„Die Würde des Menschen ist unantastbar…“
Arif Rhein, Mitarbeiter von Civaka Azad, über die Missachtung menschenrechtlicher Prinzipien im Umgang mit Sympathisanten der kurdischen Freiheitsbewegung in Deutschland
Arif Rhein, Mitarbeiter von Civaka Azad, über die Missachtung menschenrechtlicher Prinzipien im Umgang mit Sympathisanten der kurdischen Freiheitsbewegung in Deutschland
Immer zahlreicher werden Verbote und Einschüchterungsversuche der deutschen Behörden gegen kurdische Institutionen und Menschen, die sich mit ihnen solidarisch zeigen. Obwohl sich dagegen immer wieder zivilgesellschaftlicher Protest regt, u.a. von Verlagen, Anwälten und Medienvertretern, scheint sich die Bundesregierung entschlossen zu haben, konsequent gegen vermeintliche PKK-Sympathisanten vorzugehen. In einer jüngst erschienenen Pressemitteilung zeigt sich das Innenministerium (BMI) erfreut darüber, dass „immer wieder mit großem personellem und sachlichem Aufwand vorgegangen [sei]. Seit 2004 haben die Strafverfolgungsbehörden der Länder in einer sehr hohen vierstelligen Zahl strafrechtliche Ermittlungsverfahren mit PKK-Bezug eingeleitet.“ Diese Erfolgsmeldung des BMI bekommen Menschen in Deutschland, die sich für das Selbstbestimmungsrecht der Kurden und anderer Völker des Mittleren Ostens einsetzen, regelmäßig und mit voller Härte zu spüren. Im Folgenden sollen einige konkrete Fälle dafür dienen, eine grundlegende Frage aufzuwerfen: Wie ist es um die Anerkennung der Würde des Menschen im heutigen Deutschland beschaffen?
Schläge in einem Berliner Polizeiauto
Während einer Demonstration eines breiten zivilgesellschaftlichen Bündnisses gegen „Polizeigesetze, PKK-Verbot und Nationalismus“ am 1. Dezember vergangenen Jahres in Berlin wird der kurdische Jugendliche Azad W.* festgenommen und in einen Gefangenentransporter gebracht. Laut Aussagen des Jugendlichen betritt kurz darauf ein Polizist das Auto und fragt ihn lapidar, ob er bereit für einen „Einzelkampf“ sei. Auf die verdutzte Reaktion von Azad W. reagiert der Polizist mit einem Schlag in dessen Gesicht. Als der Jugendliche zu Boden fällt, setzt der Polizist ihm mit weiteren Schlägen und Tritten zu. Videoaufnahmen von Protestierenden zeigen, wie sich zur selben Zeit eine Menschenmenge vor dem Auto versammelt, in dem Azad W. von dem Polizisten geschlagen wird.
Offensichtlich hören die Anwesenden die Schreie des Jugendlichen und konfrontieren die Polizisten, die den Gefangenentransporter abschirmen, damit, dass Azad W. gerade von einem ihrer Kollegen geschlagen wird. Keiner der Polizisten nimmt die Hinweise ernst und schaut in dem Polizeiwagen nach. Kurz darauf verlässt der Polizist den Gefangenentransporter und gesellt sich ruhig zu seinen Kollegen. Azad W. sitzt währenddessen mit schweren Verletzungen im Gesicht eingesperrt in einer kleinen Zelle des Gefangenentransporters.
Seltsame Entlassung aus dem Polizei-Gewahrsam
Am Abend vor dem Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan Ende September vergangenen Jahres wird Ali Cicek, Mitarbeiter von Civaka Azad, von Zivilbeamten in Berlin-Kreuzberg angehalten und abgeführt. Die Gründe dafür sind bis heute unklar. Nachdem unser Mitarbeiter auf einer Polizeiwache erkennungsdienstlich behandelt wurde, lässt man ihn erst in den frühen Morgenstunden wieder frei. Zurück bleiben sein Rucksack, seine Jacke, seine Brille, Handy und sämtliches Geld, da die Polizei all diese Gegenstände kurzerhand beschlagnahmt. Nur seinen Ausweis darf Ali Cicek behalten. Er findet sich am Rand Berlins wieder. Ohne die Möglichkeit Bekannte zu kontaktieren oder einen Fahrschein für die öffentlichen Verkehrsmittel zu kaufen, muss er seinen Weg in die Innenstadt bei nächtlicher Kälte anzutreten. Erst Monate später erhält Ali Cicek seine Brille und seine Geldbörse wieder. Die anderen beschlagnahmten Gegenstände ist die Polizei bis heute nicht bereit auszuhändigen.
Staatsschutzbeamte vor einem kurdischen Verein in Hannover
Vor wenigen Monaten findet eine Gedenkveranstaltung in den Räumlichkeiten des kurdischen Vereins Nav-Dem in Hannover statt. Hunderte Menschen, darunter zahlreiche Familien mit Kleinkindern, erscheinen an dem Tag in dem Verein. Vor dem Eingang des Gebäudes in der Hannoveraner Innenstadt, in dem sich der Verein befindet, sitzt ein Polizeibeamter in Zivil und fotografiert alle Besucher der Gedenkveranstaltung wahllos ab. Als eine Veranstaltungsteilnehmerin den Beamten damit konfrontiert, dass seine Anwesenheit die Besucher einschüchtere und er das Fotografieren zu unterlassen habe, reißt dieser ihr Handy aus der Hand, mit dem sie den Beamten zuvor versucht hatte zu fotografieren. Trotz des Protests setzt der Polizist seine Observierung daraufhin fort und fotografiert alle anwesenden Personen.
