In Hannover hat am Sonntag die mit Spannung erwartete Regionaltagung zur Kriminalisierung der kurdischen Bewegung und der Kurdistan-Solidarität stattgefunden. Die vom Kölner Rechtshilfefonds AZADÎ, dem Verein BIRATÎ in Bremen und dem Demokratischen Gesellschaftszentrum der Kurd*innen in Hannover (NAV-DEM) getragene und von der Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützte Veranstaltung stellte die verschiedenen Aspekte der Kriminalisierung des kurdischen Befreiungskampfes zur Diskussion und bot eine Plattform für die Entwicklung von gemeinsamen Gegenstrategien. Es ist bereits die zweite Konferenz dieser Art, die erste fand letztes Jahr zu Bayern statt. Jetzt wollte man sich dem Schwerpunkt Hannover und Bremen widmen.
In seiner Eröffnungsrede stellte der AZADÎ-Vorsitzende Dr. Elmar Millich die Arbeiten des Rechtshilfefonds vor und begründete die Notwendigkeit der Konferenz auch mit den Auswirkungen der Verfahren nach §§129a/b Strafgesetzbuch, von denen inzwischen nicht mehr nur Kurdinnen und Kurden, denen ein Engagement für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vorgeworfen wird, betroffen sind, sondern auch Strukturen der türkisch-kurdischen Linken, die weder in Deutschland noch in der EU einem Verbot unterliegen. Millich führte aus, dass sich derzeit acht kurdische politische Aktivistinnen und Aktivisten wegen Anklagen nach den sogenannten Terrorparagraphen in deutschen Gefängnissen befinden.
Sven Adam: Kurdische Bewegung von Gesinnungsjustiz betroffen
Nach weiteren Grußworten von AZADÎ und NAV-DEM-Hannover begann die erste Sitzung über die politisch-rechtliche Einordnung und die Hintergründe der Kriminalisierung. Der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam widmete sich den Beispielen im Großraum Niedersachen und Bremen. „Repressionen und Kriminalisierung gegenüber Kurd*innen; ich kann euch fünf Stunden über dieses Thema erzählen”, sagte der Jurist direkt zu Beginn. Weiter führte Adam aus, dass die kurdische zu den Bewegungen gehöre, die am meisten mit politischer Repression durch staatliche Institutionen überzogen werde und von einer de facto Gesinnungsjustiz betroffen sei. Der Mantel der Repression gegen Kurd*innen sei das Vereinsverbot von 1993. Adam erläuterte im Weiteren die Historie des Betätigungsverbots hin zu den Paragraphen 129a/b StGB. Auch wies der Anwalt auf die Ausweitung der Strafverfolgung auf syrisch-kurdische Organisationen wie die YPG/YPJ hin.
Große Datensammlung über kurdische Aktivist*innen
Die Konsequenz seien Angriffe von gepanzerten Polizeieinheiten auf kurdische Demonstrationen wegen einzelnen YPG/YPJ-Fahnen, die im Zuge der Solidarität mit Rojava häufig auf Demonstrationen präsent seien, resümierte Adam. Nach der Ausweitung des seit nunmehr 27 Jahren geltenden Verbots der PKK sind seit Frühjahr 2017 unter anderem die Symbole der YPG/YPJ/PYD dann verboten, wenn durch sie ein „PKK-Bezug“ vermutet werden kann. Es wird unterstellt, die PKK bediene sich „ersatzweise“ dieser Zeichen. Adam merkte an, dass mittlerweile auch Antifa-Enternasyonal-Fahnen, die der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) ähneln, betroffen sind. Anwältinnen und Anwälte würden nun mit absurden und niedrigschwelligen Verfahren konfrontiert, kritisierte Adam. Dadurch gebe es eine große Datensammlung über kurdische Aktivist*innen. Aus einer formalistischen Ebene werde der in der Türkei und in Kurdistan ausgetrage Konflikt in Deutschland im Interesse von Erdogan strafrechtlich exekutiert. Durch die Subsumierung unter das PKK-Verbot würden aber auch Verlage oder Fernsehsender verboten, wie zuletzt der in Neuss ansässige Mezopotamien-Verlag im Februar 2019, sagte Adam.
Sven Adam, Cansu Özdemir, Osman, Heidi Merk (v.l.n.r.)
