Şevin Alaca als „Terroristin“ verurteilt und freigelassen

Die abgesetzte Ko-Bürgermeisterin von Qers, Şevin Alaca, ist wegen vermeintlicher PKK-Mitgliedschaft zu knapp sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden. Gleichzeitig wurde ihre Haftentlassung angeordnet.

Die HDP-Politikerin Şevin Alaca ist in der Türkei wegen „Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation“ zu knapp sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Gleichzeitig ordnete das Gericht in Qers (tr. Kars) ihre Entlassung aus dem Gefängnis an. Alaca saß seit einem halben Jahr in Untersuchungshaft. Anfang Oktober wurde sie auf Betreiben des Innenministeriums von ihrem Amt als Ko-Bürgermeisterin der Großstadt Qers entlassen, noch während sie sich in Polizeigewahrsam befand. Anstelle der Politikerin und ihres männlichen Amtskollegen Ayhan Bilgen wurde der Provinzgouverneur von Qers zum Zwangsverwalter des Rathauses ernannt.

Kriminalisierung von demokratischer Kommunalpolitik

Vor Gericht wies Şevin Alaca alle gegen sie erhobenen Vorwürfe zurück. Zu ihrer Verteidigung erklärte sie, ihre Kommune gemäß dem Parteistatut der HDP verwaltet zu haben. Bei allen kriminalisierten Aktivitäten habe es sich um legales politisches Engagement gehandelt, so die Politikerin. Ihre Verteidiger führten ebenfalls an, dass sich die Vorwürfe gegen ihre Mandantin auf ihre Tätigkeiten als Bürgermeisterin beziehen würden und forderten Freispruch.

Vorwurf: Stärkung der Frauenökonomie, Panel zu patriarchaler Gewalt

In der 100 Seiten dicken Anklageschrift gegen Alaca wurde im Grunde frauenpolitische Kommunalpolitik inkriminiert. Aktivitäten wie die Teilnahme an Kundgebungen anlässlich des Frauenkampftags am 8. März, Versammlungen der kurdischen Frauenbewegung TJA, oder eine Online-Veranstaltung zum Anstieg patriarchaler Gewalt während der Corona-Pandemie werden als „Handlungen für eine Terrororganisation” ausgelegt.

Ayhan Bilgen und Şevin Alaca kurz vor der Kommunalwahl im März 2019 © Pirha

Aus der Anklageschrift ging zudem hervor, dass Alaca über Monate illegal abgehört worden ist. Die als Beweise beigefügten Gesprächsprotokolle enthalten unter anderem eine Unterhaltung der Politikerin über die Eröffnung eines Marktes ausschließlich für Frauen mit dem Ziel, die Frauenökonomie in Qers zu stärken. Aus der Frage Alacas an ihre Gesprächspartnerin, wie eine Modenschau traditionell kurdischer Kleider bei der Markteröffnung gestaltet werden sollte, konstruierte die Anklagebehörde ebenfalls „terroristisches Engagement“. Das Gesamtstrafmaß gegen Alaca beträgt sechs Jahre, zehn Monate und 15 Tage Haft.

Weitere HDP-Politiker aus Qers freigelassen

Verhandelt wurde am Dienstag auch gegen fünf Lokalpolitiker der HDP in Qers: Cengiz Anlı, Ko-Vorsitzender des Provinzverbands sowie die vier Vorstandsmitglieder Izzet Altığ, Mustafa Yardımcıel, Reis Baykız und Kaya Naki waren ebenfalls im Oktober unter Terrorvorwürfen verhaftet worden. Auch sie wurden freigelassen, das Verfahren wird allerdings am 10. Juni fortgesetzt.