Der nach dem PKK-Verbot in Deutschland gegründete Rechtshilfefonds AZADÎ unterstützt seit 1996 von politischer Verfolgung betroffene Kurdinnen und Kurden. Dilan Karacadağ hat für Yeni Özgür Politika mit der langjährigen Mitarbeiterin Monika Morres über die Kriminalisierung der kurdischen Bewegung und die Arbeit von AZADÎ gesprochen.
Welche Dienstleistungen bietet AZADÎ an?
„Dienstleistungen“ hört sich so ein bißchen an, als ob wir ein Versicherungsunternehmen seien – sind wir aber nicht. Es sollte nicht der Eindruck entstehen, als gebe es zwingend ein Recht auf Unterstützung. Anträge, die an uns gerichtet werden, müssen wir selbstverständlich auch prüfen und es kann durchaus vorkommen, dass wir gewisse Dinge eben nicht unterstützen.
Aber jetzt ein Ausschnitt zu dem, was wir anbieten:
Zu allererst setzen wir uns für eine Beendigung der Kriminalisierung von Kurdinnen und Kurden ein, weshalb AZADÎ drei Jahre nach der Verbotsverfügung des Bundesinnenministers von 1993 überhaupt gegründet worden ist.
Hierfür haben wir in der Vergangenheit drei internationale juristische Fachtagungen organisiert, weil das Verbot ja nicht nur eine politische Dimension hat, sondern auch eine erhebliche juristische. So wie die Strafverfolgungsbehörden insbesondere europaweit (mit der Türkei) eng zusammenarbeiten, so ist eine Vernetzung von Strafverteidiger*innen von großer Wichtigkeit. Wir organisieren Informationsveranstaltungen zum Thema, treten als Redner*innen auf Podiumsdiskussionen oder Veranstaltungen auf oder geben Interviews.
Mit dem AZADÎ-Infodienst, dessen erste Ausgabe im November 1995 noch in Papierform erschien, versuchen wir, den Leser*innen einen breiten Überblick zu geben über die verschiedenen Ebenen der Repression gegen Kurd*innen in Deutschland. Informationen über die Situation in der Türkei sind dabei ebenso wichtig oder Entwicklungen auf dem innen- und rechtspolitischen Sektor.
Auch informieren wir monatlich darüber, wofür AZADÎ Mitgliedsbeiträge, Spenden oder regelmäßige Zuwendungen hauptsächlich verwenden. Wir haben eine Reihe von Broschüren herausgegeben, zum Beispiel zum 10., 15., 20. und 25. Jahr des PKK-Verbots.
Wir vermitteln bundesweit erfahrene Strafverteidiger*innen bei Verhaftungen, in §129b-Verfahren oder in den zahlreichen Verfahren wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz (z.B. Zeigen verbotener oder angeblich verbotener Symbole, Rufen von Parolen), wegen Auseinandersetzungen um Auflagenbescheide zu Demos, Verstößen gegen das Versammlungsgesetz. Ebenso bei Wohnungs- und Vereinsdurchsuchungen oder Vorwürfen wie Haus- oder Landfriedensbruch.
Werden inhaftierte kurdische Aktivist*innen auch finanziell unterstützt?
Menschen, die von (politisch motivierter) Strafverfolgung betroffen waren oder sind, können direkt oder über Anwält*innen bei uns Anträge stellen zur Unterstützung bei den anwaltlichen Kosten für ihre Verteidigung. AZADÎ kann sich aber generell nicht an Geldstrafen beteiligen.
Die politischen Gefangenen erhalten von AZADÎ monatlich einen finanziellen Betrag für den Unterhalt während ihrer Haftzeit. Wir vermitteln Zeitungs-Abos oder übernehmen die Kosten für Bücher etc.
Gibt es Organisationen oder Institutionen, mit denen Sie kooperieren?
Wir arbeiten zusammen mit einer Reihe zivilgesellschaftlicher Vereine, Gruppen und Einzelpersonen, insbesondere mit der Solidaritätsorganisation ROTE HILFE, deren Arbeit wie die unsrige staatlicherseits stigmatisiert wird, z.B. durch Listung in den jährlichen Berichten des Verfassungsschutzes. Sie zielt auf eine Kriminalisierung und vor allem Entsolidarisierung ab.
