Gohlke: Bundesregierung darf nicht länger schweigen

Der HDP-Politiker Ayhan Bilgen ist in der Türkei verhaftet worden. Die Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke (DIE LINKE) fordert Bundesaußenminister Heiko Maas auf, sich für den inhaftierten Bürgermeister einzusetzen.

Die Linksabgeordnete Nicole Gohlke fordert von Bundesaußenminister Heiko Maas, sich für den in der Türkei verhafteten HDP-Politiker Ayhan Bilgen einzusetzen. Der abgesetzte Bürgermeister von Qers (türk. Kars) ist Anfang Oktober zusammen mit sechzehn weiteren Politikerinnen und Politikern der Demokratischen Partei der Völker (HDP) im Rahmen des „Kobanê-Verfahrens“ in Ankara verhaftet worden. Bei einer Verurteilung drohen ihnen langjährige Freiheitsstrafen.

Nicole Gohlke, Abgeordnete der Linksfraktion im Bundestag, war bereits mehrfach in der Türkei und zuletzt 2014 auf einer Delegationsreise in Nordkurdistan. Im Rahmen des Bundestagsprogramms „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ hat sie eine Patenschaft für Ayhan Bilgen übernommen und setzt sich für ihn ein.

„Die Inhaftierung von Ayhan Bilgen und weiterer HDP-Bürgermeister*innen ist mit einem Rechtsstaat nicht zusammenzubringen. Wo Aufrufe zu Demonstrationen mit Gefängnis quittiert werden, wird die Demokratie mit Füßen getreten. Die Bundesregierung darf nicht länger dazu schweigen, wie Erdogan eine Präsidialdiktatur aufbaut. Ich erwarte von Bundesaußenminister Maas und dem deutschen Botschafter in Ankara, dass sie sich vor Ort ein Bild von Ayhan Bilgens Haftbedingungen machen und auf seine Freilassung pochen“, erklärte die Münchner Abgeordnete gegenüber ANF zu ihrem Engagement.

In einem Brief an Bundesaußenminister Maas und den deutschen Botschafter Jürgen Schulz führt Nicole Gohlke aus: „Im Rahmen des fraktionsübergreifenden Bundestagsprogramms „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ bin ich Patin von Herrn Bilgen und habe größte Sorge um seine körperliche Unversehrtheit und rechtsstaatliche Behandlung in türkischer Haft. Denn laut Medienberichten wurde ihm nach seiner Festnahme für 24 Stunden ein Rechtsbeistand verwehrt. Das Auswärtige Amt soll in einem Bericht vom 24. August 2020 selbst festgestellt haben, dass die „Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit“ in der Türkei praktisch „weitgehend ausgehebelt“ ist. Die Justiz ist nach Worten ihres Ministeriums „in weiten Teilen dysfunktional“ und die Gewaltenteilung sei nicht garantiert. Bereits „öffentliche Kritik am Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte in den kurdisch geprägten Gebieten der Südosttürkei“ kann demnach zur Beschuldigung der Terrorpropaganda führen. Allein im vergangenen Jahr haben über 10.000 Menschen aus der Türkei einen Antrag auf Asyl gestellt. Damit belegt das Land Platz drei in der Asylstatistik; bei einer Schutzquote von 53 Prozent. Der Einschätzung zur Lage der demokratischen Grundrechte in der Türkei möchte ich mich vollumfänglich anschließen – Die Türkei ist kein Rechtsstaat!

Das belegt auch die Weigerung von Erdogan, den Vorsitzenden der HDP Selahattin Demirtaş freizulassen, wie es der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem Urteil forderte. Beim EGMR waren zu Jahresbeginn 9.2000 Menschenrechtsbeschwerden anhängig, die sich auf die Türkei bezogen. Zudem soll die Regierung für rund 125 Entführungen von Oppositionellen verantwortlich sein. Zuletzt forderten Amnesty International und Human Rights Watch die türkische Regierung auf, den Tod von zwei kurdischen Bauern aufzuklären. Sie sollen vom Militär festgenommen, gefoltert und aus einem Hubschrauber gestoßen worden sein.“

Fragen an die türkischen Behörden

Den Bundesaußenminister bittet Nicole Gohlke darum, bei den türkischen Behörden umgehend Informationen über den Verbleib von Ayhan Bilgen und Antworten auf folgende Fragen einzufordern:

1. Welche Straftaten werden Herrn Bilgen im Einzelnen zur Last gelegt?

2. In welchem Gefängnis ist er inhaftiert?

3. Wie sind die Haftbedingungen? Ist er in einer Einzelzelle oder Mehrpersonenzelle inhaftiert? Verfügt seine Zelle über eine Sitz- und Schlafmöglichkeit sowie Tageslichtfenster? Wie oft hat er täglich Ausgang außerhalb der Zelle im Gebäude bzw. als Hofgang mit Frischluft und Tageslicht? Hat er Zugang zu Medien (Tageszeitung, TV-Nachrichten, Internet)? Darf er Besuch empfangen und wenn ja, wie oft? Bekommt er in der Haft Post zugestellt und darf er Briefe versenden oder besteht eine Postkontaktsperre? Wie wird garantiert, dass Herr Bilgen in Haft keine körperlichen Schäden erleidet?

4. Wie ist sein Zugang zu medizinischer Versorgung?

5. Ist es zutreffend, dass Herr Bilgen in Haft eine Lebensmittelvergiftung erlitten hat, und worauf ist diese zurückzuführen?

6. Ist es zutreffend, dass Herrn Bilgen für 24 Stunden die Kontaktaufnahme zu seinem Anwalt untersagt wurde und wenn ja, mit welcher Begründung?

7. Hat Herr Bilgin mittlerweile uneingeschränkten Zugang zu seinem rechtlichen Beistand?

8. Wann wird voraussichtlich das Gerichtsverfahren gegen ihn eröffnet?“

Der deutsche Botschafter in Ankara wird in dem Brief darum gebeten, sich in der Türkei zeitnah vor Ort ein Bild von der Haftsituation und körperlichen Verfasstheit von Ayhan Bilgen zu verschaffen.