München: Tagung zur Kriminalisierung von Kurden in Bayern

In München hat eine vom Rechtshilfefonds AZADÎ und dem Kurdischen Gesellschaftszentrum München getragene Tagung zur Kriminalisierung von Kurden und dem Abbau demokratischer Grundrechte am Beispiel von Bayern stattgefunden.

Unter dem Titel „Die Kriminalisierung von Kurdinnen und Kurden - Abbau demokratischer Grundrechte am Beispiel von Bayern“ fand am Samstag im EineWeltHaus in München eine Tagung des Kurdischen Gesellschaftszentrums München und des Rechtshilfefonds AZADÎ e.V. statt, die vom Bayerischen Flüchtlingsrat, der Roten Hilfe München und dem Bündnis „noPAG – NEIN! Zum Polizeiaufgabengesetz Bayern“ unterstützt wurde.

In ihrer Eröffnungsrede begründete Rechtsanwältin Heike Geisweid, Vorstandsmitglied vom Kölner Verein für Demokratie und internationales Recht (MAF-DAD), die Notwenigkeit der Konferenz mit dem explosionsartigen Anstieg der Kriminalisierung und strafrechtlichen Verfolgung von Kurd*innen seit dem Rundschreiben des Bundesinnenministeriums insbesondere in Bayern, die längst auch Menschen trifft, die sich mit den Anliegen der Kurd*innen solidarisieren. Im März 2017 hat der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière in dem Schreiben an die Landesinnenministerien und Sicherheitsbehörden die Ausweitung der Verbote von Symbolen kurdischer Organisationen angekündigt. Hierunter fallen seither auch Kennzeichen der syrisch-kurdischen Partei PYD sowie der Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG/YPJ, die schlichtweg allesamt der PKK zugeordnet wurden und unter das im November 1993 erlassene Betätigungsverbot der PKK fallen. Das Bundesinnenministerium rechtfertigte die Erweiterung der Kennzeichenverbote damit, dass sich die PKK ihrer bedienen würde, da die „eigenen“ Symbole nicht erlaubt sind. Im Januar 2018 wurde zudem das Zeigen jeglicher Bildnisse von Abdullah Öcalan auf Versammlungen hinzugefügt, es sei denn, das Zeigen beschränke sich thematisch auf seine Haftbedingungen oder den Gesundheitszustand.

Heydenreich: Düsseldorfer PKK-Prozess hatte innen- und außenpolitische Bedeutung

Nach Grußworten von AZADÎ und dem Kurdischen Gesellschaftszentrum München begann die erste Sitzung über die politisch-rechtliche Einordnung und Hintergründe der Kriminalisierung. Der Bonner Rechtsanwalt Carl W. Heydenreich sprach über einen kurzen historischen Abriss der Repression gegen Kurd*innen in der BRD. Heydenreich, der selbst als Verteidiger im „Düsseldorfer PKK-Prozess“ von 1988 auftrat, wies zunächst auf die historische Einzigartigkeit des Prozesses hin: „Der Düsseldorfer PKK-Prozess hatte eine große außenpolitische und innenpolitische Bedeutung. Innenpolitisch hatte der Sicherheitsapparat mit dem Ende der RAF an Legitimität verloren. Das PKK-Verfahren diente also auch dafür, Legitimität für den deutschen Sicherheitsapparat zu schaffen“. Bei dem Prozess waren insgesamt 19 Kurden angeklagt. Heydenreich erklärte zur Politik des damaligen Generalbundesanwalts:

„Der Generalbundesanwalt betrieb eine massive Pressepolitik und erklärte in der Presse, dass die PKK eine terroristische Vereinigung sei, die ‚gefährlicher als die RAF‘ wäre. So wurde die PKK als größte innenpolitische Bedrohung aufgebaut. Parallel zu der Anklageerhebung gab es eine entsprechende Prozessvorbereitung. Es gab ein Denken von Feindstrafrecht, was bedeutet, dass man den Angeklagten bzw. Verfolgten mit juristischen Mitteln bekämpft und sich dabei von juristischen Grenzen entfernt. Neben dieser Öffentlichkeitskampagne spiegelte sich dies auch architektonisch im Gerichtssaal wider. Das Gericht in Düsseldorf hatte dabei eine gewisse Tradition. So wurde eine Polizeikaserne nahe des Düsseldorfer Gefängnisses für das Großverfahren umgebaut. Ein Beispiel für die vom Generalbundesanwalt betriebene Öffentlichkeitkampagne war, dass das Gefängnis so gebaut werden müsse, dass es Raketenangriffen der PKK standhalten könne. Das waren klare innenpolitische Signale. Bei diesem Verfahren wurden bewusst Sachen behauptet, die unwahr waren. Die Anklagevertreter hatten eine fehlende Distanz zur Sache, wie ich es noch nie erlebt habe.“