Heidi Merk: VS-Berichte bei Prozessen in der Türkei zitiert
Die Politikerin Heidi Merk (SPD), ehemalige Justizministerin in Niedersachen, sprach über die Verantwortung und Rolle der Landespolitik gegenüber der kurdischen Diaspora in Niedersachsen. Merk leitete ihre Rede mit der Begrüßung des Publikums ein, gesonderte Grüße richtet sie an den Verfassungsschutz Niedersachsen, der sich sicherlich Notizen für den kommenden VS-Bericht mache.
„Die Kurd*innen in Deutschland tragen das Verbot wie eine Dauerschuld mit sich herum”, sagte Merk. Demonstrationen für Freiheit und Demokratie in der Türkei würden auf Veranstaltungen von PKK-Mitgliedern reduziert, um diese zu kriminalisieren. Die Verfassungsschutzberichte der verschiedenen Länder deckten sich sprachlich und inhaltlich, unklar sei nur, wer von wem abschreibt. Offensichtlich seien sie geschmückt mit zahlreichen unbelegten Behauptungen zu Kurd*innen, mutmaßte Merk und äußerte, dass VS-Berichte bereits bei Prozessen in der Türkei zitiert worden seien, um Aktivist*innen aus Deutschland als „Terroristen“ zu verurteilen.
Stigmatisierende Maßnahmen ohne strafrechtliches Verhalten
Merk zitierte anschließend die Begründung zum PKK-Verbot von 1993 und kommentierte: „Ich will nicht bestreiten, dass die Beschreibung in den einen oder anderen Fällen auch zutrafen, allerdings darauf mit dem Hammer des Partei- und Betätigungsverbots zuzuschlagen, hielt ich auch als Justizministerin für falsch und wurde deshalb in der Öffentlichkeit sehr gescholten. Erkennbar war damals auch schon, dass es zu stigmatisierenden Maßnahmen gegen Einzelne führen würde, bevor diese überhaupt ein strafrechtliches Verhalten vorgelegt haben könnten.”
Stille Diplomatie und Unterwürfigkeit gegenüber Erdogan
Unerträglich sei zudem die stille Diplomatie und die Unterwürfigkeit der Bundesregierung gegenüber Erdogan, sagte Merk. Es sei sogar „das Schlimmste”, was sie „seit ihrer Geburt” in Deutschland erlebe. Besonders wichtig sei daher, dass die Kriminalisierung der Kurd*innen aufhört, um den Demokratisierungsprozess in der Türkei einzuleiten und durchzuführen. Und die politische Gleichgültigkeit müsse durch eine Antwort ersetzt werden, die laute: Solidarität. „Es ist unsere Verantwortung als demokratische Gesellschaft. Wir müssen uns für die versagten Rechte der Kurd*innen in der Türkei einsetzen, damit die hier lebenden Kurd*innen sich verstanden fühlen.“
Cansu Özdemir: Kein Krimi, sondern Alltag von Oppositionellen in Deutschland
Die Ko-Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft, Cansu Özdemir, sprach über die Einflussnahme der türkischen Regierung und die Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes MIT in Deutschland. Ihre Rede eröffnete sie mit einer Danksagung an AZADÎ und an die Rote Hilfe für deren jahrelange juristische Unterstützung für betroffene Aktivist*innen von juristischer Schikane. Bereits seit 2013 recherchiert Özdemir mit weiteren Personen die Netzwerke Erdogans hier in Deutschland und Europa, um aufzuzeigen, wie das türkische Regime nicht nur Oppositionelle in der Türkei, sondern auch hierzulande verfolgt. Jahrelang hätten die Regierungen von Europa tatenlos zugesehen, wie eine geistige Eroberung stattgefunden habe und gewaltbereite Gruppen aus dem AKP/MHP-Lager, darunter die rechtsextremen „Grauen Wölfe”, sich versammelten, beispielsweise vor dem Bundestag bei der Armenien-Resolution. Özdemir unterteilte die genannten Netzwerke in ideologisch-politische, religiöse, bewaffnete und Gruppen von türkischstämmigen Deutschen, um die Verflechtung der Strukturen aufzuzeigen. Die koordinierende Funktion in Deutschland hätten laut Özdemir die Generalkonsulate, die zuständig für die Organisierung und Absprache mit der türkischen Regierung seien und Umsetzungsbefehle erhielten.
