Weiterer Haftbefehl gegen Sebahat Tuncel und Aysel Tuğluk

Gegen die beiden inhaftierten kurdischen Politikerinnen Aysel Tuğluk und Sebahat Tuncel ist ein weiterer Haftbefehl wegen der Proteste gegen den Angriff auf Kobanê 2014 erlassen worden.

Das AKP/MHP-Regime zieht den Protest gegen die Angriffe auf Kobanê im Oktober 2014 als Legitimation für eine neue Repressionswelle aus der Schublade. Neben Festnahmen und Inhaftierungen Dutzender Politiker*innen und Aktivist*innen in den letzten Tagen werden auch bereits inhaftierte prominente Politiker*innen mit neuen Strafverfahren überzogen. So wurde im Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens der Generalstaatsanwaltschaft Ankara die ehemalige Ko-Vorsitzende der Partei der Demokratischen Regionen (DBP), Sebahat Tuncel, und die ehemalige HDP-Abgeordnete und stellvertretende Ko-Vorsitzende der HDP, Aysel Tuğluk, ein weiterer Haftbefehl erlassen.

Wer ist Aysel Tuğluk?

Aysel Tuğluk befindet sich bereits seit Ende 2016 in Haft. Gegen die Rechtsanwältin, die unter anderem auch Abdullah Öcalan vertrat, sind noch weitere Strafverfahren anhängig. Die 53-Jährige ist Gründerin mehrerer Nichtregierungsorganisationen wie der Forschungsstiftung für Sozialrecht (Toplumsal Hukuk Araştırmaları Vakfı), dem Menschenrechtsverein IHD (İnsan Hakları Derneği) und dem Verein der patriotischen Frauen (Yurtsever Kadınlar Derneği). Außerdem zählt Tuğluk zu den Mitbegründer*innen der prokurdischen Partei der demokratischen Gesellschaft DTP (Demokratik Toplum Partisi), deren Parteivorsitzende sie eine Zeitlang war. Die DTP wurde 2009 durch Entscheid des Verfassungsgerichts verboten.

Im September 2017 löste ein Angriff eines türkischen Mobs auf die Beerdigung von Hatun Tuğluk, der Mutter Aysel Tuğluks, weltweit Empörung aus. Hunderte Rassisten und Nationalisten hatten in Ankara die Beerdigung mit Steinen attackiert und Hassparolen gegen die Minderheiten der Armenier und Aleviten gerufen. Der Leichnam musste daraufhin exhumiert werden, weil der Mob angedroht hatte, die Leiche zu schänden. Wenige Tage später wurde Tuğluk in Dersim beigesetzt. Ihre Tochter durfte sich nicht verabschieden. Die Gefängnisleitung hatte ihr keine zweite Sondererlaubnis erteilt.

Die ehemalige Ko-Vorsitzende des Demokratischen Gesellschaftskongresses (KCD) Tuğluk war in einem Verfahren zuvor bereits wegen ihrer Funktion in dem Graswurzelbündnis wegen „Leitung einer Terrororganisation“ zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Ihre Haftstrafe wurde mittlerweile ebenfalls vom Berufungsgericht bestätigt. Sie ist seit dem 29. Dezember 2016 im F-Typ Nr. 1 von Kandira inhaftiert.

Wer ist Sebahat Tuncel?

Die Politikerin, Feministin und ehemalige Krankenschwester Sebahat Tuncel wurde im Jahr 2006 aufgrund des Verdachts der PKK-Mitgliedschaft angeklagt und inhaftiert. Ein Jahr zuvor gründete sie mit führenden kurdischen Politiker*innen die Partei der demokratischen Gesellschaft (Demokratik Toplum Partisi, DTP), die sich für die nationale Anerkennung der Kurd*innen und eine friedliche Lösung der kurdischen Frage einsetzte. Die Partei wurde am 11. Dezember 2009 durch Entscheid des Verfassungsgerichts verboten.

Für die Parlamentswahlen 2007 kandidierte die 44-Jährige als unabhängige Kandidatin für die Provinz Istanbul und gewann mit 93.000 Stimmen im dritten Wahlbezirk. Daraufhin wurde sie am 25. Juli 2007 aus der Haft entlassen. Tuncel ist damit die erste Abgeordnete, die aus dem Gefängnis heraus eine Wahl gewann.

Nach dem Verbot der DTP trat Tuncel der Partei des Friedens und der Demokratie (Barış ve Demokrasi Partisi, BDP) bei. Für die Parlamentswahlen im Juni 2011 stellte sie sich als unabhängige Kandidatin wieder für Istanbul auf und wurde wiedergewählt. 2014 wurde die BDP auf dem dritten Parteikongress umbenannt. So entstand die heutige Partei der Demokratischen Regionen (Demokratik Bölgeler Partisi, DBP), deren Ko-Vorsitzende Sebahat Tuncel ist.

Sebahat Tuncel wurde im Herbst 2016 verhaftet und im Februar 2019 gemeinsam mit Gültan Kışanak wegen Terrorismusvorwürfen zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Das Revisionsgericht hat das Urteil wegen Formfehlern aufgehoben. Seit Mitte Januar läuft das wieder aufgerollte Verfahren in Meletî (Malatya). Tuncel befindet sich weiterhin in Haft und das Verfahren läuft.