Peyman Viyan: Frauen und Kurd:innen sind Schlüssel zur Transformation Irans

„Der Versuch, Iran umzugestalten, bedeutet letztlich eine Neuordnung der gesamten Region. Wer Iran verändert, greift in die Grundstruktur des Nahen Ostens ein“, sagt Peyman Viyan (PJAK).

„Die dritte Kraft“: PJAK über Alternativen zu Nationalstaat und Hegemonie

Vor dem Hintergrund wachsender regionaler Spannungen hat die Ko-Vorsitzende der Partei für ein freies Leben in Kurdistan (PJAK), Peyman Viyan, die Rolle der Kurd:innen als potenzielle Wegbereiter:innen eines demokratischen Wandels im Nahen Osten betont. In einem ausführlichen Interview mit der Nachrichtenagentur Roj News analysierte sie den Iran-Israel-Krieg, die politischen Optionen für die Bevölkerung und die strategische Bedeutung Ostkurdistans im gegenwärtigen Umbruch.

Ein Krieg, der das Schicksal der Region entscheidet

Die Eskalation zwischen Israel und Iran bezeichnete Viyan als Ausdruck eines tieferliegenden globalen Machtkonflikts: „Dieser Krieg ist nicht bloß eine bilaterale Auseinandersetzung. Es ist ein Konflikt zwischen hegemonialen Interessen und den nationalstaatlichen Ordnungen – gegenüber dem Willen der Völker, über ihr eigenes Schicksal zu bestimmen.“


Viyan betonte die Entstehung einer alternativen politischen Kraft, die sie als „dritten Weg“ bezeichnete – ein Konzept, das auf Basis von Basisdemokratie, kollektiver Selbstverwaltung und dem Prinzip der Selbstbestimmung der Völker handelt.

Iran: Systemkrise und autoritäre Starrheit

Mit Blick auf das iranische Regime analysierte Viyan eine zunehmende Legitimationskrise. „Der Staat hat auf keine der Forderungen der Bevölkerung reagiert. Stattdessen hält er an Repression, Folter und Todesstrafe fest. Die Weigerung, strukturelle Reformen einzuleiten, hat zu einer strategischen Isolation geführt“, sagte sie.

Die PJAK-Vorsitzende sieht in der Zuspitzung des Konflikts – etwa durch die gezielte Polarisierung der politischen Lage – einen bewussten Versuch externer Kräfte, Iran zu einer binären Entscheidung zwischen Krieg und Kapitulation zu zwingen. „Der Versuch, Iran umzugestalten, bedeutet letztlich eine Neuordnung der gesamten Region. Wer Iran verändert, greift in die Grundstruktur des Nahen Ostens ein.“

Sie kritisierte die Rolle der Nationalstaaten als Träger von Krieg, Vertreibung und kultureller Homogenisierung. „Der Nahen Osten wurde auf Grundlage von Massakern und ethnischen Säuberungen in nationale Einheiten gezwungen. Diese Ordnung bricht heute an ihren eigenen Widersprüchen zusammen“, betonte Viyan.

Als Gegenmodell verwies sie auf das Konzept des Demokratischen Konföderalismus, eine von Abdullah Öcalan entwickelte Vision von basisdemokratischer Selbstverwaltung, Pluralismus und Geschlechterbefreiung. „Wir brauchen eine Ordnung, die nicht auf Unterwerfung, sondern auf Solidarität basiert. Die Zeit ist reif für eine ‚Ordnung der Völker‘.“

Insbesondere Frauen käme dabei eine zentrale Rolle zu. „Die einzige Kraft, die die Freiheit ihrer Gesellschaft mit ihrer eigenen Freiheit verbindet, sind die Frauen“, so Viyan.

Iranische Schwachpunkte: Frauen und Kurd:innen

Im inneriranischen Kontext sieht Viyan zwei zentrale „Bruchlinien“ im System: die kurdische Bevölkerung und die Frauenbewegung. „Die Furcht vor einem neuen Aufstand unter weiblicher Führung ist omnipräsent. Und genauso groß ist die Angst vor dem politischen Erwachen in Kurdistan“, erklärte sie.

Die vollständige Militarisierung Ostkurdistans durch die iranischen Revolutionsgarden etwa sei ein Versuch, revolutionäres Potenzial frühzeitig zu unterdrücken. Dennoch wachse der gesellschaftliche Widerstand. „Wir stehen an einem historischen Punkt, an dem die Gesellschaft selbst ihre Führungsrolle einnehmen kann“, betonte die PJAK-Vorsitzende.

Sie unterstrich die Rolle ihrer Partei als einzige organisierte politische Alternative in Ostkurdistan: „Wie in allen Teilen Kurdistans sind es auch hier die Kurd:innen, die den Wandel vorantreiben können – und PJAK ist bereit, Verantwortung zu übernehmen. Das wissen auch die internationalen Akteure.“ Auf die Frage, ob es direkte Kontaktversuche etwa von den USA oder Israel gegeben habe, antwortete Viyan knapp: „Nein, bisher nicht.“

Warnung vor türkischer Einmischung

Viyan äußerte sich auch zur Rolle der Türkei, die sie beschuldigte, in ethnisch gemischten Regionen Ostkurdistans bewusst Spannungen zu schüren: „Insbesondere in Ûrmiye versucht die Türkei mithilfe pan-turkistischer Gruppen, Konflikte zwischen Kurd:innen, Aserbaidschaner:innen, Armenier:innen und Assyrer:innen zu provozieren.“ Diese Strategie ziele darauf ab, jegliche kurdische Autonomie im Keim zu ersticken, insbesondere durch die gezielte Instrumentalisierung von Identitätspolitik.

„Wir stehen an einem historischen Scheideweg“

Abschließend rief Peyman Viyan die kurdische Bevölkerung zu Einheit, Selbstorganisation und Widerstand auf: „Wir befinden uns in einer sensiblen und historischen Phase. Wer sich jetzt nicht organisiert, wird untergehen. Wer seine Verteidigung nicht aufbaut, wird fremdbestimmt.“ Die kurdische Bevölkerung müsse sich aktiv in allen Lebensbereichen organisieren – von Verteidigungs- bis Gesundheitskomitees – und dabei ihre politische Autonomie stärken: „Die Zukunft liegt in der Hand des Volkes. Wir als Bewegung sind bereit, diesen Prozess gemeinsam mit dem Volk zum Erfolg zu führen.“