„Deutschland handelt objektiv in türkischem Interesse“

„Wir können nur feststellen, dass, egal wie menschen- und völkerrechtswidrig sich die Türkei verhält, der deutsche Staat objektiv im türkischen Interesse handelt“, sagt die Verteidigung des in Frankfurt wegen PKK-Mitgliedschaft angeklagten Abdullah Ö.

Am 11. April wurde der Prozess gegen den kurdischen Aktivisten Abdullah Ö. vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main eröffnet. Der Kölner Rechtshilfefonds AZADÎ e.V. hat für seinen neuen Infodienst mit Rechtsanwalt Stephan Kuhn und seiner Kollegin Antonia von der Behrens, die in diesem Verfahren den Angeklagten verteidigen, gesprochen.

Was wird Ihrem Mandanten von der Anklage konkret vorgeworfen und welche Anträge haben Sie dem Gericht in den ersten Verhandlungstagen eingereicht?

Unserem Mandanten wird vorgeworfen, sich von August 2019 bis Mai 2021 für die PKK, die in Deutschland bekanntlich als ausländische terroristische Vereinigung im Sinne des § 129b Strafgesetzbuch (StGB) verfolgt wird, betätigt zu haben. Dabei soll er bis Juni 2020 das Gebiet Frankfurt und die Region Hessen geleitet, aber auch darüber hinaus bis ins Saarland gewirkt haben. Im Anschluss soll er für das Gebiet Stuttgart verantwortlich gewesen sein. Im Zuge dessen werden ihm die üblichen für sich genommen jeweils legalen Betätigungshandlungen im Zusammenhang mit Spendensammlungen und politischen Veranstaltungen vorgeworfen.

Wir haben bislang einen sehr ausführlich begründeten Antrag auf Einstellung des Verfahrens gestellt. Diesen begründen wir damit, dass die Verfolgung der PKK als terroristische Vereinigung unserer Ansicht nach auf einer willkürlichen Verfolgungsermächtigung der Bundesregierung beruht, die Völkerrecht und Menschenrechte außer Acht lässt. Im Rahmen des Antrags stellen wir ausführlich dar, warum unseres Erachtens die Türkei nicht den Schutz des deutschen Strafrechts vor der PKK in Anspruch nehmen darf, denn diese agiert nicht terroristisch, sondern als Konfliktpartei in einer kriegerischen Auseinandersetzung, die auf der Unterdrückung der Kurd:innen durch den türkischen Staat beruht.

Gibt es Besonderheiten, die das Verfahren gegen Abdullah Ö. ausmachen?

Es ist seit elf Jahren das erste Verfahren wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in der PKK nach § 129b StGB, das vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main geführt wird. Letztmalig war 2011 eine solche Anklage erhoben worden, jedoch mündete diese lediglich in einer Verurteilung nach dem Vereinsgesetz und nicht nach § 129b StGB. Während bereits alle anderen großen Oberlandesgerichte kurdische Aktivist:innen nach § 129b StGB verurteilt haben, gibt es ein derartiges Urteil aus Frankfurt bis heute nicht. Im Jahr 2016 wurde noch einmal versucht, ein PKK-Verfahren vor das Oberlandesgericht zu bringen – das Landgericht Frankfurt/Main hatte das Verfahren vorgelegt – , jedoch lehnte der zuständige 5. Strafsenat die Übernahme ab. In der Folge hat der Generalbundesanwalt anscheinend dem Gericht nicht mehr „getraut“ und es wurden keine Aktivist:innen mehr dort angeklagt.

Nunmehr hat das Oberlandesgericht Frankfurt/Main mit der Anklage gegen unseren Mandanten quasi eine neue Chance erhalten. Und das Gericht scheint diese nutzen zu wollen. Weil der eigentlich zuständige Staatsschutzsenat – nämlich der 5. Strafsenat, der 2016 die positive Nichtübernahmeentscheidung getroffen hatte – überlastet war, hat man extra für dieses Verfahren einen ganz neuen Senat eingerichtet. Dessen faktisch einzige Aufgabe ist es, das Verfahren gegen unseren Mandanten zu führen. Natürlich haben wir dieses Vorgehen gerügt. Doch der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass hierin kein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Recht, dass nur ein vor dem Verfahren schon feststehender Richter über die Anklage entscheiden darf, liegt. Es wird abzuwarten sein, wie unabhängig sich dieser neue Senat vom Bewährungsdruck machen kann.