Breuer: BR-Nachrichtenartikel Grundlage für Verfahren

Der Rechtsanwalt Mathes Breuer aus München berichtete über die aktuelle Verfolgung der kurdischen Bewegung in Bayern. So sei schon das bloße Teilen von einem Artikel des Bayerischen Rundfunks, der mit einer YPG-Fahne bebildert ist, Grund für eine Anklage. Allein in München gebe es gegenwärtig mehr als 100 laufende Verfahren wegen des Teilens von YPG/YPJ-Fahnen in sozialen Netzwerken wie Facebook. „Wenn an einem Stand von Amnesty International eine YPG-Fahne hängt, ist es kein Problem. Aber der Bundesregierung geht es darum, dass Kurden keine Fahnen in die Hand nehmen“, sagte Breuer.

Millich: Angriffe auf Einzelne müssen kollektiv beantwortet werden 

AZADÎ-Vorstandsmitglied Dr. Elmar Millich ging in seinem Vortrag auf die deutsch-türkischen Beziehungen und ihre Auswirkungen auf kurdische Exil- und Solidaritätsstrukturen ein. „Heute gehen deutsche Jugendlichen nach Rojava, um die Menschenrechte zu verteidigen und werden bei ihrer Rückkehr vom Staatsschutz überwacht.“ Millich betonte, dass Angriffe auf Einzelne kollektiv beantwortet werden müssten.

Repression trifft Einzelne, gemeint sind wir Alle

In der zweiten Sitzung mit dem Titel „Repression trifft Einzelne, gemeint sind wir Alle!“ schilderten Betroffene in einer Gesprächsrunde von ihren Erfahrungen der Repression und ihren Folgen. Claus Schreer, seit sechs Jahrzehnten Friedensaktivist, wies auf die Kontinuität der Repression nach dem PKK-Verbot im Jahr 1993 hin und erklärte: „Es ist unsere Aufgabe als deutsche Staatsbürger, dass die politische, wirtschaftliche und militärische Unterstützung der Bundesregierung eingestellt wird.“

Zübeyde Akmese, eine kurdische Aktivistin in München, ging auf ihre Erfahrungen ein. Ihr erster Prozess wegen ihres politischen Engagements fand im Jahr 1996 statt. Damals wurde der kurdische Kulturverein von der Polizei durchsucht. Aufgrund der Parole „Bijî Serok Apo“ (Es lebe Apo, gemeint ist Abdullah Öcalan) erhielt sie eine Geldstrafe von 1000 Mark. Seit diesem ersten Verfahren wurde Akmese mit Dutzenden weiteren Verfahren überzogen. Auch gegen die Münchner Filmemacherin Uli Bez wird wegen ihrer Solidarität mit der kurdischen Frauenbewegung ermittelt. In der Gesprächsrunde wurde die Frage erörtert, was die Repression mit den einzelnen Menschen macht. Zübeyde erklärte, dass die Repression einen mehr bestärke, den Widerstand fortzuführen, und den Wert des Widerstands verdeutliche. Die Repression ziele auf das politische und soziale Umfeld der Betroffenen.

