Breiter Widerstand gegen umstrittenes Umweltgesetz in der Türkei

Ein geplantes Gesetz der türkischen Regierung zur Öffnung von Olivenhainen, Wäldern und Weideflächen für Bergbau und Industrie sorgt für massive Proteste. Der Entwurf wurde bereits im Ausschuss verabschiedet, die Abstimmung steht unmittelbar bevor.

„Plünderungsgesetz“ empört Umweltgruppen und Bevölkerung

In mehreren Städten in der Türkei haben Umweltorganisationen, Berufsverbände und zivilgesellschaftliche Gruppen scharfen Protest gegen ein umstrittenes Gesetzesvorhaben geäußert, das Bergbau in bislang geschützten Ökosystemen ermöglichen soll. Der Gesetzentwurf, der bereits in der Parlamentskommission angenommen wurde, soll noch in dieser Woche dem Plenum des türkischen Parlaments zur Abstimmung vorgelegt werden.

Nach Angaben der Regierung zielt die Gesetzesänderung auf eine „Anpassung“ der bestehenden Vorschriften zu Bergbau, Umwelt- und Landwirtschaftsflächen. Kritiker:innen bezeichnen das Vorhaben jedoch als „ökologisches Zerstörungsprogramm“, das insbesondere zielt, landesweit Olivenhaine, Wälder, Feuchtgebiete und Weideflächen für industrielle Großprojekte zu öffnen.

Oliven-Paragraf löst Empörung aus

Besonders umstritten ist Artikel 11 des Gesetzesentwurfs. Er sieht vor, dass Flächen, auf denen Olivenbäume stehen, unter bestimmten Voraussetzungen für Bergbauprojekte enteignet und deren Baumbestand „verlegt“ werden kann – ein Vorhaben, das von zahlreichen Umweltverbänden als faktischer Kahlschlag gewertet wird. Die Entscheidung über solche Eingriffe liegt künftig bei den Ministerien, sofern ein „öffentliches Interesse“ geltend gemacht wird.

Kundgebung in Amed

Proteste in Dersim, Amed, Izmir, Mersin, Wan und Mêrdîn

In Wan erklärte die Ko-Vorsitzende der Ökologievereinigung EKO-DER, Dilek Akdağ, das Gesetz sei „nicht nur eine Rechtsreform, sondern der Versuch, einen mehrdimensionalen Krieg gegen die Natur zu legitimieren“. Die Pläne würden nicht nur Ökosysteme zerstören, sondern auch zu Entvölkerung, Ernährungsunsicherheit und wachsender Klimaanfälligkeit führen. Die Veranstaltung wurde von politischen Parteien, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Gruppen begleitet.

In Mersin sagte Yusuf Demirci, Vorsitzender der landwirtschaftlichen Gewerkschaft Tarım Orkam-Sen: „Diese Gesetzesinitiative stellt die Interessen von Unternehmen über die Bedürfnisse der Bevölkerung.“ Er forderte unter anderem die vollständige Rücknahme des Gesetzentwurfs, eine demokratische und wissenschaftsbasierte Neustrukturierung der Energiepolitik und eine verfassungsrechtliche Absicherung ökologischer Schutzgebiete.

Auch in Mêrdîn (tr. Mardin) und Amed (Diyarbakır) versammelten sich Demonstrierende. Dort wurde das Gesetz als „Plünderungsgesetz“ bezeichnet. Deniz Köçeroğlu von Tarım Orkam-Sen betonte, dass es nur durch hartnäckige Proteste gelungen sei, Vertreter:innen betroffener Gemeinden überhaupt in die Kommissionsanhörung zu bringen. „Das Parlament ist für Lebensschützer:innen verschlossen, aber der Widerstand bleibt standhaft“, sagte sie.

Protest in Mêrdîn

„Beton kommt mit dem Staat – die Saat mit dem Volk“

In Izmir warnte Nuri Seha Yüksel von der Ärztekammer: „Dieses Gesetz ist keine Ressourcenpolitik – es ist Raubwirtschaft.“ Auf Transparenten war zu lesen: „Oliven sind Leben – Minen sind der Tod“ und „Beton kommt mit dem Staat – die Saat mit dem Volk“.

In Dersim (Tunceli) kritisierte Orhan Kahraman, dass unter dem Deckmantel „öffentlichen Nutzens“ Weideflächen und Naturräume systematisch privatisiert würden: „Wer Wälder verbrennt, Flüsse privatisiert und Biotope rodet, will das jetzt mit einem Gesetz legitimieren.“

DEM-Partei: Angriff auf Menschen, Natur und Demokratie

Auch politische Parteien positionierten sich klar gegen das Vorhaben. Mehmet Kamaç, Abgeordneter der DEM-Partei aus Amed, erklärte: „Wir werden dieses Gesetz nicht hinnehmen. Es gefährdet nicht nur Umwelt und Landwirtschaft, sondern auch soziale Gerechtigkeit und demokratische Beteiligung.“ Veysi Dilekçi, Ko-Vorsitzender der DEM-Partei in Wan (Van), betonte auf einer Kundgebung vor Ort: „Leben bedeutet mehr als materielle Existenz. Es geht um unsere gemeinsame Zukunft mit der Natur.“

Aktion in Wan

Forderung: Rücknahme des Gesetzes – Demokratische Neuaufstellung

Der vorliegende Gesetzentwurf mit dem offiziellen Titel „Gesetz zur Änderung der Gesetze über Olivenanbau, Weidenutzung, Umwelt und Bergbau“ wurde von der AKP-Fraktion im Juni ins Parlament eingebracht. In nur drei Tagen wurde der Entwurf im zuständigen Ausschuss durchgewunken. Die zentrale Änderung betrifft Artikel 11: Er erlaubt künftig unter bestimmten Bedingungen die Nutzung von Olivenhainen für den Bergbau. Die Enteignung ganzer Hainflächen und die symbolische „Umpflanzung“ der Bäume gelten unter Fachleuten als praktisch nicht durchführbar.

Zudem kritisieren Expert:innen, dass Umweltverträglichkeitsprüfungen (ÇED) künftig auch durch passives Schweigen von Behörden als „genehmigt“ gelten könnten. Auch illegal errichtete Industrieanlagen sollen im Nachhinein legalisiert werden – ein „Freifahrtschein für Umweltsünder“, wie es in einer Erklärung der Anwaltskammer Izmir heißt.

Izmir

Zahlreiche Organisationen forderten die vollständige Rücknahme des Gesetzesvorhabens. Stattdessen solle ein partizipatives, wissenschaftlich fundiertes und ökologisch tragfähiges Energie- und Umweltkonzept entwickelt werden. „Es geht nicht nur um Olivenbäume – es geht um unsere Zukunft“, sagte Felemez Öner in Mêrdîn. „Wer diesem Gesetz zustimmt, macht sich mitschuldig an der Zerstörung von Natur und Gesellschaft.“

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