Gegen die seit Herbst 2016 inhaftierte kurdische Politikerin und Ex-Bürgermeisterin von Amed, Gültan Kışanak, ist ein weiterer Haftbefehl erlassen worden. Ihr wird eine Beteiligung an den Kobanê-Protesten vor sechs Jahren vorgeworfen.
Ein Gericht in der türkischen Hauptstadt Ankara hat Haftbefehl gegen Gültan Kışanak erlassen. Hintergrund ist das von der Generalstaatsanwalt Ankara geführte Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit den Kobanê-Protesten im Oktober 2014. Der kurdischen Politikerin, die seit Herbst 2016 im Gefängnis ist, wird eine Beteiligung an den Demonstrationen vorgeworfen, die sich damals nicht nur gegen den IS-Überfall auf die Stadt Kobanê in Westkurdistan/Nordsyrien richteten, sondern gleichermaßen gegen die Unterstützung der türkischen Regierung für die dschihadistische Terrormiliz. Im Zuge des Verfahrens waren Anfang Oktober bereits siebzehn führende Vertreter*innen der Demokratischen Partei der Völker (HDP) verhaftet worden.
Die Anhörung im Fall von Kışanak erfolgte am Freitag vor der 5. Strafkammer am Amtsgericht Ankara. Begründet wurde der erneute Haftbefehl gegen die 59-jährige frühere Oberbürgermeisterin von Amed (türk. Diyarbakir) unter anderem mit Fluchtgefahr, die durch Meldeauflagen nicht verhindert werden könne, und der „Möglichkeit der negativen Beeinflussung des Verfahrens durch die Beschuldigte“. Gültan Kışanak war im Februar 2019 wegen des Vorwurfs der „Gründung und Leitung einer Organisation“ sowie „Organisationspropaganda“ zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Auch die Politikerin Sebahat Tuncel wurde im selben Verfahren verurteilt. Noch im selben Jahr hat ein Revisionsgericht die Urteile aufgehoben. Seit Mitte Januar läuft der neue Prozess in Meletî (Malatya).
Gülser Yıldırım in Hausarrest entlassen
Ebenfalls mit einem Antrag auf Erlass eines Haftbefehls musste gestern auch die ehemalige HDP-Abgeordnete Gülser Yıldırım vor Gericht erscheinen. In ihrem Fall ordnete das Gericht die Entlassung aus dem Gefängnis in den Hausarrest an.
Gülser Yıldırım
22 Politiker*innen wegen Kobanê-Verfahren inhaftiert
Damit befinden sich inzwischen 22 Politikerinnen und Politiker im Rahmen des Kobanê-Verfahrens in Untersuchungshaft. Dabei handelt es sich neben den ehemaligen HDP-Vorsitzenden Figen Yüksekdağ und Selahattin Demirtaş und Gültan Kışanak um die frühere DBP-Vorsitzende Sebahat Tuncel, erste Ex-Abgeordnete, die aus dem Gefängnis heraus eine Wahl (2007) gewann, die ehemalige Parlamentarierin Aysel Tuğluk, die als Rechtsanwältin auch Abdullah Öcalan vertrat, den Ex-Bürgermeister von Qers Ayhan Bilgen, Politökonom Alp Altınörs vom HDP-Exekutivrat, den langjährigen außenpolitischen Sprecher Nazmi Gür, die ehemaligen Parlamentarierinnen Ayla Akat Ata und Emine Ayna, die früheren Exekutivratsmitglieder Bircan Yorulmaz, Berfin Özgü Köse, Dilek Yağlı, Can Memiş, Günay Kubilay, Bülent Parmaksız, Pervin Oduncu, İsmail Şengün und Cihan Erdal, den ehemaligen HDP-Schatzmeister Zeki Çelik, den früheren stellvertretende HDP-Vorsitzende Ali Ürküt und um die Umweltingenieurin und frühere Abgeordnete Emine Beyza Üstün.
