Zwei Fotos, eines vor Erdogans Palast in Ankara und das andere in der türkischen Botschaft in Paris aufgenommen, lüften den Vorhang vor einem türkischen Todeskommando. Sie zeigen die Sponsoren, die Koordinatoren und die Ausführenden.
Ein Blick zurück zum Juni 2017: Ein schwarzer Mercedes E-Klasse fährt vor dem Gebäude des Kurdischen Nationalkongresses (KNK) in Brüssel entlang. Die Insassen des Wagens haben seit einiger Zeit Aufklärungsaktivitäten durchgeführt und Informationen gesammelt. Das Fahrzeug, das mindestens drei Runden um den KNK dreht, wird von der Polizei verfolgt. Die belgische Polizei nimmt diesen Fall zunächst nicht ernst, obwohl kurdische Verantwortliche wiederholt vor den Verdächtigen gewarnt haben. Erst nach technischer und physischer Observation verstehen die Behörden schließlich den Ernst der Lage.
Das war am 14. Juni 2017. Die Verdächtigen fuhren vom KNK aus in den Louise-Tunnel und wurden von der Polizei verfolgt. Schließlich wurden sie aus einem einfachen Grund angehalten: Geschwindigkeitsüberschreitung. Die Polizei erweckte den Eindruck einer routinemäßigen Verkehrskontrolle. Bei einer Durchsuchung des Fahrzeugs wurden Ausweisdokumente gefunden.
Diese Ermittlung zu einem versuchten Attentat auf kurdische Aktivisten ist bis heute vertraulich. Nach Informationen von Quellen, die dem Fall nahe stehen, ist die Ermittlungsakte jedoch Tausende Seiten lang.
Wer war im Auto?
Am 14. März 2021 enthüllte das Journal de Dimanche die Namen von drei Personen in dem von der belgischen Polizei kontrollierten Auto. Eine der drei Personen im Auto war Zekeriya Çelikbilek, der vermutlich ein ehemaliger türkischer Militär mit französischer Staatsangehörigkeit ist. Çelikbilek lebte seit sechs bis sieben Monaten in dem Pariser Vorort Argenteuil, als das Fahrzeug angehalten wurde. Die zweite Person war Yakup Koç, der einen türkischen Polizeiausweis bei sich trug.
Nach unseren Informationen stellte sich Yakup Koç als „Albay" (Oberst) vor. Es wird vermutet, dass er der Organisator der Mission zur Ermordung kurdischer Aktivisten in Brüssel ist. Die dritte Person war Haci Akkulak, kurdischer Herkunft und wohnhaft in Belgien.
Zwei Tage nach dieser Kontrolle, am 16. Juni, hätten die belgischen Behörden die Bedrohung deutlicher gesehen. „Vier Personen türkischer Herkunft wären nach Belgien gekommen oder hätten eine Wohnung gemietet", heißt es in der Ermittlung des Journal de Dimanche. Und einer von ihnen wäre ein Scharfschütze. Im Visier des Todeskommandos waren Remzi Kartal, Ko-Vorsitzender des Kongra Gel, sowie Zübeyir Aydar aus der Leitung der KCK (Gemeinschaft der Kommunen Kurdistans).
Polizeioperation in Belgien
Nach den uns vorliegenden Informationen führte die belgische Polizei einige Monate nach der Kontrolle des Autos eine Operation durch. Zekeriya Çelikbilek und Yakup Koç hatten Belgien bereits verlassen. Die belgische Polizei schien es vorgezogen zu haben, den Spionagering auf ihrem Boden ins Visier zu nehmen, anstatt die türkischen Agenten zu verhaften. Der Grund für diese Wahl ist unbekannt. Die Durchsuchungen fanden in Gent statt. Eine Person türkischer Herkunft und Haci Akkulak waren Gegenstand dieser Durchsuchungen, bei denen verschiedene Materialien beschlagnahmt wurden. Der Türke war Necati Demirogulları, ein Geschäftsmann aus Sakarya in der Türkei.
