Die PKK-Mitbegründerin Sakine Cansız (Sara), die Pariser KNK-Vertreterin Fidan Doğan (Rojbîn) und die Jugendaktivistin Leyla Şaylemez (Ronahî) sind am 9. Januar 2013 im Herzen von Paris mit jeweils drei Kopfschüssen ermordet worden.
Unmittelbar nach dem Attentat wurden Ermittlungen eingeleitet und alle Hinweise deuteten auf den türkischen Geheimdienst MIT. Auch 2014 aufgetauchte Dokumente zeigten, dass der Mordbefehl aus Ankara kam. Unter einem als Geheimsache eingestuften Befehl vom 18. November 2012 befanden sich die Unterschriften von MIT-Verantwortlichen. Es ging dabei um die geplante Operation, mit der Sakine Cansız von Ömer Güney „ausgeschaltet“ werden sollte. Aus einer am 12. Januar 2014 im Internet verbreiteten Tonaufnahme ging hervor, dass Ömer Güney das Attentat mit MIT-Funktionären geplant hat. Als der Mörder Ömer Güney 2014 seine Flucht aus einem Pariser Gefängnis plante, forderte er Unterstützung vom MIT an.
Ömer Güney wurde nach seiner Festnahme am 17. Januar 2013 verhaftet. Er starb am 17. Dezember 2016 auf verdächtige Weise im Gefängnis, etwa einen Monat vor Prozessbeginn. Der Prozess sollte eigentlich Anfang Dezember beginnen, wurde jedoch aus nicht veröffentlichten Gründen auf den 23. Januar 2017 verschoben. Mit dem Tod des Angeklagten wurde das Verfahren von der französischen Justiz eingestellt.
MIT-Funktionäre von der Guerilla gefasst
Dann kam es zu einer wichtigen Entwicklung in Südkurdistan, die zur Wiederaufnahme des Verfahrens in Frankreich beitrug. Zwei hochrangige MIT-Funktionäre, die einen Mordanschlag auf PKK-Verantwortliche planten, wurden am 4. August 2017 bei einer Spezialoperation der Guerilla gefasst. Erhan Pekçetin, beim MIT zuständig für Auslandsoperationen, und sein für Informationsquellen verantwortlicher Kollege Aydın Günel bestätigten in ihren Geständnissen die Echtheit der 2014 aufgetauchten Tonaufnahme und des als Geheimsache eingestuften Dokuments und nannten die Namen der beteiligten MIT-Funktionäre.
An der Planung des Pariser Attentats beteiligt war unter anderem Sebahattin Asal, der 2018 stellvertretender Inspektor der Abteilung für strategisches Nachrichtenwesen und 2013 stellvertretender Direktor der Abteilung „Ethnische separatistische Tätigkeiten“ war. Diese Person hat als rechter Arm von MIT-Chef Hakan Fidan an den Verhandlungen zwischen der PKK und dem türkischen Staat teilgenommen.
Killerkommando in Belgien
Alle Informationen wiesen also direkt auf Ankara hin. Während die Aufklärung der Auftraggeber in Paris zwischen Justiz, Polizei und Politik ins Stocken geriet, kam es in Belgien zu einer aufsehenerregenden Entwicklung. Am 18. Juni 2021 wurde Anklage erhoben im Verfahren zu den im Juni 2017 geplanten Anschlägen auf die kurdischen Politiker Remzi Kartal (Kongra Gel) und Zübeyir Aydar (KCK). Der Prozessauftakt war am 1. Oktober vergangenen Jahres. In dem Verfahren wurde herausgestellt, dass in Europa ein breites Netzwerk für Anschläge und Spionage existiert. Einschließlich des ehemaligen türkischen Botschafters Ismail Hakkı Musa in Frankreich wurde die Rolle mehrerer Personen bei den Morden von Paris beleuchtet. Aus der Akte ergeben sich ernste Hinweise darauf, dass die in den in Brüssel geplanten Anschlag involvierten Personen von Musa koordiniert wurden. Außerdem wurde festgestellt, dass das Killerkommando direkte Verbindungen nach Ankara und sogar zum türkischen Präsidentenpalast unterhielt. Erkenntnisse aus technischer Überwachung und abgehörten Telefonaten sowie Fotos und Aussagen bestätigen, dass in Europa auf Befehl Ankaras ein breites Netzwerk agiert, das von den Pariser Morden bis zu den Brüsseler Anschlagsplänen reicht.
Staatliche Blockade bei der Aufklärung
Diese Entwicklung in Belgien führte dazu, dass auf Betreiben der Angehörigen der drei kurdischen Revolutionärinnen ein neues Ermittlungsverfahren in Paris aufgenommen wurden. Die vollständige Aufklärung der Morde wird jedoch von der Politik und den Behörden, also vom Staat selbst, verhindert. Die französische Regierung und die Nachrichtendienste verweigern die Herausgabe der ihnen vorliegenden Informationen. Im Fall des Brüsseler Killerkommandos hatte sich herausgestellt, dass die Steuerungszentrale in Frankreich war. Die französischen Behörden zeigten auch in diesem Fall eine ähnliche Haltung und verweigerten eine vollständige Zusammenarbeit mit den belgischen Ermittlern.
MIT-Morde in Frankreich werden nicht geahndet
Jean-Louis Malterre ist einer der Anwälte, die die Familien der 2013 in Paris ermordeten Frauen vertreten. Er sagt, dass es in den vergangenen neun Jahren keinen Fortschritt in dem Verfahren gegeben hat. Die politischen Verantwortlichen wollen das Staatsgeheimnis nicht lüften und die Polizeibehörden machen keinen aktiven Eindruck, erklärt der Rechtsanwalt.
Derselben Ansicht sind auch der kurdische Dachverband CDK-F und die kurdische Frauenbewegung in Frankreich. In einer gemeinsamen Erklärung der beiden Organisationen heißt es: „Mit dieser Weigerung des Nachrichtendienstes wird die Justiz bei der Aufklärung der Wahrheit funktionslos gemacht. Sie ist bezeichnend für den politischen Druck, mit dem die Ermittlungen blockiert werden. Diese Haltung sorgt gleichzeitig dafür, dass ein terroristisches Verbrechen des türkischen Nachrichtendienstes MIT in Frankreich nicht bestraft wird. Wenn die Geheimhaltung nicht aufgehoben wird und die Wahrheit im Dunkeln bleibt, gilt Frankreich als schuldig.“