Bedenklich stimmt allerdings, dass der Senat durch seine – bisherige – Planung des Beweisprogramms deutlich gemacht hat, dass er die Konstruktion der PKK als einer „ausländischen terroristischen Vereinigung“ eins zu eins aus der Anklage übernehmen und sich kein wirklich eigenes Bild machen will. Diesen Umstand haben wir auch bereits am ersten Hauptverhandlungstag in einem Antrag thematisiert.

Hat Abdullah Ö. bisher eine Prozesserklärung abgegeben und wie ist seine Haltung zu dem Verfahren?

Unser Mandant hat gleich am ersten Hauptverhandlungstag eine Erklärung abgegeben, in der er zum Newrozfest gratulierte und betonte, dass der Kampf der Kurd:innen kein Terrorismus ist. Ein zentraler Satz in der Erklärung war: „Es ist alles andere als selbstverständlich, dass ich heute vor Ihnen stehe. Denn so viele meines Volkes und meiner Generation sind ermordet worden oder für ihr Leben körperlich oder seelisch gezeichnet. Doch haben wir uns nie der Repression gebeugt. Wir haben nie die Hoffnung aufgegeben, mit anderen Völkern gleichberechtigt und in Frieden und Freiheit leben können.“

Außerdem hat der Mandant am zweiten Hauptverhandlungstag mit seiner ausführlichen politisch-historischen Erklärung begonnen, in der er eindrucksvoll als Zeit- und Augenzeuge die Entstehung der PKK, die Aufnahme des bewaffneten Kampfes und die Bedingungen, die hierzu geführt haben, schildert. Dies ist aus unserer Sicht der wesentliche Punkt und eine Besonderheit dieses Verfahrens: einen Angeklagten zu haben, der all dies über einen solch langen Zeitraum bezeugen kann. Er stammt aus einem Dorf im Kreis Halfeti in der Provinz Urfa und hat als Kind und als Jugendlicher noch die Zeit erlebt, wie die Apocular (Anhänger des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan) in die Dörfer kamen und dort die arme kurdische Bevölkerung gegen die Großgrundbesitzer organisierten, er hat die Gründung der PKK mitbekommen, den Militärputsch von 1980 und die Aufnahme des bewaffneten Kampfes und anschließend die Schwierigkeiten des Exils.

Sie führen inzwischen seit vielen Jahren derartige Prozesse und haben dadurch einen tiefen Einblick in die politische Situation, insbesondere hinsichtlich der Menschenrechtslage der Türkei gewinnen können. Wie hat sich das auf die Verteidigung Ihrer kurdischen Mandant:innen, die in den 129b-Verfahren als Terrorist:innen kriminalisiert werden, ausgewirkt?

Seit Beginn der Prozesse nach § 129b StGB vor bald zehn Jahren hat sich dank zahlreicher dahingehender Aktivitäten der Angeklagten und ihrer Verteidiger:innen etabliert, dass die Türkei in den Verfahren und den Urteilen zutreffend als ein Staat dargestellt wird, der die Kurd:innen unterdrückt und Menschen- und Völkerrecht missachtet. An der Verfolgung kurdischer Aktivist:innen in Deutschland und ihrer Bestrafung hat dies allerdings nicht das Geringste geändert.

Die Ermächtigungen, die das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucher (BMJV) zur strafrechtlichen Verfolgung von Aktivist:innen erteilt, basiert rechtlich auf dem §129b StGB. Beteiligt sind an diesem Prozess das Bundesinnenministerium, das Auswärtige Amt und das Bundeskanzleramt.

In den überwiegenden Fällen der § 129b-Verfahren datiert die Ermächtigung vom 6. September 2011, das heißt, die Angeklagten, die heute vor Gericht stehen und verurteilt werden, sehen sich mit einer 11-jährigen Verfolgungsgrundlage konfrontiert. Das würde bedeuten, dass die politischen Verhältnisse in der Türkei, z.B. die Entwicklung zur Autokratie sowie von der PKK vorgenommenen Veränderungen seitdem nicht berücksichtigt und die Kriterien nicht überarbeitet worden sind. Sehen wir das richtig?

Das ist eine sehr gute Frage, die wir im Ergebnis nicht beantworten können, da die Bundesregierung uns ihre Entscheidungsfindung und -gründe nicht erklärt. Wir können nur feststellen, dass, egal wie menschen- und völkerrechtswidrig sich die Türkei verhält, der deutsche Staat objektiv im türkischen Interesse handelt, indem er fortwährend kurdische Aktivist:innen in Deutschland verfolgt.

Wie ist es aus demokratischer Sicht möglich und nachvollziehbar, dass diese Ermächtigungen nicht begründet werden müssen und juristisch nicht angreifbar sind? Welche Möglichkeiten haben Sie dann als Verteidiger:innen, sich juristisch gegen diese Regelung in §129b StGB zur Wehr zu setzen, zumal es bereits Initiativen zur Rücknahme der Verfolgungsermächtigung gegeben hat?