SPD, CDU und Grüne von UID unterwandert
Özdemir legte den Fokus zunächst auf die UETD (Union Europäisch-Türkischer Demokraten), die inzwischen in UID (Union internationaler Demokraten) umbenannt wurde und eine Lobbyorganisation der AKP sei. Diese Unterorganisation unterwandere Parteien wie die SPD, Grüne und die CDU und habe es mittlerweile geschafft, in die Parlamente einzudringen, zuletzt in Bremen. Zudem sei sie eng mit islamistischen Organisationen verflochten, so auch mit Strukturen, die dem deutschen Salafisten Ibrahim Abou-Nagie nahestehen.
Ein weiteres zentrales Element dieses Netzwerkes seien ideologisch-religiöse Anstrengungen, die von der „Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş“ (IGMG), DITIB, der Muslimbrüderschaft und weiteren salafistischen Gruppierungen getragen würden und daran beteiligt gewesen seien sollen, junge Menschen für den Dschihad zu mobilisieren. Der weitaus gefährlichste Teil sei jedoch der bewaffnete Arm mit den sogenannten „Osmanen Germania” an der Spitze, die von Erdogan persönlich beauftragt worden seien, Oppositionelle zu jagen und sie zu misshandeln. Zusätzlich würden Mordkommandos gezielt aus der Türkei nach Europa geschickt, um „unliebsame Personen” zu ermorden. Als Beispiel nannte Ödemir den Dreifachmord an den kurdischen Revolutionärinnen Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez im Januar 2013 in Frankreich durch einen MIT-Agenten.
Behörden und Medien verharmlosen reale und allgegenwärtige Gefahr
Für kritische Stimmen in den sogenannten sozialen Medien sei die türkische Bürgerwehr zuständig, die ihre Rolle als Medienpolizei spiele. In Online-Netzwerken mache sie Oppositionelle ausfindig und denunziere sie direkt bei der Zentralbehörde der türkischen Polizei. Einige Betroffene sitzen aktuell in türkischen Gefängnissen. Özdemir bemerkte, dass all diese Tätigkeiten äußerst erfolgreich umgesetzt würden und mittlerweile so weit reichten, dass selbst deutsche Strukturen - auch Sicherheitsbehörden – unterwandert seien. Auch machte die Linkspolitikerin auf die Drohungen gegen Politiker*innen in Österreich aufmerksam. Vergangene Woche war bekannt geworden, dass auf die kurdischstämmige Grünenpolitikerin Berivan Aslan und auf den ehemaligen österreichischen Nationalratsabgeordneten Peter Pilz ein Anschlag geplant war. Dieser sei nur verhindert worden, weil sich der vermeintliche MIT-Agent den Behörden stellte. Özdemir sprach von einer realen und allgegenwärtigen Gefahr, die aber als falsch deklariert oder verharmlost werde. „Die Medien stellen Ereignisse wie diese oft als Krimi dar, aber das sind keine Krimis, sondern der Alltag der Oppositionellen in Europa. Das muss den Medien, aber vor allem den deutschen Sicherheitsbehörden, klar werden.”
Nur noch eine Frage der Zeit?
Es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis deutsche Sicherheitsbehörden es nicht mehr schafften, für die Sicherheit der Oppositionellen zu sorgen und es zu Todesfällen durch Mordkommandos aus der Türkei komme, weil die Sicherheitsbehörden damit beschäftigt seien, ihre Kapazitäten für die Kriminalisierung der kurdischen Bewegung zu verbrauchen, warnte Özdemir. Der beste Schutz sei es, alle Fälle und Informationen öffentlich zu machen, um zu verhindern, dass erneut Morde wie die in Paris stattfinden können. Die Vernetzung von AKP/MHP-nahen Strukturen in Deutschland habe System und sei stärker, als bisher angenommen. Während ihrer Recherchen stoße sie ständig auf weitere Gruppen, die auch immer gewaltbereiter seien, so Özdemir.