Geständnisse aus dem Todeskommando
Wir müssen das Geständnis von Haci Akkulak untersuchen, das zu diesen Durchsuchungen geführt hat. Akkulak hatte, nachdem er zugestimmt hatte, Informationen für den türkischen Nachrichtendienst zu sammeln, auch die anvisierten kurdischen Politiker und die belgische Polizei informiert, als er erkannte, dass das Ziel dieser Mission darin bestand, Attentate zu begehen.
Laut unseren Quellen war die Person, die Akkulak an das Attentäterteam verwiesen hatte, Necati Demirogulları. Dieser hatte der Polizei nach der Durchsuchung seines Hauses alles gestanden, was er wusste. Er ist der Schwiegersohn von Yakup Koç und soll ihn materiell unterstützt haben.
Aus den Geständnissen von Necati Demirogullari und Haci Akkulak geht hervor, dass das Attentäterteam enge Verbindungen nach Ankara sowie zur türkischen Botschaft in Paris hatte. Zekeriya Çelikbilek soll Hacı Akkulak bei einem privaten Treffen sogar gesagt haben, dass er eine Rolle bei der Ermordung von drei kurdischen Revolutionärinnen in Paris gespielt habe. Es ist bereits bekannt, dass diese Ermittlung in Belgien wesentlich zur Eröffnung einer neuen Ermittlung des Dreifachmordes im Herzen von Paris beigetragen hat. Die Ermittlungen, die die Pariser Staatsanwaltschaft im Mai 2019 wieder aufgenommen hat, zielen unter anderem auf die Drahtzieher des Mordes und ihre Komplizen. Die Anwälte der Familie der drei kurdischen Frauen haben wiederholt erklärt, dass es ein riesiges türkisches Netzwerk gibt, das immer noch in Europa aktiv ist und mit diesem Fall in Verbindung steht.
Diese Fotos sagen alles
Die Fotos, die wir erhalten haben, zeigen sowohl die Gesichter derjenigen, die politische Morde auf europäischem Boden begehen wollten, als auch ihre unbestreitbaren Verbindungen zu den türkischen Behörden.
Es zeigt sich, dass Zekeriya Çelikbilek ein sehr persönliches Verhältnis zum türkischen Präsidenten und der türkischen Botschaft hatte. Eines der Fotos zeigt die besondere Beziehung zwischen Zekeriya Çelikbilek und dem türkischen Botschafter Ismail Hakki Musa. Auf demselben Foto befinden sich zwei weitere Personen, die wir nicht identifizieren konnten.
Zekeriya Çelikbilek erscheint auf zwei weiteren Fotos, die innerhalb der Botschaft aufgenommen wurden, eines vor einem Tisch, der für Presseerklärungen reserviert ist, und das andere im ultra-geschützten Präsidentenpalast in Ankara. Er trägt einen dunkelblauen Anzug vor dem Palast. Auf einem anderen Foto ist er mit einem Kommando-Barett zu sehen.
Die Fotos von Yakup Koç wurden zwischen 2008 und 2011 aufgenommen. Eines davon ist auf dem Weg nach Bratislava aufgenommen, ein anderes bei einem Besuch des Mont Saint-Michel in Frankreich. Dieser verdächtige Besucher erscheint an vielen Stellen auf den Fotos.
Die Beweise sind eindeutig. Wir sehen ein Team von Attentätern, die besondere Beziehungen zum Palast und der türkischen Botschaft haben. In der europäischen Ermittlungsentscheidung wird der Name des türkischen Diplomaten direkt genannt, bestätigt das Journal du Dimanche. „Die Koordination ihrer Aktionen hätte Ismail Hakki Musa, der derzeitige türkische Botschafter in Frankreich, sichergestellt."
Wer ist Ismail Hakki Musa?
