Anwalt zu Verlagsverbot: Eine Zensur kurdischer Kultur

Im neuen AZADÎ-Info äußert sich Dr. Peer Stolle als Rechtsbeistand der kurdischen Verlagshäuser Mezopotamien und MIR zum Stand der Klage gegen das Verbot und kritisiert Hürden, die eine effektive Verteidigung der Mandantschaft behindern.

Es war ein einmaliger Vorgang, als das Bundesinnenministerium mit Verfügung vom 1. Februar 2019 den in Neuss ansässigen Mezopotamien-Verlag und den Musikvertrieb MIR als angebliche Teilorganisationen der PKK verbot. Auch die Verlagsbestände – 50.000 Werke – und das wohl weltweit größte kurdische Musikarchiv wurden beschlagnahmt, ohne dass eines der Bücher oder Alben auch nur ansatzweise straf- oder zivilrechtlich beanstandet oder gar verboten worden ist. Mit der Verfügung wurden auch das gemietete Gebäude und das Grundstück beschlagnahmt und in das Eigentum des Innenministeriums überführt. Der Vorwurf: Der Geschäftsbetrieb diene durch sein Verlagsprogramm der Aufrechterhaltung des organisatorischen Zusammenhalts der PKK. Schon im März 2018 gab es Durchsuchungen im gemeinsamen Verlagshaus.

Der Rechtsbeistand beider Unternehmen, die Anwälte Dr. Peer Stolle, Dr. Lukas Theune und Berthold Fresenius, kritisierte die Verbote, mit denen die Bundesregierung erneut versuche, „wichtige Stimmen der kurdischen Kultur in Deutschland mundtot zu machen“. Es wurde Klage beim Bundesverwaltungsgericht erhoben, seitdem läuft das Verfahren. Mitte März dieses Jahres haben die Anwälte einen Schriftsatz beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht, mit dem die Klage weiter begründet wurde. Im neuen Info des Kölner Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden, AZADÎ e.V., äußert sich Rechtsanwalt Stolle zum Stand der Klage und die Zensur kurdischer Kultur.

Ein wenig mehr als zwei Jahre liegen nun die Verbote des Mezopotamien-Verlages und des MIR-Musikvertriebs und die Beschlagnahme des gesamten Bücher- und Musikbestandes zurück, ohne dass sich seither in dem Verfahren etwas bewegt hat. So zumindest scheint es. Können Sie unseren Leser:innen darlegen, was geschehen ist, seit Sie Klage hiergegen eingereicht haben und welche Probleme diesen Fall besonders machen?

Wir hatten und haben auch immer noch das Problem, unsere Mandantschaft effektiv gegen das Verbot verteidigen zu können. Mit dem Verbot wurden sämtliche Unterlagen des Vertriebes und des Verlages sichergestellt – alle Bücher, Zeitschriften, CDs, Geschäftsunterlagen, einfach alles. Auch die Homepage wurde abgeschaltet. Es ist damit unmöglich, substantiiert vorzutragen, worin die Arbeit der beiden Unternehmen bestand. Wir haben keine Listen der Bücher und der CDs, keine Rechnungen, gar nichts. Selbst in den Sicherstellungsprotokollen stand nur „Kisten mit Büchern“. Wir haben daher gesagt, dass wir Einsicht in die Akten und Asservate brauchen, um die Klage zu begründen. Diese Einsicht wurde uns zumindest zum Teil im November letzten Jahres gewährt, so dass wir jetzt die Klage auch begründen konnten.

Trifft es zu, dass bis heute nichts von dem gesamten beschlagnahmten Material wieder ausgehändigt wurde? Ist Ihnen bekannt, wo sich diese Gegenstände befinden und konnten Sie sich davon überzeugen, dass sie durch die Lagerung nicht beschädigt werden?

Ja, das stimmt, es wurde nichts herausgegeben. Die Sachen liegen beim Bundesverwaltungsamt. Einsicht hatten wir bisher nur in die Geschäftsunterlagen. Die Bücher und Musikträger konnten wir  bisher nicht besichtigen. Besonders bitter ist, dass von der Sicherstellung auch das wohl weltweit größte Archiv an kurdischer Musik betroffen ist. Das musikalische Erbe der Kurd:innen lagert in irgendeinem Lager oder Keller und wird der Welt vorenthalten – unter dem Vorwurf der Terrorbekämpfung. Selbst in der langen Geschichte der Verfolgung von Kurd:innen in Deutschland ist das ein besonders eklatantes Beispiel.

Im März haben Sie einen Schriftsatz beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht. Was hat Sie hierzu veranlasst und welche Forderungen sind damit verbunden?

Wie  gesagt, wir haben die Klage weiter begründet. Bei Verbotsverfahren nach dem Vereinsgesetz, die vom Bundesinnenministerium geführt werden, ist das Bundesverwaltungsgericht die erste und letzte Instanz. Mit unserer Klage legen wir dar, dass mitnichten die Arbeit der Unternehmen auf die Unterstützung der PKK ausgerichtet war. Wir legen dar, dass das Angebot an Büchern und Musikträgern eine sehr breite Palette von künstlerischen Ausdrucksformen und inhaltlichen Beiträgen umfasste. Wir legen weiter dar, dass dieses unterschiedslose Vorgehen einer Zensur kurdischer Kultur gleichkommt.

Es gab in den ganzen Jahren kein einziges Verfahren gegen die Unternehmen wegen der Veröffentlichung eines Buches oder einer CD, bspw. wegen Verstoß gegen das Vereinsgesetz. Jetzt  nach mehreren Jahren einen ganzen Verlag und Vertrieb zu verbieten, obwohl kein einziges Produkt jemals beanstandet wurde, ist offensichtlich rechtswidrig und insbesondere unverhältnismäßig.

Haben Sie eine ungefähre Vorstellung davon, wie sich das Verfahren weiter entwickeln wird und ob es realistisch ist, von einer Rücknahme der Verbote und Rückgabe aller Güter ausgehen zu können? Nicht zuletzt handelt es sich auch in diesem Fall um eine politisch motivierte staatliche Vorgehensweise gegen kurdische Institutionen, deren Vernichtung schließlich dazu führen soll, Kurdinnen und Kurden abzuschneiden von Aufklärung, der eigenen Kultur und politischen Identität. Damit liegt die Bundesregierung ganz auf der Linie des türkischen Regimes. Sehen Sie einen solchen Zusammenhang?

Zweifellos, das Verbot reiht sich ein in eine lange Reihe von vielfältigen Repressionsmaßnahmen gegen Kurd:innen in Deutschland. Wir finden es wichtig, dass gegen dieses Verbot nicht nur mit juristischen Mitteln vorgegangen wird, sondern die Folgen des Verbotes in der Öffentlichkeit thematisiert und kritisiert werden. Die Forderung nach Herausgabe der Kulturgüter ist auch unabhängig von diesem Verfahren zu erheben.