Gut besuchte Regionaltagung im Kulturzentrum Pavillon
Sven Adams: Besondere Qualität der Kriminalisierung in Niedersachsen
Auf die Frage aus dem Publikum, ob es regionale Unterschiede bei der Repression gegen Kurd*innen in Deutschland gibt, antworte Rechtsanwalt Sven Adams: „In der Tat.” Diese seien vor allem beim Fahnenverbot klar zu erkennen, das wie ein Flickenteppich regional unterschiedlich gehandhabt werde. Die Verfolgung von Kurd*innen in Deutschland sei ohnehin eine politische Entscheidung und die Länder könnten zum Teil selbstständig entscheiden, ob sie handeln oder nicht. „In Berlin können Bilder von Öcalan und den YPG/YPG gezeigt werden, in Niedersachen wird hingegen jede Demonstration zum Anlass genommen, diese von der Polizei massiv anzugreifen”, erklärte Adams. Kurdische Aktivist*innen würden eine andere Art von Repressionen erfahren, dazu gehörten Kennzeichenverbote einer gesamten Befreiungsbewegung. Dadurch werde auch institutioneller Rassismus ausgelebt und durch die Gerichte exekutiert. Das Problem seien die Gesetze und das Gesinnungsstrafrecht. „Aber jeder Angriff auf kurdische Aktivist*innen trifft uns Linke alle gleich“, so Adams.
Merk: Solidarität als Schutzschild gegen antikurdische Repression
Heidi Merk forderte die deutsche Gesellschaft auf, sich mit den Kurd*innen zu solidarisieren, um nicht nur eine Brücke zu schaffen, sondern auch eine Art Schutzschild gegen die staatlichen Repressionen zu bilden. Entscheidend sei, dass die massive Verfolgung in der Türkei im Bundestag erörtert werden müsse. Die deutsche Politik suche förmlich nach Terrorismus, der angeblich von der PKK ausgehe. „Zu Belarus fällt ihnen jeden Tag was Neues ein, aber zur Türkei fällt nicht ein einziger Stein. Und das geht nicht“, sagte Merk. Auf die Frage, ob die kurdische Freiheitsbewegung vor dem Hintergrund des Betätigungsverbots der PKK nicht von Abdullah Öcalan differenziert werden sollte, antwortete Merk: „Man kann den Anführer der Partei nicht von seiner Partei trennen, genauso wenig wie man sich die SPD nicht ohne Willy Brandt denken kann.“
Cansu Özdemir führte an dieser Stelle an, dass es hinter den Kulissen sowohl bei der SPD als auch der CDU die Diskussion gegeben habe, ob das PKK-Verbot nicht aufgehoben werden sollte. Aufgrund des Drucks von Erdogan seien diese Gespräche jedoch verworfen worden. „Ich denke, dass die Aufhebung des PKK-Verbots in greifbarer Nähe ist. Es wird keine Jahrzehnte brauchen, aber nur mit unserer Mitwirkung“, sagte Özdemir.
Session 2: „Repression trifft Einzelne, gemeint sind wir alle!”
Die zweite Sitzung wurde vom Ko-Vorsitzenden des kurdischen Dachverbands KON-MED, Tahir Köcer, eröffnet. In dieser Runde ging es um den Umgang mit Repression, die zwar auf Bewegungen und Organisationen zielt, aber den Einzelnen trifft. Köcer gab einen kurzen Einblick in die Geschichte des kurdischen Volkes, zu Beginn schallte der Satz „Wir sind vor dem Regen geflohen und im Sturm gelandet” dem Publikum entgegen. Weiter führte Köcer aus: „Das kurdische Volk lebt seit tausenden Jahren in seinen heutigen Gebiet, mit einer eigenen Sprache, Kultur und Identität. Aber seit Jahrzehnten versucht der türkische Staat dieses Volk zu vernichten. Über 4000 Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht, es wurde nicht nur ein militärischer, sondern auch ein psychologischer Krieg geführt. Und genau das ist der Grund, warum so viele Kurdinnen und Kurden hier in Deutschland leben. Wie Sven Adams vorhin erwähnte, könnten wir stundenlang, wenn nicht sogar tagelang über das kurdische Volk sprechen.
Amara, Tahir Köcer, Ayfer und Dirk Wittenberg (v.l.n.r.)
