Zübeyir Aydar: Europa sollte Mordgeständnis ernst nehmen

Nach dem Geständnis eines türkischen Top-Geheimdienstlers für die Morde von Paris ruft der kurdische Politiker Zübeyir Aydar (KCK) Europa auf, die Sache ernst zu nehmen. Ulla Jelpke fordert klare Signale aus Berlin nach Ankara.

Der kurdische Politiker Zübeyir Aydar hat sich gegenüber ANF zu den Äußerungen des ehemaligen hochrangigen Regierungsbeamten Ismail Hakkı Pekin über den Mord an den kurdischen Revolutionärinnen Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez vor acht Jahren in Paris geäußert. „Pekin ist keine gewöhnliche Person, sondern als früherer Leiter der Geheimdienstabteilung des türkischen Generalstabs bestens im Bilde über die Aktivitäten des tiefen Staates. Wir nehmen seine Äußerungen ernst”, so Aydar, der zu den Mitgliedern des Exekutivrats der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) gehört.

Der pensionierte Nachrichtendienstler Ismail Hakkı Pekin äußerte jüngst in einer Fernsehsendung bei CNN Türk zur türkischen Militäraggression im südkurdischen Gare, dass es „gezielte Liquidierungen von KCK-Führungskräften im Irak, Syrien und in Europa“ geben müsse. „Sie haben auch ihre Elemente in Europa. Wir müssen etwas in dieser Richtung in Europa unternehmen. Ich meine, es wurde schon einmal in Paris gemacht …“, so Pekin in Anspielung auf den Pariser Dreifachmord am 9. Januar 2013, ausgeführt von einem Attentäter

Aydar: Aussagen sind ein Geständnis

Die Aussagen von Pekin seien in zweierlei Hinsicht bedeutend, führte Aydar aus. „Zunächst einmal handelt es sich um einen Top-Geheimdienstler, der das Geständnis für die Pariser Morde ablegt. Er hat es ausgeplaudert. Die Einräumung ist wichtig, auch wenn es nicht zum ersten Mal vorkommt, dass türkische Funktionsträger ihre Schuld eingestehen. Im Übrigen gibt es Belege. Die Gülen-Bewegung hatte in der Vergangenheit nach ihrem Konflikt mit der AKP einige MIT-Dokumente und Tonbandaufnahmen veröffentlicht. Daraufhin beschuldigte Recep Tayyip Erdoğan bei seinem Wahlkampf im Jahr 2014 sowohl in Urfa als auch in Ağrı die Bewegung von Fethullah Gülen [des Mordes an Cansız, Doğan und Şaylemez]. Dass Ismail Hakkı Pekin die Morde nun zugibt, enttarnt im Grunde die verschwörerische Politik des türkischen Staates.“

Erdoğan hatte im März 2014 bei einer Wahlkampfveranstaltung in Riha (tr. Urfa) mit Blick auf seinen ehemaligen verbündeten Fethullah Gülen und dessen Bewegung geäußert: „Zuerst haben sie den Prozess von Oslo sabotiert, anschließend wollten sie den MIT-Leiter verhaften lassen und ihn ausschalten. Später haben sie in Paris mehrere Attentate verübt.“

Das in Paris geführte Ermittlungsverfahren und in der Anklageschrift enthaltene Informationen und Dokumente deuteten schon damals auf die türkische Hauptstadt Ankara hin – Tonaufnahmen, als geheim eingestufte Unterlagen mit den Unterschriften führender MIT-Funktionäre, Protokolle über geheime Telefongespräche, Nachweise über Türkei-Reisen des Attentäters Ömer Güney sowie die Aussagen von zwei hochrangigen MIT-Agenten, die von der PKK in Südkurdistan gefangengenommen worden sind.