Fall Murat Akgül

Ein Vertreter des Nürnberger Bündnis für Frieden in Kurdistan ging auf den Fall von Murat Akgül ein. Der Kurde aus Mêrdîn (Mardin) lebt seit 30 Jahren in Deutschland mit einer Niederlassungserlaubnis, ist verheiratet und Vater von vier Kindern - davon zwei mit deutscher Staatsangehörigkeit. Im Sommer 2018 trug er eine YPG-Fahne. Es folgte eine Personenfeststellung und eine Anzeige wegen Verstoß gegen das Vereinsgesetz. Diese wurde zwar fallengelassen, aber die Polizei informiert bei einer Anzeige gegenüber einem Ausländer automatisch die Ausländerbehörde und den Staatsschutz. Ende Mai 2019 holten acht Polizeibeamte Murat Akgül aus seiner Wohnung ab und setzten ihn in ein Flugzeug nach Istanbul. Unter lebensgefährlichen Umständen gelangte Murat über die sogenannte Balkanroute zwei Monate später wieder in die Bundesrepublik und beantragte Asyl. Ende Oktober wurde er verhaftet. Seit dem 14. November ist er wieder auf freiem Fuß. Ein Eilantrag gegen eine erneute Abschiebung ist gegenwärtig in Bearbeitung.

In der Diskussion betonte Claus Schreer nochmals die Notwenigkeit, dass das PKK-Verbot fallen und diese Forderung bei allen Demonstrationen zum Ausdruck gebracht werden müsse. Uli Bez erklärte, dass die Perspektive der Frauenbefreiung wichtig sei und Solidarität für sie bedeute, diese Inhalte auch in andere Kreise weiterzutragen. Zübeyde Akmese erklärte, dass die Repression gegen sie einen politischen Hintergrund hätte. Die Aktivistin bekräftigte, dass ihr politisches Engagement nicht illegal sei und der Widerstand gestärkt werden müsse. Bei ihrem letzten Verfahren wurde sie bestraft, weil sie Freiheit für Abdullah Öcalan forderte. „Welche Strafe ich auch bekomme, ich werde bis zu meinem letzten Atem diese Forderung zur Sprache bringen. Allein können wir den Kampf nicht gewinnen, lasst uns deswegen Hand in Hand diesen Widerstand gegen die Repression stärken“, erklärte sie zum Schluss.

Morres: Angeklagten wird ihre politische Identität genommen

In der abschließenden Sitzung sprachen Vertreterinnen und Vertreter von Anti-Repressions-Gruppen über ihre konkrete Arbeit. Monika Morres vom Rechtshilfefonds AZADÎ e.V. erklärte dazu: „Es gab in der Vergangenheit ruhigere und heftigere Phasen der Repression. Aber eines gab es immer: Repression. Das Engagement wurde mal als kriminell, mal als terrorisiert eingestuft, aber nie als politisch legitimes Engagement, was es aber ist. Wir haben uns gesagt, dass niemand mit der Repression allein gelassen werden soll. Die 129b-Verfahren laufen wie am Fließband, frühere Gerichtsentscheidungen werden kopiert. Den Angeklagten wird ihre politische Identität genommen, indem ihnen ihre politische Motivation abgesprochen wird. Das ist respektlos.“

Der Vertreter der Roten Hilfe sprach von der Notwendigkeit der gegenseitigen Solidarität der Kämpfe: „Wenn wir unsere verschiedenen Kämpfe miteinander verbinden würden, könnten wir eine ganz andere Kraft entwickeln. Wenn wir die vereinzelten Kämpfe in Europa zusammenführen, könnten wir der kurdischen Bewegung Luft verschaffen.“

noPAG: Solidarität mit Betroffenen und Geflüchteten

Auch ein Vertreter vom Bündnis „noPAG – NEIN! Zum Polizeiaufgabengesetz Bayern“ ging auf die autoritären Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Polizeiaufgabengesetz (PAG) und anderen Gesetzesverschärfungen in Bayern ein. „Uns ist es wichtig, uns mit denjenigen, die unmittelbar und als erstes von der Verschärfung der Polizeigesetzte betroffen sein werden, zu solidarisieren. Das sind vor allem von Rassismus Betroffene und Geflüchtete, als auch Angehörige der kurdischen Bewegung“, sagte er.

Devran Dursun von AZADÎ e.V. erklärte: „Um überhaupt politische Verfahren führen zu können, ist es wichtig, dass wir von den einzelnen Fällen erfahren, um politische Anwält*innen vermitteln zu können. Nicht jeder Anwalt kann ein politisiertes Verfahren führen. Wenn die Repression so groß ist, warum ist die Solidarität mit der kurdischen Bewegung dann so groß? Weil die solidarischen Menschen von der Richtigkeit und Legitimität der Politik der Bewegung überzeugt sind.“