„Politisches Urteil“: Freispruch für türkisches Killerkommando

Der Prozess um den geplanten Anschlag auf die kurdischen Politiker Remzi Kartal und Zübeyir Aydar ist vor dem Strafgericht Brüssel mit der mündlichen Urteilsverkündung beendet worden. Die belgische Justiz hat das türkische Killerkommando freigesprochen.

Der Prozess um einen geplanten Anschlag auf die kurdischen Politiker Remzi Kartal und Zübeyir Aydar in Belgien ist am Freitag vor dem Strafgericht Brüssel mit der mündlichen Urteilsverkündung beendet worden. Die belgische Justiz hat das türkische Killerkommando freigesprochen. Kartal und Aydar selbst und ihr Verteidiger Jan Fermon kündigten an, das Urteil nicht anzuerkennen und Rechtsmittel einzulegen.

Eigentlich war die Urteilsverkündung für den 22. April angesetzt, das Gericht hatte den Termin dann kurzfristig verschoben. In der Begründung des Gerichts hieß es heute dann im Wesentlichen, dass der türkische Geheimdienst MIT eine staatliche Organisation der Türkei sei und als solche nicht als „terroristische Struktur“ angesehen werden könne. Zwar wurden einige der belastenden Indizien vom Gericht als „zuverlässig und glaubwürdig“ befunden. Für eine Verurteilung reichten sie aber nicht aus, hieß es. Rechtsanwalt Jan Fermon sagte, die mündliche Begründung sei eine Themaverfehlung gewesen. „Wir haben zu keinem Zeitpunkt gesagt, dass es sich bei den Beschuldigten um MIT-Agenten handelt. Es ging lediglich um Verbindungen des Killerkommandos zum türkischen Geheimdienst.“

Killerkommando für politische Morde an Kurdinnen und Kurden in Europa

Bei den Angeklagten, die 2017 an dem versuchten Attentat auf Remzi Kartal und Zübeyir Aydar mitgewirkt haben sollen, handelt es sich um Zekeriya Çelikbilek, ehemaliger Soldat der türkischen Armee mit Wohnsitz in Paris; Yakup Koç, früherer Sicherheitsberater der türkischen Botschaft im französischen Boulogne-Billancourt und Inhaber eines Ausweises des Dezernats für Terrorbekämpfung der türkischen Polizei; Koçs Schwiegersohn Necati Demiroğulları aus dem belgischen Gent sowie der kurdischstämmige Hacı Akkulak, der laut eigenen Aussagen von dem Todeskommando zur Informationsgewinnung für den türkischen Nachrichtendienst angeworben worden sein soll. Es handelt sich um jene Personen, die im Juni 2017 beim Ausspähen der Zentrale des Kurdistan Nationalkongress (KNK) in Brüssel von der Polizei observiert worden waren. Die Anklage warf ihnen Bildung einer kriminellen Vereinigung als auch die Beteiligung an ihr vor. Akkulak war es allerdings auch, der die kurdischen Stellen und die belgische Polizei über die Pläne des Killerkommandos informierte – nämlich politische Morde an Kurdinnen und Kurden in Europa.

Fermon: Belgiens Justiz will sich mit diesem Urteil aus der Bredouille befreien

Jan Fermon zeigte sich nach der Urteilsverkündung äußerst empört. „Es handelt sich eindeutig um eine politische Entscheidung. Es ging der belgischen Justiz offenbar einzig darum, sich aus der Bredouille zu befreien.“ In jedem anderen Prozess hätte es bei dieser Aktenlage in jedem Fall Verurteilungen gegeben. „Sollte Frankreich diese Entscheidung akzeptieren, wird die Nachricht einschlagen wie eine Bombe“, sagte Fermon mit Blick auf die Prozessakten. Denn darin finden sich Hinweise auf ein breites Agentennetz für Attentate und Spionage in europäischen Ländern. Unter anderem geht es um die Rolle des ehemaligen türkischen Botschafters in Paris, Ismail Hakki Musa, bei dem Mord an den kurdischen Revolutionärinnen Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez im Jahr 2013. Viele Hinweise in den Akten deuten darauf hin, dass auch das Brüsseler Killerkommando von dem ehemaligen Botschafter koordiniert wurde. Zudem hatten die Angeklagten direkte Verbindungen nach Ankara, die bis in den Präsidentenpalast reichten. Erkenntnisse aus der technischen Observierung sowie Fotos und Aussagen bestätigen, dass ein Todeskommando auf Befehl aus Ankara seit den Pariser Morden von 2013 bis zum geplanten Anschlag in Brüssel in Europa agiert hat. Außerdem gibt es Hinweise zu den Verbindungen der Angeklagten zu Erdogans Chefberater Seyit Sertçelik sowie zum pensionierten Brigadegeneral und Gründer des türkischen Söldnerkonzerns SADAT, Adnan Tanrıverdi, der 2016 in den Beraterstab von Erdogan berufen wurde und an Treffen des Nationalen Sicherheitsrats (MGK) teilnimmt.

Aydar: Gerichtsentscheidung Ergebnis zwischenstaatlicher Beziehungen

Der Politiker Zübeyir Aydar, der in den neunziger Jahren als Abgeordneter der pro-kurdischen Partei DEP im türkischen Parlament saß und heute zu den Mitgliedern des Exekutivrats der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) zählt, kommentierte die Entscheidung des Brüsseler Strafgerichts als „Ergebnis der zwischenstaatlichen Beziehungen“ zwischen Belgien und der Türkei. Mit Blick auf den russischen Angriff auf die Ukraine erklärte der Politiker: „In einer Krise wollte man keine weitere Krise produzieren.“

Der KNK-Vorsitzende Remzi Kartal beschuldigte die belgische Justiz, die Aktivitäten des MIT „reinwaschen“ zu wollen. „Denn hier fängt das Problem an: Diese geheimdienstliche Organisation ist verantwortlich für terroristische Anschläge, Entführungen, Folter, und politische Attentate in Europa. Auch das Massaker von Paris geht auf das Konto von MIT.“

Schriftliche Urteilsverkündung für kommende Woche erwartet

Die schriftliche Urteilsbegründung will das Brüsseler Strafgericht kommende Woche vorlegen. Dann will sich Jan Fermon ausführlich zum weiteren Vorgehen in dem Fall äußern.