„Zweitens sind die Äußerungen Pekins insofern wichtig, weil sie Drohungen enthalten. Er sagt ja ganz offen, dass man sich mit den Führungskräften der KCK in Europa befassen wollte. Das kommt einer Morddrohung nach und ich denke nicht, dass es eine persönliche Aussage von ihm ist. Schließlich zählt Pekin zu den Beratern der Strukturen des tiefen Staats.“ Wir werden uns entsprechend positionieren und Maßnahmen ergreifen, führte Aydar weiter aus. Der türkische Staat sei in Europa schon länger im Rahmen von Attentatsplänen gegen kurdische Politiker in Europa aktiv. „Es gibt Elemente, die in Deutschland, Belgien und Frankreich aufgetaucht sind. Zu den Zielen gehöre auch ich, diesbezüglich laufen Ermittlungen. In Deutschland gab es bereits Prozesse. In Belgien und Frankreich sind die Verfahren noch nicht abgeschlossen. Vor allem in Belgien liegt eine sehr umfangreiche Ermittlungsakte.”

Im Juni 2017 stoppte die belgische Polizei nach Hinweisen von kurdischen Organisationen drei Verdächtige in einem Fahrzeug. Dieser Vorfall führte dazu, dass die Ermittlungen in Paris wiederaufgenommen wurden. Denn die drei Personen im Fahrzeug planten ein Attentat auf den Ko-Vorsitzenden des Nationalkongress Kurdistan (Kongra-Gel), Remzi Kartal. Einer der Verdächtigen war ein ehemaliger türkischer Soldat. Ein anderer wies sich mit einem türkischen Polizeiausweis aus. Nach Informationen von Quellen, die den Ermittlern nahe stehen, hielten sich diese beiden Personen seit dem 16. Juni mit vier Personen türkischer Herkunft in Paris auf. Bei einem von ihnen soll es sich um einen Scharfschützen handeln. Nach kurdischen Angaben vermutet die belgische Polizei, dass ein hochrangiger türkischer Diplomat in Paris diese Aktivitäten koordinierte. Die belgischen Behörden haben eine Untersuchung eingeleitet, aber die Akte enthält eine Geheimhaltungsverfügung.

Aydar erinnerte daran, dass die Attentatsversuche gegen kurdische Politikerinnen und Politiker in Europa nicht neu sind. „Diese Aktivitäten haben ihre Anfänge im Jahr 2011 und dauern bis heute an. Wir nehmen es sehr ernst, dass dies nochmal von einer Person wie Pekin auf die Tagesordnung gesetzt worden ist und treffen die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen.“

Aydar geht davon aus, dass die neue Situation auch Auswirkungen auf die Ermittlungen im Fall der Pariser Morde haben wird. Der türkische Staat habe in der Hauptstadt Frankreichs ganz unverhohlen gemordet. „Er hat Attentate und Terror verübt. Die Türkei ist im Grunde ein terroristischer Staat.“ Jetzt seien die französischen Justizbehörden am Zug. Frankreich müsse die Türkei wegen Mordes anklagen. „Ömer Güney war nur der Attentäter. Es müssen aber die Auftragsgeber in Ankara vor Gericht gebracht werden. Wir erwarten von den französischen Justizbehörden, dass sie sich ernsthaft mit dem Fall beschäftigen. Es ist keine Sache, die auf das Konto einer einzelnen Person geht. Es handelt sich um einen Dreifachmord, der in Ankara vom MIT organisiert worden ist und im Zentrum von Paris ausgeführt wurde. Der türkische Staat und seine damaligen Funktionäre tragen die Verantwortung“, sagte Aydar.

Ulla Jelpke: Aufhebung des PKK-Verbots längst fällig

Die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke, erklärte gegenüber ANF, staatsterroristische Aktivitäten seien dem türkischen Regime ohne weiteres zuzutrauen. Die Äußerungen des ehemaligen Geheimdienstchefs sollten auf jeden Fall ein Grund sein, die Morde von Paris erneut zu untersuchen. Darüber hinaus müsse nun die Bundesregierung, nähme sie ihre Bekenntnisse zu Menschenrechten ernst, dem Erdogan-Regime unmissverständlich signalisieren: „Politisch aktive Kurdinnen und Kurden in Deutschland stehen unter deutschem Schutz. Die längst fällige Aufhebung des PKK-Betätigungsverbotes wäre jetzt die richtige Antwort auf die Drohungen aus der Türkei.”