Streik in Izmir: Kampagne gegen die Arbeiter:innen

In Izmir streiken seit der vergangenen Woche 23.000 Beschäftigte der Stadtverwaltung. Sie berichten, dass durch Desinformation und Versuche, den Streik zu brechen, probiert werde, die Öffentlichkeit gegen sie aufzubringen.

Arbeitsniederlegung von 23.000 Beschäftigten

Insgesamt 23.000 Beschäftigte der Stadtverwaltung Izmir, die bei Izelman, Izenerji und Egeşehir (Tochtergesellschaften der Stadtverwaltung) angestellt sind, traten offiziell in der Nacht des 28. Mai in den Streik. Betroffen hiervon ist insbesondere auch der Abfallsektor. Zuvor haben monatelange Gespräche zwischen der Stadtverwaltung und der Dienstleistungsgewerkschaft Genel-İş zu keiner Einigung geführt. Sie fordern die Abschaffung der Lohnunterschiede zwischen den Beschäftigten, die verschiedenen Gewerkschaften innerhalb der Stadtverwaltung von Izmir angehören, sowie die Sicherstellung fairer und gleicher Arbeitsbedingungen.

Der Streik wird von mehreren Ortsverbänden von Genel-İş unter dem Dach der revolutionären Arbeiter:innengewerkschaften (DISK) angeführt. Tausende Arbeitnehmer:innen haben den Vorschlag der Stadtverwaltung, die Löhne um 29,16 Prozent zu erhöhen, als „Armutslohn“ abgelehnt und fordern gleichen Lohn für gleiche Arbeit.

Im Verlauf des Streiks kritisierten die Arbeitnehmer:innen die Bemühungen von Bürgermeister Cemil Tugay (CHP), den Streik zu brechen, insbesondere seine Aktion, selbst Müll zu sammeln, und betonten, dass sie nicht gegen die Öffentlichkeit ausgespielt werden wollen.

Wir wollen Gerechtigkeit am Arbeitsplatz

Ismail, einer der Streikenden, erläuterte, dass ihre Hauptforderung sei, gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu erhalten. Außerdem äußerte er scharfe Kritik an der Darstellungsweise der Stadtverwaltung: „Sie versuchen, die Öffentlichkeit gegen die Arbeitnehmer:innen aufzubringen.“ Der Öffentlichkeit würden die Bruttogehälter einschließlich der Arbeitgeberanteile präsentiert werden. Tugay habe sogar die Kosten der von der Stadtverwaltung bereitzustellenden Arbeitskleidung mit einbezogen. Auf diese Weise werde die Öffentlichkeit falsch informiert. Dennoch zeigt sich der Arbeiter entschlossen: „Aber selbst wenn die Öffentlichkeit und die Arbeitnehmer:innen gegeneinander ausgespielt werden, ist eines klar: Wir werden unsere Rechte nicht aufgeben.“

Seit Jahren kein Inflationsausgleich

Die Streikenden beklagen, dass seit Jahren ein Inflationsausgleich der Löhne ausgeblieben sei. Angesichts der Jahresinflation, die 2024 60 Prozent überstieg, würden die Arbeiter:innen von den Kosten „erdrückt“ werden. In diesem Zusammenhang merkte Ismail an, Cemil Tugay erwäge gar die gänzliche Abschaffung der Inflationsanpassung und benannte Details: „Was er wirklich will, ist, uns eine Lohnerhöhung für zwei Jahre auf einmal zu geben. In einem Land, in dem der Mindestlohn 22.000 türkische Lira beträgt, ist die Aussage ‚Wir können nicht so viel zahlen‘ gleichbedeutend mit der Aussage, dass das ganze Land in Armut und Elend leben soll. Darauf reagieren wir.

Wir wollen nicht in Hunger und Elend leben. Wir wollen einfach nur für unsere Arbeit bezahlt werden. Er spricht von 50 Artikeln und Nebenklauseln. Aber was er als ‚Nebenklausel‘ bezeichnet, umfasst Dinge wie Menstruationsurlaub für Frauen und Familienbeihilfen, die vom Staat gewährt und an alle ausgezahlt werden.“ Den vorgeschlagenen Tarifvertrag empfindet er als Konzept, um die Gehälter kontinuierlich zu kürzen.