Als seine dunklen Aktivitäten immer sichtbarer wurden, kündigte Ismail Hakki Musa am 13. März das Ende seines Mandats an, nach viereinhalb Jahren an der Spitze der Botschaft der Republik Türkei in Frankreich.
Vom ersten Tag der Ermordung der PKK-Mitbegründerin Sakine Cansiz, der KNK-Vertreterin Fidan Dogan und der Jugendaktivistin Leyla Saylemez am 9. Januar 2013 an deuteten alle Informationen auf Ankara. Die in Frankreich durchgeführte Ermittlung sowie mehrere vertrauliche Dokumente, Zeugenaussagen und Geständnisse ergaben, dass das Attentat in Paris tatsächlich vom türkischen Geheimdienst MIT organisiert wurde.
Auch Ismail Hakki Musa war mehrere Jahre lang unter den Verdächtigen. Die Berufung des türkischen Diplomaten, der eine Zeit lang MIT-Vorsitzender und später die Nr. 2 des Geheimdienstes war, nach Paris fiel in eine Zeit verstärkter Spionagenetzwerke und Attentatsversuche.
Der Diplomat war in den späten 1980er Jahren zum Studium nach Frankreich geschickt worden. Er übernahm verschiedene Aufgaben für den türkischen Staat. Am 1. November 2011 wurde er zum türkischen Botschafter in Belgien ernannt, eine Ernennung, die nicht lange währte. Er wurde im Oktober 2012 in sein Land zurückgerufen und dort zum stellvertretenden Direktor des MIT ernannt, zu der Zeit, als Ömer Güney die Ermordung der drei kurdischen Frauen in Paris plante. Während seiner einjährigen Mission in Brüssel sollen seine intensiven Kontakte zu türkischen Moscheen, nationalistischen oder salafistischen Vereinigungen und den Grauen Wölfen, einer faschistischen Bewegung im Dienste des türkischen Regimes, auch die Aufmerksamkeit der belgischen Geheimdienste auf sich gezogen haben.
Später, am 10. Februar 2015, wurde Musa nach dem Rücktritt des MIT-Chefs Hakan Fidan, der im Begriff war, bei den Parlamentswahlen zu kandidieren, zum stellvertretenden Leiter des türkischen Geheimdienstes ernannt. Ismail Hakki Musa blieb bis zum 10. März 2015 in dieser Position.
Die Zeiten, in denen er den MIT leitete und Botschafter in Brüssel und Paris war, fielen mit den Zeiten zusammen, in denen der MIT schwerer Verbrechen beschuldigt wurde.
Einige Monate nach dem Abfangen von LKWs, die dem MIT gehörten und Waffen für den IS transportierten, führte Ismail Hakki Musa im türkischen Konsulat in Mosul Verhandlungen mit den Dschihadisten. Nach offiziellen Angaben nahm die Gruppe „Islamischer Staat“ etwa 50 Türken als Geiseln im Konsulat, die bei einer Operation des türkischen Staates befreit wurden. Viele Dokumente und Zeugenaussagen zeigten jedoch später, dass es Verhandlungen zwischen Ankara und dem IS gab. Es war Ismail Hakki Musa, der nach der Einnahme von Mosul durch den IS mit der Lösung dieses Vorfalls beauftragt wurde.
Nur vier Monate nach dem Putschversuch in der Türkei im Juli 2016 wurde er schließlich zum Botschafter in Paris ernannt. In dieser Zeit hat der türkische Staat seine islamisch-nationalistischen Netzwerke und kriminellen Aktivitäten in vielen Ländern durch Moscheen, Schulen, Vereine etc. verstärkt.
Es gibt einen weiteren auffälligen „Zufall": Der Täter des Dreifachmordes in Paris, Ömer Güney, starb am 17. Dezember 2016 unter noch unklaren Bedingungen in einem französischen Gefängnis, etwa einen Monat nachdem Hakki Musa zum neuen Botschafter ernannt wurde. Die Weichen für seine Rückkehr nach Europa waren damit gestellt.