Siebzehn Verhaftungen im „Kobanê-Verfahren“

Ein Gericht in Ankara hat Untersuchungshaft gegen siebzehn Politikerinnen und Politiker der HDP angeordnet. Grundlage ist das sogenannte „Kobanê-Verfahren“.

Im Rahmen des „Kobanê-Verfahrens“ hat ein Gericht in Ankara Untersuchungshaft gegen siebzehn Politikerinnen und Politiker der Demokratischen Partei der Völker (HDP) angeordnet. Die Betroffenen, allesamt bekannte HDP-Vertreter, darunter ehemalige Abgeordnete und Bürgermeister, waren am Freitag vor einer Woche bei Polizeioperationen in sieben Provinzen festgenommen worden. Hintergrund ist ihre vermeintliche Beteiligung an Demonstrationen im Oktober 2014, als die HDP anlässlich des IS-Angriffs auf die Stadt Kobanê in Westkurdistan/Nordsyrien auch gegen die Unterstützung der türkischen Regierung für die dschihadistische Terrormiliz protestierte.

Die Haftbefehle ergingen gegen den Bürgermeister von Qers, Ayhan Bilgen, Politökonom Alp Altınörs vom HDP-Exekutivrat, den langjährigen außenpolitischen Sprecher Nazmi Gür, die ehemaligen Parlamentarierinnen Ayla Akat Ata und Emine Ayna, die früheren Exekutivratsmitglieder Bircan Yorulmaz, Berfin Özgü Köse, Dilek Yağlı, Can Memiş, Günay Kubilay, Bülent Parmaksız, Pervin Oduncu, İsmail Şengün und Cihan Erdal, den ehemaligen HDP-Schatzmeister Zeki Çelik, den früheren stellvertretende HDP-Vorsitzende Ali Ürküt und die Umweltingenieurin und frühere Abgeordnete Emine Beyza Üstün. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass aufgrund der „hohen Straferwartung ein Anreiz gegeben“ sei, der die Annahme nahelege, dass sich die Beschuldigten dem Verfahren durch Flucht entziehen würden. Nur der ehemalige Parlamentsabgeordnete und einstige Sprecher der Imrali-Delegation, Sırrı Süreyya Önder, die feministische Buchautorin Gülfer Akkaya und der Ex-Parlamentarier Altan Tan wurden unter Meldeauflagen auf freien Fuß gesetzt. Außerdem wurde ein Ausreiseverbot gegen sie angeordnet.

Haftbefehle in Abwesenheit von Rechtsbeistand verlesen

Die Untersuchungshaft gegen die Politikerinnen und Politiker wurde vom Gericht in Abwesenheit des Rechtsbeistands verkündet. Auch Abgeordnete wurden nicht zur Verhandlung zugelassen. Vor dem Gerichtssaal kam es zu lautstarken Protesten. Es fielen Parolen wie „Die Verteidigung wird nicht schweigen“ oder „die HDP war und ist nicht mundtot zu kriegen“. Den verhafteten HDP-Mitgliedern wird versuchte Zerstörung der Einheit und Integrität des Staates, Mord, Plünderung, Anstachelung zur Gewalt und Freiheitsberaubung vorgeworfen. Im Rahmen des Verfahrens werden weitere 62 Personen gesucht, von denen sich 61 im Ausland aufhalten sollen. Die Türkei will sie bei Interpol auf die Fahndungsliste setzen.

Hintergrund der Kobanê-Proteste

Am Abend des 6. Oktober 2014 war es dem IS nach 21 Tagen Widerstand der Verteidigungseinheiten YPG/YPJ sowie der Bevölkerung von Kobanê gelungen, ins Stadtzentrum einzudringen. Angesichts der kritischen Situation hatte die HDP die Bevölkerung Nordkurdistans und der Türkei zu einem unbefristeten Protest gegen die AKP-Regierung aufgerufen, da diese ihre Unterstützung für den IS nicht beendete. Im Zuge dessen kam es in vielen Städten zu regelrechten Straßenschlachten zwischen türkischen Sicherheitskräften und den Protestierenden: Soldaten, Polizisten, Dorfschützer sowie Mitglieder und Anhänger der radikalislamistischen türkischen Hisbollah (Hizbullah) führten einen gemeinsamen Kampf gegen Kurd*innen, die sich an den Protesten beteiligten. Die Zahl der dabei getöteten Personen, bei denen es sich fast ausschließlich um Teilnehmende des Aufstands handelte, schwankt zwischen 46 und 53. Laut türkischen Behörden soll es im Verlauf der Proteste zudem Angriffe gegen 326 Sicherheitskräfte und 435 Bürger gegeben haben. Die Regierung beschuldigt die HDP, für die Vorfälle verantwortlich zu sein. Bereits die ehemaligen HDP-Vorsitzenden Figen Yüksekdağ und Selahattin Demirtaş waren unter anderem wegen der Beteiligung an den „Kobanê-Protesten“ verhaftet worden.