Kriminalisierung folgt psychische Folter
Einer dieser Kurden, die aufgrund der genannten Gründe ihre Heimat verlassen mussten, bin ich. Ich wurde verfolgt, verhaftet und gefoltert. Deshalb musste ich meine Heimat verlassen und flüchten. Zur Erhaltung unserer Sprache, unserer Kultur und unserer Identität haben wir hier in der Diaspora verschiedene Organisationen gegründet. Mit der Gründung von NAV-DEM im Jahr 2014 haben wir uns den politischen Gegebenheiten anpassen können, durch ein Verbot hat eine Umstrukturierung zu KON-MED stattgefunden. Unsere Aufgaben sind die gleichen geblieben, aber auch die Repressionen, denen wir ausgesetzt werden, sind dieselben. Wir sind eingetragene Vereine und handeln im Sinne der Satzungen, dennoch werden wir kriminalisiert und sind psychischer Folter ausgesetzt. Die BRD ist ein Handlanger Erdogans, sie dokumentiert unsere Aktivitäten hier und übergibt sie dem türkischen Staat. Wir sind Opfer der deutsch-türkischen Waffenbrüderschaft, die im Ersten Weltkrieg entstanden ist. Derweil wird die Weltöffentlichkeit ihrer Verantwortung den Kurden gegenüber noch immer nicht gerecht. Das signalisiert uns, dass wir uns noch mehr bemühen müssen.“
Ort der Erinnerung für Halim Dener
Dirk Wittenberg von der Kampagne Halim Dener und UJZ Kornstraße fasste zusammen, wie die Reaktion auf staatliche Repression aussehen sollte. Die kurdische Bewegung sei ein Teil der Gesellschaft Deutschlands und in dem revolutionären Prozess von Kobanê und Rojava der antreibende Faktor. „Die Kurd*innen werden mit der PKK gleichgesetzt, sodass keinerlei Annährungsversuche stattfinden, damit diese Volksgruppe totalisoliert wird. Unsere Verantwortung ist es, diesen Kampf zu unterstützen, denn das einzige, was diese staatliche Isolation bzw. die innerstaatliche Feinderklärung durchbrechen kann, ist unsere Solidarität.” Unentbehrlich sei auch der Punkt, der städtischen Bevölkerung Hannovers die Bedeutsamkeit einer Erinnerungskultur klarzumachen. Die Kampagne fordert seit Jahren einen angemessenen Erinnerungsort für den kurdischen Geflüchteten Halim Dener, der 1994 als 16-Jähriger beim Plakatieren von der Polizei in Hannover erschossen worden war.
Frauenrat Ronahî: Je stärker die Organisierung, desto höher die Repression
Im weiteren Verlauf der Sitzung stellte eine Aktivistin vom Frauenrat Ronahî in Hannover die Arbeit verschiedener Kommissionen des Rates vor. „Wir wollen die Stimme der Frau sein, uns mit Frauen organisieren und zeigen, dass wir eben nicht das schwache Glied der Gesellschaft sind, ganz im Gegenteil”, sagte die Aktivistin. Die Gesellschaft müsse verstehen, dass das Patriarchat im Mittleren Osten nicht stärker ausgeprägt sei, sondern überall gleichsam die Frau unterdrückt. „Eine unserer Hauptaufgaben ist daher die Organisierung von Frauen, Vernetzung mit anderen feministischen Gruppierungen und die gemeinsame Arbeit gegen Femizid. Je stärker wir uns organisieren, desto stärker sind wir. Aber im selben Atemzug steigen auch die Repressalien gegen uns.“
Session 3: „Solidarität und Antirepressionsarbeit sind unsere Antworten
Die letzte Sitzung der Tagung wurde mit einem Beitrag der Bochumer Rechtsanwältin Heike Geisweid eröffnet. Geisweid, die auch Vorsitzende des Vereins für Demokratie und internationales Recht (MAF-DAD) ist, sprach über ausländerrechtliche Schikanen gegen Kurd*innen und äußerte, dass Personen, die nach §129b verurteilt wurden, in der Regel ausgewiesen werden. An dieser Stelle ist anzumerken, dass die Bundesregierung im Jahr 2002 im Rahmen der Antiterrorpakete gravierende Gesetzesänderungen im Ausländerrecht beschlossen hat. Die Änderungen betreffen Ausweisungen, Asyl- und Einbürgerungsverfahren. So führt die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung auch nachträglich zu einer Asylaberkennung wegen „Unwürdigkeit”.
