Ayla Akat Ata ist langjährige Aktivistin der kurdischen Frauenbewegung, war für die HDP im Parlament und ist Gründungsmitglied des Frauenvereins Rosa in Amed (türk. Diyarbakir). Im Mai wurde sie mit Dutzenden weiteren Personen im Rahmen der Repression gegen den Frauenverein Rosa festgenommen und anschließend unter Meldeauflagen entlassen. Ihr wird die Beteiligung an einer Veranstaltung zum 8. März, die Teilnahme an einer Konferenz der „Bewegung Freier Frauen“ (TJA) im Jahr 2018, die Verbreitung einer Erklärung mit der Überschrift „Frauen wollen Frieden“ im Jahr 2019 und der Protest gegen die Einsetzung von Zwangsverwaltern in HDP-geführten Rathäusern vorgeworfen. Gegenüber ANF hat sie sich zur frauenfeindlichen Politik der türkischen Regierung geäußert.
Ignoranz der Regierung gegenüber Femiziden
Ayla Akat Ata sagt, die Regierung verschließe beide Augen vor den Femiziden in der Türkei und Nordkurdistan. Diese Ignoranz sei Teil der frauenfeindlichen Gewaltpolitik des Staates. Der Frauenverein Rosa hat über Jahre seinen Finger in diese Wunde gelegt.
„Nicht nur im Mittleren Osten, in Kurdistan und der Türkei, auch in globaler Hinsicht thematisieren Frauenbewegungen auf jeder Ebene die Gewalt gegen Frauen. Die Frauenbewegung in der Türkei und die kurdische Frauenbewegung stellen in dieser Phase schon seit Jahren die aktivsten und dynamischsten Kräfte dar. Einer der wichtigsten und wertvollsten Kämpfe, die in dieser Region in den vergangenen zwanzig Jahren geführt worden sind, ist sicherlich der Frauenfreiheitskampf. Es wurden wichtige Dinge erkämpft. Heute versammeln sich Frauen in Amed, um sich gegen die Angriffe auf diese Errungenschaften zu stellen. Sie sagen: Die genderparitätische Doppelspitze ist unsere lila Linie. Es findet massive Repression statt, mit dem Ziel zu verhindern, dass die Frauen noch weitere Fortschritte erkämpfen.“
Ata weist darauf hin, dass sich die kurdische Frauenbewegung das Erbe der Weltfrauenbewegung zu Eigen gemacht und den Frauenkampf auf dem schwierigen Terrain Mesopotamiens, wo Frauen systematisch missachtet werden von Tag zu Tag ausgeweitet hat. Aus der mesopotamischen Frauenbewegung seien mittlerweile weltweit in emanzipatorischen Bewegungen und Parteien angewandte Prinzipien wie das des Ko-Vorsitzes hervorgegangen.
Errungenschaften verteidigen und weitere erkämpfen
„Jeden Tag finden Festnahmeoperationen statt, um unsere Errungenschaften zu vernichten. Obwohl die Istanbuler Konvention in der Türkei unterzeichnet wurde, gibt es hier eine organisierte Gegenposition. Als Frauenbewegung in der Türkei und kurdische Frauenbewegung leisten wir Widerstand gegen diese Situation. Wir leisten Widerstand, sowohl um in der vor uns liegenden Phase noch größere Fortschritte zu erkämpfen als auch, um die bestehenden Errungenschaften zu verteidigen. Die Gegenseite agiert auf der Grundlage der Missachtung der Frau und der Ignoranz gegenüber patriarchaler Gewalt. Wir fragen, wo die vor 170 Tagen in Dersim verschwundene Studentin Gülistan Doku ist. Wir beziehen klar Position zur Verhinderung von Prostitution. Wir wollen, dass die Istanbul-Konvention ohne Ausnahme umgesetzt wird und Frauenrechte garantiert werden.“
Von Gewalt betroffene Frauen werden zurückgeschickt
„Wir fordern wirksame Mechanismen, um Frauenmorde zu verhindern. Frauen, die Gewalt erfahren, müssen wissen, wohin sie sich wenden können. Aktuell versuchen alle Institutionen, die Opfer häuslicher Gewalt wieder nach Hause zu schicken. Frauen, die gegen die Freilassung von patriarchalen Gewalttätern auch nur in den sozialen Medien protestieren, werden festgenommen oder inhaftiert. Sogar unsere Organisierung in den sozialen Medien macht Sinn, denn diese Situation kann nur durch einen organisierten Kampf beendet werden. Andernfalls wird sich das System weiterhin nicht daran stören, dass patriarchale Gewalttäter frei herumlaufen und Frauen Gewalt erfahren.“
Strategischer Gewalteinsatz gegen kurdische Frauen
