Kobanê-Proteste: Abgeordneten droht Immunitätsverlust

Die Generalstaatsanwaltschaft Ankara will die Aufhebung der Immunität von sieben HDP-Abgeordneten beantragen. Betroffenen sind Parlamentarier*innen, die während der Kobanê-Proteste im Oktober 2014 Mitglied des zentralen Exekutivrats waren.

Die Generalstaatsanwaltschaft Ankara hat angekündigt, die Aufhebung der parlamentarischen Immunität von mehreren Abgeordneten der Demokratischen Partei der Völker (HDP) zu beantragen. Wie es in einer Mitteilung der Behörde heißt, wird der Immunitätsverlust von insgesamt sieben Parlamentarier*innen gefordert, die zur Zeit der sogenannten Kobanê-Proteste im Oktober 2014 Mitglied des zentralen Exekutivrates der HDP waren. Namen nannte die Staatsanwaltschaft nicht, vermutlich geht es aber unter anderem um Garo Paylan, Hüda Kaya, Meral Danış Beştaş, Saruhan Oluç, Serpil Kemalbay und Sezai Temelli.

Wann die Anträge zum Entzug der politischen Immunität der Abgeordneten bei der Verfassungskommission und dem Vorsitz des Parlaments eingereicht werden sollen, ist unklar. Wie die Staatsanwaltschaft außerdem verlautbaren ließ, sollen im Rahmen der Festnahmewelle gegen die HDP bereits 20 Personen bei landesweiten Razzien festgenommen worden sein. Zur Fahndung ausgeschrieben sind insgesamt 82 Personen, 61 von ihnen befinden sich laut der Behörde im Ausland und sollen daher bei der internationalen kriminalpolizeilichen Organisation Interpol auf die Fahndungsliste gesetzt werden. Ob das Justizministerium die „Red Notice“ bei Interpol absegnen wird, bleibt abzuwarten.

Neuer politischer Putsch 

In der Türkei hat am Freitag ein neuer politischer Vernichtungsfeldzug gegen die HDP begonnen. Unter den Festgenommenen befinden sich hochrangige Vertreterinnen und Vertreter der HDP, darunter der Ko-Bürgermeister der nordkurdischen Stadt Qers (türk. Kars), Ayhan Bilgen, der Filmemacher, ehemalige Parlamentsabgeordnete und einstige Sprecher der Imrali-Delegation Sirri Süreyya Önder, der langjährige außenpolitische Sprecher Nazmi Gür, Politökonom und Journalist Alp Altınörs, die früheren Abgeordneten Ayla Akat Ata, Altan Tan und Emine Ayna sowie die ehemaligen Exekutivratsmitglieder Ali Ürküt, Gülfer Akkaya, Can Memiş, Beyza Üstün, Günay Kubilay, Dilek Yağlı, Berfin Köse, Bircan Yorulmaz, Cihan Erdal und Pervin Oduncu.

Hintergrund ist ihre vermeintliche Beteiligung an Demonstrationen im Oktober 2014, als die HDP anlässlich des IS-Angriffs auf die Stadt Kobanê in Westkurdistan/Nordsyrien auch gegen die Unterstützung der türkischen Regierung für die dschihadistische Terrormiliz protestierte. Bereits die ehemaligen HDP-Vorsitzenden Figen Yüksekdağ und Selahattin Demirtaş waren unter anderem wegen der Beteiligung an den „Kobanê-Protesten“ verhaftet worden.

Hintergrund der Kobanê-Proteste

Am Abend des 6. Oktober 2014 war es dem IS nach 21 Tagen Widerstand der Verteidigungseinheiten YPG/YPJ sowie der Bevölkerung von Kobanê gelungen, ins Stadtzentrum einzudringen. Angesichts der kritischen Situation hatte die HDP die Bevölkerung Nordkurdistans und der Türkei zu einem unbefristeten Protest gegen die AKP-Regierung aufgerufen, da diese ihre Unterstützung für den IS nicht beendete. Im Zuge dessen kam es in vielen Städten zu regelrechten Straßenschlachten zwischen türkischen Sicherheitskräften und den Protestierenden: Soldaten, Polizisten, Dorfschützer sowie Mitglieder und Anhänger der radikalislamistischen türkischen Hisbollah (Hizbullah) führten einen gemeinsamen Kampf gegen Kurd*innen, die sich an den Protesten beteiligten. Die Zahl der dabei getöteten Personen, bei denen es sich größtenteils um Teilnehmende des Aufstands handelte, schwankt zwischen 46 und 53.

Staatsanwaltschaft: Angriffe gegen 326 Sicherheitskräfte und 435 Bürger

Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens ist ein 24-stündiges Anwaltsverbot angeordnet worden. Einen Tag lang wird den Festgenommenen somit der Zugang zu einem Rechtsbeistand verwehrt. Begründet wird die Maßnahme mit Verdunkelungsgefahr. Den Betroffenen wird versuchte Zerstörung der Einheit und Integrität des Staates, Mord, Plünderung, Anstachelung zur Gewalt und Freiheitsberaubung vorgeworfen. Sie werden beschuldigt, für Angriffe gegen 326 Sicherheitskräfte und 435 Bürger verantwortlich zu sein, teilte die Staatsanwaltschaft in Ankara mit.