwere. Auch die Unterbringung der Angeklagten in Glaskäfigen während der Gerichtsverhandlung suggeriere eine Gefährlichkeit, die in keinem Verhältnis zu den konkreten Tatvorwürfen stehe, die eben keine Gewaltdelikte enthalten, sondern legale politische Aktivitäten. Rechtsanwältin Fatma Sayin betonte in ihrem Vortrag, wie sehr ihre Mandanten unter dem gesamten deutschen Justizsystem leiden und viele durch langjährige bereits verbüßte Haftstrafen in der Türkei traumatisiert seien. Zum Abschluss der ersten Sitzung stellte Dr. Elmar Millich vom Rechtshilfeverein Azadi e.V. die praktische Arbeit des Vereins dar und betonte die Wichtigkeit der Unterstützung durch die Rote Hilfe e.V.

Nichtdeutsche Perspektive

Im Block „Kriminalisierungspraxis aus nichtdeutscher Perspektive“ war zuerst die Wissenschaftlerin Vicki Centas aus Sidney per Video zugeschaltet. Sie berichtete, dass auch in Australien die aktive Mitarbeit bei der kurdischen Guerilla unter Strafe steht. In einem kürzlich abgeschlossenen Verfahren habe allerdings ein Freispruch erzielt werden können, weil das Gericht überzeugt gewesen sei, dass sich der angeklagte australische Staatsbürger zu Dokumentationszwecken bei der Guerilla aufgehalten und sich nicht an Kampfhandlungen beteiligt habe.

Erdoḡan fordert – Schweden knickt ein

Mit Spannung war der anschließende Vortrag des schwedischen Journalisten Rasmus Canbäck erwartet worden, da aktuell die Türkei im Zusammenhang mit dem angestrebten NATO-Beitritt Schweden und Finnland auffordert, härter gegen die kurdische Exilcommunity in ihren Ländern vorzugehen. Canbäck berichtete anhand verschiedener Fälle, dass in letzter Zeit die schwedische Ausländerbehörde kurdischen Flüchtlingen zunehmend Steine in den Weg legt, wenn es darum geht, ihre Aufenthaltsgenehmigung zu verlängern.

PKK-Verbot verhindert Frieden

Im anschließenden Block mit dem Schwerpunkt auf politische Analysen berichtete der aus Belgien zugeschaltete kurdische Politiker Adem Uzun aus historischer Sicht, wie Friedensangebote der PKK an die Türkei von europäischer und vor allem auch deutscher Seite eher torpediert als unterstützt wurden. Das bestehende Verbot in Deutschland und die Listung der PKK auf der EU-Terrorliste nannte er eines der größten Hindernisse für eine Friedenslösung in der Türkei, weil es Erdoḡan in seinem umfassenden Krieg gegen alles Kurdische bestärkt. Die Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut (DIE LINKE) vermittelte ihre Solidarität und ging auf die aktuellen Aktivitäten ihrer Fraktion ein, die neue Bundesregierung für eine andere Politik gegenüber der kurdischen Befreiungsbewegung zu gewinnen.

Wichtige Entscheidungen in Luxemburg und Brüssel

Bei der letzten Session berichtete zugeschaltet die niederländische Rechtsanwältin Tamara Buruma über den Stand des Verfahrens der PKK gegen die Listung auf der EU-Terrorliste vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Nach einem erfolgreichen Urteil in erster Instanz erfolgt nun in den nächsten Monaten ein Revisionsurteil der übergeordneten Kammer. Auf Grundlage der Anhörung zu diesem Verfahren, das im März stattgefunden hatte, äußerte sich Buruma optimistisch. Jan Fermon, Rechtsanwalt aus Brüssel, berichtete über die Situation in Belgien. Nach dem erfolgreichen höchstrichterlichen Urteil im strafrechtlichen Bereich von 2019 bzw. 2020, nach dem die PKK in Belgien nicht als terroristische Vereinigung verfolgt werden darf, gab es nun auch eine positive Entwicklung im Asylbereich. Das höchste für diesen Bereich zuständige belgische Gericht stellte fest, dass auch Mitgliedern der PKK als Flüchtlinge in Belgien uneingeschränkt Schutzrechte nach den geltenden internationalen Konventionen zustehen.

Konklusion der Tagung folgt

Die Vorträge an beiden Tagen wurden intensiv verfolgt von einem aus drei Personen bestehenden Tribunal, welches in Kürze eine schriftliche Einschätzung veröffentlichen will, in welchen Ausmaß Bürger:innenrechte von in Deutschland lebenden Kurd:innen verletzt werden.

Zum Abschluss bedankten sich Rechtsanwalt Mahmut Ṣakar und Rechtsanwältin Heike Geisweid von MAF-DAD bei allen Beteiligten für das Gelingen der Konferenz.

Mitveranstalter:innen des Forums waren folgende Organisationen:

ELDH (European Association of Lawyers for Democracy & World Human Rights) e.V., Düsseldorf

Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., Köln

Rechtshilfefonds AZADÎ e.V., Köln

VDJ – Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V.


Bei dem Artikel handelt es sich um einen Vorabdruck aus dem AZADÎ-Info Juni 2022, Nr. 224.