Wir halten den § 129b StGB jedenfalls in Form seiner gegenwärtigen Anwendungspraxis für verfassungswidrig, da letztlich die Bundesregierung aus politischen Gründen und ohne transparente Entscheidungsgründe bestimmt, wer als Terrorist verfolgt und eingesperrt wird. Wohlgemerkt sprechen wir ja von Menschen, denen lediglich vorgeworfen wird, sich hier friedlich politisch und organisatorisch zu betätigen.

Teilen Sie vor diesem Hintergrund die Auffassung vieler, dass die §129b-Verfahren gegen kurdische Aktivist:innen politisch motiviert sind und es sich bei den Angeklagten um politische Gefangene handelt?

Ja!

Ein Novum: Im aktuellen Fall eines 71-jährigen Kurden wird dieser beschuldigt, über einen Zeitraum von zehn Jahren für die PKK verantwortlich tätig gewesen zu sein. Wie ist der Vorwurf über einen solch langen Zeitraum möglich? Gibt es im Zusammenhang mit dem §129a/b keine Verjährungsfristen und was bedeutet ein solche Anklage für den Betroffenen?

Verjährungsfristen spielen in diesem Zusammenhang leider keine Rolle, da sie erst ab Ende der Betätigung gelten und in Deutschland allgemein sehr lange währen. Der eigentliche Punkt ist, dass in solchen Fällen die Strafverfolgungsbehörden oftmals schon viele Jahre Hinweise auf die angeblich terroristische Tätigkeit haben, den Betroffenen aber über Jahre gewähren lassen und ihn dann für die unter ihren Augen erfolgte Betätigung bestrafen. Ein Widerspruch in sich: Einen gefährlichen Terroristen jahrelang schalten und walten zu lassen und dann für seine Gefährlichkeit wegzusperren. Für den Betroffenen wirkt sich ein langer Tatzeitraum in der Regel in einer hohen Strafe aus.

Es ist zwar erfreulich, dass inzwischen die Senate der Oberlandesgerichte nicht zuletzt durch die Vielzahl der ausführlichen und fundierten Anträge der Verteidigung das Vorgehen des türkischen Staates gegen Kurdinnen und Kurden besser einordnen und mehr Verständnis für die politische Haltung der Angeklagten aufbringen, diese aber letztlich doch zu Haftstrafen verurteilt werden. Wir behaupten, dass die Gerichte nicht unabhängig in ihren Entscheidungen sind, sondern sich seit November 1993 an den politischen Verbotsvorgaben der jeweiligen Bundesregierung zu orientieren haben, die allesamt von den gerichtlichen Instanzen – bis hin zum Bundesgerichtshof/Bundesverfassungsgericht – übernommen worden sind. Welche Spielräume bleiben den Verteidiger:innen angesichts dieser aussichtslos scheinenden Situation?

Es ist in der Tat ein Punkt, der uns sehr beschäftigt, dass wir mittlerweile inhaltlich auf viel Zustimmung seitens der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte stoßen, die den Mandant:innen gegenüber teilweise und auf gewisse Art und Weise auch glaubhaft Verständnis, Wohlwollen und Sympathie bekunden und die Türkei durchaus als Aggressor bezeichnen. Andererseits ändert dies nichts daran, dass Verurteilungen erfolgen und es auch nicht einmal durchgehend ersichtlich ist, dass sich dieses Verständnis in einem niedrigeren Strafmaß auswirkt.

Es ist sehr zu befürchten, dass es unter den gegebenen politischen Entscheidungen – also PKK-Verbot und Verfolgungsermächtigung – bei dieser Verurteilungspraxis bleiben wird. Eine wirkliche Veränderung kann nur auf politischer Ebene bewirkt werden.

Dennoch sind wir Verteidiger:innen verpflichtet zu überlegen, wie wir mit dieser schwierigen Situation umgehen und wie wir den vielgestaltigen Interessen unser Mandant:innen, die ja oftmals nicht zuletzt politischer Natur sind, mit unseren Mitteln künftig noch besser Geltung verschaffen können. 

Wir bedanken uns für das Gespräch.


Hinweis: Nachdem Abdullah Ö. am 13. April den ersten Teil seiner Erklärung vorgetragen hat, wird er diese in der Verhandlung am 4. Mai fortsetzen, die um 9.30 Uhr in Saal II vor dem OLG Frankfurt/Main, Konrad-Adenauer-Str. 20, beginnt.