Wie finanziert sich AZADÎ?
AZADÎ finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge, Spenden und regelmäßige Zuwendungen.
Wie viele kurdische politische Gefangenen befinden sich momentan in Haft und wie viele davon sind Frauen? Und wie viele Kurdinnen und Kurden sind bisher vom Vorwurf der Mitgliedschaft in oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung – gemeint hier die PKK – betroffen? Wie hoch fallen die Strafen bei Verurteilung aus?
Derzeit sind es dreizehn, von AZADÎ betreut werden neun. Darunter befinden sich keine Frauen.
Auf freiem Fuß ist eine Kurdin aus dem Stuttgarter Verfahren, deren Haftbefehl im Dezember 2019 außer Vollzug gesetzt worden ist. Ebenfalls in diesem Verfahren ist ein kurdischer Aktivist, der drei Monate nach seiner Festnahme aus der U-Haft entlassen wurde. Natürlich läuft auch für ihn der Prozess in Stuttgart weiter.
Seit der Bundesgerichtshof im Oktober 2010 entschieden hat, auch die PKK gemäß §§129a/b Strafgesetzbuch strafrechtlich zu verfolgen, waren/sind 39 Kurdinnen und Kurden hiervon betroffen.
Die Urteile sind unterschiedlich – von eineinhalb Jahren bis sechs Jahre Haft, was allerdings die bislang höchste Strafe ist. Es kommt darauf an, vor welchem Oberlandesgericht ein Verfahren läuft und wie die Richter*innen eine/n Angeklagten einstuft: als sogenannten „hochrangigen Führungsfunktionär“ oder als Gebietsverantwortlichen der PKK oder als jemand, der/die PKK durch bestimmte Aktivitäten „nur“ unterstützt haben soll.
Hat sich seit der Brüsseler Entscheidung vom 28. Januar dieses Jahres etwas an den Prozessen geändert oder sind sie dadurch beeinflusst worden?
Nein, geändert hat sich nichts. Die Gerichte sehen die Brüsseler Entscheidung nicht als Orientierung oder gar bindend für ihre Prozessführung.
Selbstverständlich verwerten die Verteidiger*innen für ihre Schriftsätze, Anträge und Plädoyers die (sehr guten) Argumente des Urteils von Brüssel. Das wird von den Gerichten sicher zur Kenntnis genommen, doch selbst wenn einzelne Richter*innen den ein oder anderen zum Beispiel völkerrechtlichen Aspekt persönlich nachvollziehbar halten sollten, bleibt es dabei, dass die Angeklagten zu Haftstrafen verurteilt werden.
Es gibt ja Senate, die durchaus die Politik des AKP-Regimes missbilligen und eine politische Verfolgung von Kurdinnen und Kurden überhaupt nicht leugnen. Das ändert jedoch nichts an ihrer grundsätzlichen Haltung, dass die PKK nicht das Recht habe, sich bewaffnet gegen Unterdrückung und Vernichtung zur Wehr zu setzen. Und das ist das genaue Gegenteil zu dem Urteil des Brüsseler Kassationshof.
Hat AZADÎ im Zuge der Corona-Pandemie eine Freilassung der Gefangenen gefordert?
Wir sind nicht selbst initiativ geworden, sondern haben Initiativen anderer Organisationen mitgetragen. Anträge der Verteidiger*innen auf Haftaufhebung, zumindest für die ihre älteren und kranken Mandanten, wurden von Generalstaatsanwaltschaften oder Gerichten abgelehnt und mit Fluchtgefahr begründet. Es gab für einzelne Gefangene aber die Möglichkeit, mit ihren Familienangehörigen per Skype zu kommunizieren.
Möchten Sie vielleicht zum Abschluss noch etwas was sagen?
Zum Schluss möchte ich sagen, dass mir die Arbeit bei AZADÎ für die Kurd*innen und mit ihnen sehr wichtig ist. Trotz der vielen Zumutungen und Widerstände gehen die kurdischen Freund*innen ihren Weg, der Mut, Beharrlichkeit und viel Kraft erfordert.
Solange die zahlreich bestehenden Probleme nicht gelöst sind, mit denen sie durch die deutsche Politik konfrontiert sind, ist ein solidarisches Engagement alternativlos.