Ko-Bürgermeisterin von Qers bleibt im Gefängnis

Die abgesetzte Ko-Bürgermeisterin von Qers, Şevin Alaca (HDP), bleibt in Untersuchungshaft. Das Verfahren wegen Terrorvorwürfen gegen die Politikerin wird im April fortgesetzt.

Die in der Türkei unter Terrorvorwürfen inhaftierte HDP-Politikerin Şevin Alaca bleibt vorerst in Untersuchungshaft. Ein Gericht in der Provinz Qers (tr. Kars) entschied am Donnerstag, dass der Haftbefehl „aus Gründen seiner Anordnung“ aufrechterhalten bleibt. Alaca war bis vor wenigen Monaten noch die Ko-Bürgermeisterin von Qers. Kurz vor ihrer Verhaftung am 8. Oktober – noch während sie sich in Polizeigewahrsam befand – setzte das türkische Innenministerium Alaca ab und ernannte an ihrer Stelle einen Zwangsverwalter für das Rathaus von Qers. Die Ernennung von Regimebeamten als Treuhänder in Stadtverwaltungen wird seit 2016 vom türkischen Staat als Waffe gegen die kurdische Kommunalpolitik eingesetzt.

Şevin Alaca wird „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ vorgeworfen. Die Anschuldigungen beziehen sich faktisch auf ihre Tätigkeiten als Bürgermeisterin. Hauptsächlich geht es dabei um frauenpolitische Aktivitäten wie die Teilnahme Alacas an Kundgebungen anlässlich des Frauenkampftags 8. März, Versammlungen der kurdischen Frauenbewegung TJA, sowie einer Online-Veranstaltung zum Anstieg patriarchaler Gewalt während der Corona-Pandemie.

Stärkung der Frauenökonomie = Terrorismus

Aus der 100-seitigen Anklageschrift gegen Alaca geht zudem hervor, dass die Politikerin über Monate illegal abgehört worden ist. Die als Beweise beigefügten Gesprächsprotokolle enthalten unter anderem eine Unterhaltung der abgesetzten Bürgermeisterin über die Eröffnung eines Marktes ausschließlich für Frauen mit dem Ziel, die Frauenökonomie in Qers zu stärken. Aus der Frage Alacas gegenüber ihrer Gesprächspartnerin, wie eine Modenschau traditionell kurdischer Kleider bei der Markteröffnung gestaltet werden soll, konstruiert die Generalstaatsanwaltschaft „Handlungen für eine Terrororganisation”.

Vorwurf: Genderparitätische Doppelspitze in Ämtern

Im Zusammenhang mit dem System der genderparitätischen Doppelspitze bei der HDP, wonach jeweils ein Mann und eine Frau das Bürgermeisteramt gemeinsam ausüben, wird Alaca vorgeworfen, sich wegen Amtsdelikten strafbar gemacht zu haben. Kriminalisiert werden auch Tänze bei der Frauenkundgebung am 8. März in Qers, an denen sich Alaca beteiligt haben soll, die Parole „Jin, Jiyan, Azadî“ (Frauen, Leben, Freiheit), die sie dabei gerufen hätte, und das Wort „Kurdistan“, das die Politikerin bei Presseerklärungen verwendet habe. Auch der Empfang von Delegationen, die nach Qers reisten, darunter eine von der HDP-Vorsitzenden Pervin Buldan geleitete Abordnung, sowie Aktivitäten für die von der HDP initiierte Patenschaftskampagne für Familien, die in der Corona-Pandemie in Not geraten sind, werden von der Staatsanwaltschaft Qers als Beweise „terroristischer Taten“ gewertet.

Prozess wird im April fortgesetzt

Şevin Alaca ist krank. Vier Mal wurde sie bereits an der Lunge operiert, im August erkrankte sie zudem an Covid-19. Nur wenige Wochen nach ihrer Verhaftung infizierte sie sich Mitte November im Frauengefängnis Diyarbakir (ku. Amed) erneut mit dem Coronavirus. Der Prozess gegen Şevin Alaca wird am 6. April fortgesetzt. Bei einer Verurteilung drohen der Politikerin bis zu fünfzehn Jahre Haft.