Späte Genugtuung für ein rechtswidriges Demonstrationsverbot
Im Februar 2018 soll eine Demonstration mit 2000 Teilnehmern in Düsseldorf stattfinden, um gegen die Angriffe der Türkei auf den nordsyrischen Kanton Efrîn zu demonstrieren. Begründet wird das Verbot von der Düsseldorfer Polizei mit der angeblichen PKK-Nähe des kurdischen Dachverbandes Nav-Dem e.V., in dessen Namen die Demonstration angemeldet wurde. 2000 Menschen können an diesem Tag in Düsseldorf nicht auf die Straße gehen. Erst ein Jahr später, am 6. Februar 2019, urteilt das Verwaltungsgericht Düsseldorf, das Versammlungsverbot sei rechtswidrig gewesen. In der mündlichen Urteilsbegründung heißt es, zwischen dem Demokratischen Gesellschaftszentrum der KurdInnen, NAV-DEM e.V., und der verbotenen PKK müsse scharf unterschieden werden. Die Verbotsentscheidung ein Jahr zuvor erscheint damit klar als polizeiliche Willkür. Der Angriff auf ein demokratisches Grundrecht wie die Versammlungsfreiheit ist da bereits ein Jahr alt.
Verbotene Bücher, beschlagnahmte CDs
Am 8. März 2018 werden die Räumlichkeiten der auf die Verlegung und den Vertrieb kurdischer Literatur und Musik spezialisierten Unternehmen Mezopotamien Verlag und Vertrieb GmbH sowie die MIR Multimedia GmbH in Neuss durchsucht. Am 12. Februar diesen Jahres folgt eine erneute Durchsuchung und der Verbot der beiden Firmen. An beiden Tagen werden tausende Bücher und CDs beschlagnahmt. Neben Büchern kurdischer Autoren zählen auch zahlreiche kurdische Übersetzungen von Autoren wie Franz Kafka dazu. Den Firmen wird eine Fortsetzung ihrer Geschäftstätigkeiten verboten, da laut Aussage des BMI „der Geschäftsbetrieb beider Vereinigungen allein der Aufrechterhaltung des organisatorischen Zusammenhalts der PKK“ diene und mit „ihrem wirtschaftlichen Ertrag […] die Aktionsmöglichkeiten der Terrororganisation in Deutschland und Europa nachhaltig gestärkt“ werde. Das PKK-Verbot wird damit herangezogen, um den Druck und Vertrieb von Büchern und Musik zu unterbinden. Die vom Mezopotamien Verlag vertriebenen Büchern waren in den Jahren zuvor tausendfach bestellt worden. Damit leistete der Verlag einen Beitrag zur kritischen Auseinandersetzung mit den Ideen Abdullah Öcalans und anderer Menschen, die nach einer politischen Lösung der Konflikte im Mittleren Osten suchen. Das hohe Interesse an den Büchern wird andauern. Fraglich bleibt, wie die Bundesregierung den tausenden Kunden des Verlags und des Musikvertriebs erklären wird, warum diese dort in Zukunft keine Bücher mehr kaufen können.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar…Nicht: Die Würde des Deutschen ist unantastbar.“
Zu diesem Hinweis sah sich Johannes Rau während seiner Amtszeit als Bundespräsident Deutschlands genötigt. Die obigen Fälle stellen nur einen kleinen Ausschnitt dar. Tausende ähnliche Beispiele aus dem Alltag kurdischer und anderer Sympathisanten der kurdischen Freiheitsbewegung in Deutschland zeigen, dass die Würde dieser Menschen hierzulande regelmäßig und systematisch missachtet wird. Aufgrund des umfassenden Drucks halten sich Jugendliche von Studentenorganisationen fern, Familien vermeiden den Besuch in kurdischen Vereinen und politisch Interessierte fürchten die Teilnahme an Demonstrationen mit kurdischem Bezug. Doch das Problem erscheint noch umfassender, führt man sich die innenpolitischen Entwicklungen des vergangenen Jahres in Deutschland vor Augen. Die Einführung von Polizeigesetzen, der Umgang mit ökologischen Protesten wie im Hambacher Forst oder die nationalistische Diskursverschiebung der AfD weisen auf einen gefährlichen Trend hin: Andersdenkende werden verunglimpft, Fußfesseln und vorbeugende Haft für politische Aktivisten als notwendige Sicherheitsmaßnahmen gepriesen und zivilgesellschaftlicher Protest gegen die Zerstörung der Natur in Deutschland diffamiert. Das politische Klima in Deutschland scheint zunehmend zu verrohen – mit all seinen Folgen für das demokratische Zusammenleben im Land.
Wo die Würde des Menschen in Frage gestellt und durch staatliche Maßnahmen missachtet wird, gilt es aufmerksam zu sein. Die Zivilgesellschaft in Deutschland wird sich diesem Thema in Zukunft noch stärker widmen müssen. Ein Anfang wäre sicherlich damit getan, die tagtäglichen Maßnahmen deutscher Sicherheitsbehörden zu dokumentieren, mit denen die kurdische Community eingeschüchtert, diskriminiert, ausgegrenzt und ihre Menschenrechte teils gravierend verletzt werden. Auf dieser Grundlage könnte die Zivilgesellschaft Deutschlands eindeutig Position beziehen und der Bundesregierung mitteilen: „Nicht in unserem Namen“.
* Name geändert