Ausländerrecht dient zur weitgreifender Überwachung
„Das Ausweisungsrecht definiert, wer ausgewiesen werden darf und das sind in der Regel alle Menschen, die Aktivitäten betreiben, die die innere Sicherheit gefährden. Die Ausweisung selbst führt nicht immer zur Abschiebung, das heißt die Person wird lediglich geduldet. Demnach dient das Ausländerrecht vor allem zur weitgreifender Überwachung”, erklärte Geisweid. Weiter führte die Juristin aus, dass jeder Verein, der dem früheren kurdischen Dachverband YEK-KOM angeschlossen war, unter das PKK-Verbot falle. Und jeder Mensch, der in diesen Vereinen aktiv ist, könne ausgewiesen werden. Es seien meist sehr existenzielle Fragen, nämlich ob den Aktivist*innen das Bleiberecht aberkannt oder gar nicht erst anerkannt wird. Wie das dann in der Praxis aussieht, erläuterte Geisweid so: „Da hängen der Aufenthaltsstatus, das Arbeitsrecht und der Aufenthalt der Familie dran. Es bricht also ein ganzes Leben aufgrund der Teilnahme an einigen Demonstrationen zusammen, obwohl diese von legalen Vereinen organisiert und angemeldet worden sind und keinerlei Straftaten stattgefunden haben. Die Generalprävention tätig, d.h. der bloße Verdacht, dass eine Straftat begangen werden könnte, reicht aus um Demonstrationsteilnehmer*innen auszuweisen. Die Rechtsfolge einer Ausweisung ist die Abschiebung.”
In der Türkei verkündete Urteile werden von der BRD übernommen
Nach Angaben der Rechtsanwältin würde in Deutschland eine Vielzahl von Antragsteller*innen für Asyl als unfähig eingestuft, weil sie in der Türkei politisch aktiv gewesen seien und nach dieser Kausalität auch für die innere Sicherheit der BRD eine mögliche Gefahr darstellen könnten. Diese Ablehnungen würden auch als offensichtlich unbegründet abgelehnt bezeichnet. „Im Umkehrschluss heißt es, die in der Türkei verkündeten Urteile werden von der BRD übernommen”, so Geisweid. Auch Mitglieder der HDP bzw. DBP würden in Deutschland kriminalisiert, da nicht auszuschließen sei, dass die HDP als legal organisierte politische Organisation eine Unterorganisation der PKK sei. „Wenn wir das PKK-Verbot aufheben können, bricht die ganze Repressionspolitik wie ein Kartenhaus in sich zusammen”, folgerte Geisweid.
Vorstellung der Arbeiten von EA-Hannover und Rote Hilfe
Der Ermittlungsausschuss (EA) unterstützt emanzipatorische Kämpfe, die der Staat versucht zu unterdrücken. Kernaufgabe ist hierbei nicht nur die Vermittlung von Anwält*innen, sondern vor allem die Schaffung eines gemeinsamen Bewusstseins über die eigenen Rechte, um gemeinsam eine politische Haltung aufzuzeigen. Der EA versteht sich nicht als Dienstleistungsbetrieb, sondern als Teil der linken Szene und hat antirassistische, antisexistische und antifaschistische Ansprüche. Er leistet Unterstützung für Betroffene von staatlicher Repression und ist strömungsübergreifend für das ganze linke Spektrum da.
Die Rote Hilfe ist eine Solidaritätsorganisation, die politisch Verfolgte aus dem linken Spektrum unterstützt. Sie konzentriert sich auf politisch Verfolgte aus der BRD, bezieht aber auch nach Kräften Verfolgte aus anderen Ländern ein. Deutschlandweit hat der Verein inzwischen rund zwölftausend zahlende Mitglieder aus den verschiedensten linken Organisationen. In einigen Städten gibt es Ortsgruppen, so auch in Hannover. Auch wenn die Ortsverbände in einigen Punkten unterschiedlich arbeiten, versteht sich die Rote Hilfe als Solidaritätsorganisation für die gesamte Linke. Daher lautet das Grundprinzip, bei Repression einheitlich dagegen vorzugehen. Die Unterstützung des Vereins gilt allen, die als Linke wegen ihres politischen Handelns vor Gericht gestellt und/oder veruteilt werden und soll zugleich ein Beitrag zur Stärkung der Bewegung sein. Jede und jeder, die sich am Kampf beteiligen, soll das in dem Bewusstsein tun können, dass sie auch hinterher, wenn sie Strafverfahren bekommen, nicht alleine dastehen, so die Philosophie der Roten Hilfe.