Wir erwarten Unterstützung von den Menschen in Izmir

Sevda, eine streikende Arbeiterin, gab an, dass sie entgegen der landläufigen Meinung erhebliche Unterstützung von der Öffentlichkeit erhalten hätten. Außerdem erzählte sie, der Bürgermeister Cemil Tugay habe mit einem von ihm organisierten Team angefangen, Müll zu sammeln und Menschen in der Umgebung aufgefordert, dasselbe zu tun. Daraufhin wären innerhalb weniger Minuten Gewerkschaftsvertreter:innen vor Ort gewesen, um ihrem Protest Ausdruck zu verleihen und den Politiker als Streikbrecher zu kritisieren.

Diese Situation habe sowohl bei den Streikenden wie auch bei der Bevölkerung Izmirs zu starken Reaktionen geführt. Sevda führte aus: „Mit der Aussage ‚Ich sammle den Müll an eurer Stelle, ich mache eure Arbeit‘ versucht er, Feindseligkeit gegen uns zu schüren und uns zur Zielscheibe zu machen. Das macht er von Anfang an. Aber trotz alledem erhalten wir weiterhin bedeutende Unterstützung von der Öffentlichkeit.“

Eine Verleumdungskampagne, angeheizt durch die „AK-Troll“-Logik

Baran Doğan, ein weiterer Streikender, wies darauf hin, dass ein Großteil der Gegenreaktionen gegen die Arbeiter:innen in den sozialen Medien den „AK-Troll“-Methoden ähnelte, die häufig in von der Regierung geförderten Desinformationskampagnen zum Einsatz kommen. AK-Trolle sind anonyme politische Kommentatoren und Trolle im Internet, die sich an der Manipulation des Internets zugunsten der AKP in der Türkei beteiligen.

„Es ist das gleiche Spielbuch, das die regierende Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) verwendet, aber jetzt sehen wir uns damit von der Republikanischen Volkspartei (CHP) konfrontiert“, kommentierte der Arbeiter. Er führte fort: „Ja, es ist eine angespannte Situation für uns. Wir tun unser Bestes, um nicht gegen die Menschen in Izmir aufgebracht zu werden. Wir wollen nicht, dass die Menschen leiden. Und deshalb glauben wir, dass dieses Thema sofort wieder auf den Tisch kommen muss. Es muss durch Verhandlungen gelöst werden.“

Fehlende Ernsthaftigkeit in bisherigen Verhandlungen

Doğan betonte, dass die Arbeitnehmer:innen wirklich an den Verhandlungstisch zurückkehren und die Situation so schnell wie möglich lösen wollten. Innerhalb der fast sechsmonatigen Verhandlungszeit seien Treffen immer wieder seitens der Stadtverwaltung verschoben oder kurzfristig abgesagt worden. Lange Zeit habe die Stadtverwaltung außerdem keine ernsthaften Angebote vorgelegt, „sondern weniger als ein Viertel der 30-prozentigen Erhöhung des nationalen Mindestlohns“ vorgeschlagen. Aus Sicht der Arbeitnehmer:innen seien die Verhandlungen von Anfang an angespannt und unsicher gewesen.

In der Öffentlichkeit seien derweil horrende Forderungen verbreitet worden, die sich gegenseitig widersprachen. Doğan bezeichnete dies als irreführende Kampagne gegen die Arbeiter:innen. Als die Stadtverwaltung Arbeiter:innen aus anderen Gebieten zur Reinigung herbeigeholt habe, sei die Gewerkschaft wiederum eingeschritten, da dies der Verfassung widerspräche.

In dieser Situation sei es zu zahlreichen Gesprächen mit Vorübergehenden gekommen, deren Reaktionen unterschiedlich ausfielen. Viele zeigten sich durch die widersprüchlichen Informationen irritiert oder gar verärgert, doch Doğan resümierte: „Ja, einige haben uns kritisiert, aber persönlich habe ich in der Situation weit mehr Unterstützung als Feindseligkeit erfahren.“