Bericht der Plattform „Wir werden Frauenmorde stoppen“
Inmitten staatlicher Kampagnen zur Stärkung der traditionellen Familie ist die Zahl der getöteten Frauen in der Türkei auch im Mai erneut drastisch gestiegen. Nach Angaben der Plattform „Wir werden Frauenmorde stoppen“ (KCDP) wurden im zurückliegenden Monat mindestens 21 Frauen von Männern ermordet. In 14 Fällen waren die Täter enge Angehörige der Opfer. Damit beläuft sich die Zahl der seit Jahresbeginn in dem Land erfassten Feminizide auf mindestens 86 – und das ausgerechnet im von der Regierung zum „Jahr der Familie“ erklärten 2025.
Die tatsächliche Zahl der im Mai verübten Feminizide könnte jedoch deutlich höher liegen, befürchtet KCDP. Denn 20 weitere Frauen starben unter „zweifelhaften Umständen“, heißt es in dem gestern vorgelegten Bericht. Die Erfahrung zeige, dass Täter oft Szenen konstruierten, um Feminizid als Selbstmord, Unfall oder natürlichen Tod aussehen zu lassen, so die Plattform.
Zuhause bleibt gefährlichster Ort
Besonders alarmierend ist, dass die Mehrheit der Feminizide im privaten Raum geschieht: 13 der 21 im Mai getöteten Frauen wurden in ihrer eigenen Wohnung ermordet. Weitere Taten ereigneten sich auf offener Straße, am Arbeitsplatz oder in anderen öffentlichen Räumen.
In vielen Fällen lag das Motiv in der Trennung vom Täter oder im Widerstand gegen eine Wiederaufnahme der Beziehung. Bei sieben der getöteten Frauen führten diese Umstände zur Tat. Fünf weitere Morde wurden laut dem Bericht aus wirtschaftlichen Gründen begangen. In neun Fällen blieb das Tatmotiv ungeklärt.
Die Täter stammen überwiegend aus dem nächsten Umfeld der Frauen: vier waren die aktuellen Ehemänner, vier die Ex-Ehemänner, zwei die (Ex-)Partner, fünf weitere waren Verwandte wie Brüder, Väter oder Söhne. In einem Fall handelte es sich um einen bislang unbekannten Täter.
Auch die Tatwaffen zeichnen ein deutliches Bild: 13 Frauen wurden mit Schusswaffen getötet, fünf mit Stichwaffen, zwei durch Strangulation, eine durch körperliche Gewalt. Insgesamt wurden 62 Prozent der Feminizid-Opfer im Mai mit Schusswaffen ermordet.
Gewalt gegen Frauen in der Türkei
Die Türkei steht seit Jahren international in der Kritik wegen unzureichender Maßnahmen gegen geschlechtsspezifische Gewalt. Die Kündigung der Istanbul-Konvention durch die Regierung im Jahr 2021 löste große Proteste aus – sie galt als wichtiges internationales Abkommen zum Schutz von Frauen vor Gewalt.
Frauenrechtsorganisationen kritisieren, dass staatliche Institutionen häufig untätig bleiben, Anzeigen ignorieren und Schutzmaßnahmen nicht konsequent umsetzen. Gleichzeitig befördere die politische Betonung traditioneller Familienstrukturen ein Klima, in dem Gewalt bagatellisiert oder legitimiert werde.
Der „Jahr der Familie“-Slogan der türkischen Regierung steht daher aus Sicht von KCDP in krassem Widerspruch zur Realität vieler Frauen. Statt echter Schutzmaßnahmen werde auf eine konservative Rollenverteilung gesetzt, so die Kritik.
Forderung nach politischer Verantwortung
Die KCDP fordert daher erneut einen umfassenden gesetzlichen Schutz für Frauen, den Ausbau von Frauenhäusern, mehr Präventionsarbeit sowie die sofortige Rückkehr zur Istanbul-Konvention. Nur so könne der Staat seiner Verantwortung im Kampf gegen Femizide gerecht werden.