Alkan: Migrationspolitisch forcierter Identitätsverlust

Medya Alkan von der Migrations-NGO GÖÇ-DER fordert Unterstützung für die Rückkehrmöglichkeiten in ehemals geräumte kurdische Dörfer. Sie sieht hierin ein wirksames Mittel gegen einen geografischen Identitätsverlust durch die türkische Migrationspolitik.

Für das Recht auf Rückkehr in geräumte Dörfer

Medya Alkan, Ko-Vorsitzende des in Amed (tr. Diyarbakır) ansässigen Forschungsvereins für Migration (GÖÇ-DER), hat ANF gegenüber erklärt, dass das Kernziel der Migrationspolitik des türkischen Staates darin bestehe, die Bevölkerung Kurdistans zu dezimieren. In diesem Sinne sei die Rückkehr in ehemals geräumte kurdische Dörfer unerlässlich, um weitere Abwanderung zu verhindern.

Migrationspolitik zerstört gezielt kurdische Identität

Bereits kurz nach dem Aufstand von Şêx-Seîd (1925) entwickelte die türkische Regierung eine umfassende Strategie zur Durchsetzung der türkischen Herrschaft und Kultur im Osten des Landes. Diese insbesondere kurdische Gebiete betreffende Strategie wurde „Reformplan für den Osten“ genannt.

„Seit der Ära des ‚Reformplans für den Osten‘ hat der Staat spezielle Kriegsmaßnahmen umgesetzt, um die demografische Struktur Kurdistans nach seinen eigenen Vorstellungen umzugestalten“, erklärte Alkan, „es ist allgemein bekannt, dass in den 1990er Jahren Dörfer zwangsweise evakuiert wurden. Der Staat hat versucht, Städte nach seinem eigenen Bild neu zu gestalten. Mit seiner Migrationspolitik will er den Städten in Kurdistan ihre Identität nehmen.“

Mit Bezug auf die Zunahme der Migration nach Europa wies Alkan darauf hin, dass der Staat diesen Trend bewusst fördere. Sie führt aus: „Der Staat will keine organisierte Jugend. Er verfolgt eine Strategie des ‚Teile und herrsche‘. Er versucht, die kurdische Jugend von ihrer Heimat zu trennen.“

Der Staat muss Verantwortung übernehmen

Insbesondere in den letzten Jahrzehnten habe der türkische Staat verstärkt auf Vertreibungen gesetzt. Um diese erzwungene Migration nun wieder umzukehren, brauche es konkrete Schritte und Verantwortungsübernahme durch den Staat: „Das Thema Migration ist nicht nur ein Problem für die Menschen, sondern auch für den Staat. Der Staat muss Verantwortung übernehmen. So wie er einst die Dörfer geräumt hat, muss er nun den Weg für die Rückkehr der Menschen ebnen.“

Im Rahmen der Aktionswoche für die Opfer von Flucht und Vertreibung (14.–20. Juni) habe die NGO im Parlament mit allen politischen Parteien Treffen zum Thema Rückkehr in die Dörfer abgehalten. Auch habe sie mittels Presseerklärungen die Menschen öffentlich dazu aufgerufen, in ihre Dörfer zurückkehren. Dieses Engagement ist Teil eines langfristigen Vorhabens der Organisation: „Migration findet aus wirtschaftlichen und politischen Gründen sowie aufgrund der Struktur des Regimes statt. Dies kann verhindert werden, indem eine Rückkehr in die Dörfer ermöglicht wird. Wir haben Ideen dazu und arbeiten daran, sie in die Praxis umzusetzen.“

Der „Reformplan für den Osten“

Um die türkische Herrschaft und Kultur zwei Jahre nach Staatsgründung in der gesamten Türkei durchzusetzen, wurde 1925 der sogenannte „Reformplan für den Osten“ von der türkischen Regierung entwickelt. Als Antwort auf den Aufstand von Şêx-Seîd, der im Kern die Forderungen nach kulturellen und politischen Rechten der Kurd:innen beinhaltete, betraf diese Strategie insbesondere die kurdischen Gebiete.

Der Plan sah eine Reihe von Maßnahmen vor, um die kurdische Bevölkerung zu assimilieren und die Kontrolle der Zentralregierung zu stärken. Neben Zwangsverwaltungen, der Deportation gesellschaftlicher Schlüsselpersonen, der brutalen Unterdrückung der kurdischen Sprache und Kultur sowie verschiedener wirtschaftlicher Eingriffe, umfasste er insbesondere die gezielte und erzwungene Umsiedlung der kurdischen Bevölkerung. Hierdurch sollte die kurdische Bevölkerungsdichte reduziert und somit die Kontrolle erleichtert werden.

Der Reformplan für den Osten war Teil einer umfassenden Türkisierungs-Politik des Landes, die eine ausgesprochen gewaltvolle Unterdrückung und Verleugnung der kurdischen Identität vorsah. Dieser Plan und seine Umsetzung führten zu weitreichenden Spannungen und Konflikten und sind bis heute ein wichtiger Faktor in den Beziehungen zwischen der türkischen Regierung und der kurdischen Bevölkerung.