Ayla Akat Ata beobachtet, dass Frauen die meiste Unterdrückung an den Orten erfahren, an denen sie den stärksten Widerstand leisten. Zum Fall der in Dersim verschwundenen kurdischen Studentin Gülistan Doku erklärt sie: „Die Politik hier verfolgt eine strategische Perspektive. Es gibt viele offene Fragen im Zusammenhang mit der Entführung von Gülistan Doku. Der Bruder von Gülistan berichtete, dass die Dokumente zur Suche nach ihr manipuliert und teilweise gelöscht worden seien. Außerdem sei versucht worden, falsche Spuren zu legen. Auch die Anwältinnen sagen, dass keine effektive Ermittlung durchgeführt worden ist. Es gibt keinen einzigen Inhaftierten. Wir betrachten das als ein Beispiel für den strategischen Einsatz von Gewalt gegen Frauen in Kurdistan.“
Justiz richtet sich nach feudalen Werturteilen
Ayla Akat Ata weist darauf hin, dass Täter vor Gericht Strafnachlass bekommen, wenn sie sich eine Krawatte umbinden und behaupten, ihre Opfer seien mit der Vergewaltigung einverstanden gewesen. Gewalt gegen Frauen beginne beim Täter und setze sich über die Ermittlungsbehörden bis zum Gericht fort. Die gesellschaftlichen Werturteile seien von Feudalismus und Religion geprägt, daher dürften die Rechte von Frauen nicht unter gesellschaftlicher Kontrolle liegen:
„Frauen haben grundlegende Rechte, aber wenn wir die Wertmaßstäbe der Gesellschaft betrachten, sehen wir, dass auch Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte sich nicht davon distanzieren. Gewalt gegen Frauen wird als normal angesehen. Wir stellen uns dagegen und sagen, dass es nicht normal ist. Wenn sie als Norm betrachtet wird, wird Gewalt zum Politikum.
Hier arbeiten Richter, die versuchen die Länge der Röcke von Anwältinnen zu messen. Nach massiven Protesten wurde einer dieser Richter suspendiert, aber vielleicht ist er jetzt schon wieder im Dienst. Wer die Länge der Röcke von Anwältinnen misst, kann auch die Länge der Röcke zur Ursache von Gewalt erklären. Da war dann der Ehemann zum Beispiel nicht mit der Länge des Rocks seiner Frau zufrieden und der Richter findet das normal. Deswegen muss die gesamte Gesellschaft in diesem Land vom Polizisten bis zum Richter in Bezug auf Frauen geschult werden. Es findet eine notwendige Revolution für die Menschenrechte von Frauen statt und wir sind ihre Vorhut. Wir arbeiten sehr intensiv an diesem Punkt.“
„Rosa bekämpft alle Dimensionen patriarchaler Gewalt“
Über die Arbeit des Frauenvereins Rosa sagt Ayla Akat Ata: „Gewalt gegen Frauen hat eine wirtschaftliche, psychologische, soziale und ideologische Dimension und unser Verein bekämpft sie alle. Der Verein steht an der Seite einer jeden von Gewalt betroffenen Frau. Es handelt sich um ein Zentrum, in dem sich Frauen selbst artikulieren können. Gleichzeitig kämpft der Frauenverein Rosa gegen die Gewalt in der Gesellschaft. Unser Ziel ist es, durch Bildung eine Gesellschaft zu schaffen, in der so etwas nicht mehr geschieht. Wenn die Gesellschaft als Ganzes Bildung erfährt und ein entsprechendes Bewusstsein entsteht, wird die Zahl der Menschen, die Gewalt anwenden, abnehmen.“
Organisierung hat Blick auf patriarchale Gewalt verwandelt
„So passierte es in der Vergangenheit immer wieder, dass Männer ins Kaffeehaus kamen, nachdem sie ihre Frau verprügelt hatten, und sagten: ‚Ich habe meine Pflicht erfüllt‘. An Orten, an denen wir organisiert sind, kann sich kein Mann mehr so verhalten. Die Menschen werden wütend, sie spucken den Männern manchmal sogar ins Gesicht, weil sie ihre Frauen schlagen. Der ‚Heldenmut‘ von einst ist heute eine Schande. Das wurde durch den organisierten Kampf von Frauen geschafft. Der Verein Rosa führt diesen Kampf seit seiner Gründung. Wir sehen die heutigen Angriffe auf Rosa als einen Ausdruck davon, dass dies nicht toleriert werden soll. Wir werden angeklagt, weil wir unser Recht auf Organisierung in Anspruch nehmen.“
Verhaftung ist die Konsequenz für kämpfende Frauen in der Türkei
„Alle von uns gegründeten Vereine sind verboten worden. Im Jahr 2016 wurden unsere Vereine mit Hilfe von Ausnahmezustandsdekreten geschlossen. Aber wir haben neue Vereine gegründet. Wir organisieren uns und halten unsere Vereine geöffnet, um unsere verfassungsmäßigen Rechte schützen. Die letzten Verhaftungen fanden auf der Grundlage von Aussagen eines ‚geheimen Zeugen‘ statt. Sieben Frauen aus unserem Verein befinden sich im Gefängnis, zwei weitere sind mit elektronischen Fußfesseln im Hausarrest. Das ist die Konsequenz für Frauen, die in der Türkei kämpfen.“