Appell aus der Schweiz zur Freilassung von kurdischen Medienschaffenden

Etwa zwanzig zivilgesellschaftliche Organisationen, Berufsverbände und politische Parteien sowie dutzende Intellektuelle fordern in einem Appell die sofortige Freilassung der kurdischen Journalist:innen, die am Mittwoch in Amed festgenommen wurden.

Etwa zwanzig zivilgesellschaftliche Organisationen, Berufsverbände und politische Parteien in der Schweiz fordern die sofortige Freilassung von zwanzig kurdischen Journalistinnen und Journalisten, die seit Tagen in Amed (tr. Diyarbakır) in Polizeihaft sitzen. In einem gemeinsamen Appell, der am Montag vorgestellt wurde, rufen sie die türkische Regierung in Ankara dazu auf, die Medienschaffenden der kurdischen Presse umgehend auf freien Fuß zu setzen. Zu den Unterzeichnenden gehören auch etwa hundert Intellektuelle und Akademiker:innen, darunter der schweizerische Soziologe Jean Ziegler, der türkische Verleger Ragıp Zarakolu und die indisch-britische Juraprofessorin und Philosophin Radha d'Souza.

Repression gegen kritische Medien ein klares und beunruhigendes Signal

„Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist in der Türkei ständigen und zunehmenden Angriffen ausgesetzt. Akademiker:innen, Journalist:innen und Schriftsteller:innen, die die Regierung kritisieren, sind von strafrechtlichen Ermittlungen, Strafverfolgung, Einschüchterung, Schikanen und Zensur bedroht“, heißt es in dem Appell, der von Organisationen und Parteien wie Medico International Schweiz, Stiftung Mojust International, Plattform für Frieden und Solidarität, SP Schweiz, Collectif Question Kurde de l'Université de Genève, Basels starke Alternative (BastA!), Demokratische Juristinnen und Juristen der Schweiz DJS, Solidarité sans frontières und Grüne Schweiz initiiert wurde. Diese Strategie und die Festnahmen der kurdischen Medienschaffenden seien „ein klares und beunruhigendes Signal“ und hätten schwerwiegende Folgen für die Pressefreiheit. „Das Ausmaß der Verhaftungen und der Unterdrückung der Medien durch die türkische Regierung wird von vielen internationalen Institutionen und Organisationen als ‚ein Land, das ein Gefängnis für Journalisten ist‘ beschrieben.“

Mittlerweile 22 Festnahmen

Am Mittwoch hatte die türkische Justiz zu einem neuen Schlag gegen die freie kurdische Presse ausgeholt. Auf Anordnung der Generalstaatsanwaltschaft Diyarbakır wurden zahlreiche Wohnungen und Redaktionsräume gestürmt, insgesamt zwanzig Journalistinnen und Journalisten sind festgenommen worden. Dabei handelt es sich um Serdar Altan (Ko-Vorsitzender des Journalistenvereins Dicle-Firat, DFG), Safiye Alagaş (Direktorin der Frauennachrichtenagentur JinNews), Gülşen Koçuk (Redakteurin von JinNews), Aziz Oruç (Redakteur der Nachrichtenagentur Mezopotamya, MA), Ömer Çelik, Suat Doğuhan, Ramazan Geciken, Berivan Karatorak, Esmer Tunç, Neşe Toprak, Zeynel Abidin Bulut, Mazlum Doğan Güler, Mehmet Şahin, Elif Üngür, Ibrahim Koyuncu, Remziye Temel, Mehmet Yalçın und Abdurrahman Öncü. Im selben Ermittlungsverfahren ist auch die Aktivistin und Köchin Feynaz Koçuk aus Gebze in der Westtürkei festgenommen worden. Wie erst heute bekannt wurde, befindet sich mit İhsan Ergülen eine 22. Person aufgrund derselben Ermittlungen seit Mittwoch in Gewahrsam. Die Zahl der durchsuchten Medieneinrichtungen beläuft sich auf sechs, darunter zwei Nachrichtenagenturen (MA und JinNews) und eine kurdischsprachige Zeitung (Xwebûn). Auch drei Produktionsfirmen (Piya, Ari und Pel) wurden ins Visier genommen. Das Pressematerial in diesen Einrichtungen wurde von der Polizei beschlagnahmt und auf die Polizeiwache gebracht.

Regierungspresse hat Einblick in die Akte, Anwälte nicht

Nach wie vor ist unklar, was den Journalist:innen juristisch vorgeworfen wird. Die Ermittlungsakten unterliegen einer Geheimhaltungsklausel und sind auch für die Rechtsbeistände nicht zugänglich. Regierungsnahe Medien wie die amtliche Nachrichtenagentur AA und der staatliche Sender TRT dagegen haben offensichtlich Einblick in die Ermittlungsunterlagen. So heißt es in entsprechenden Berichten zur kruden Argumentation des Verfahrens, es sei festgestellt worden, dass die beschuldigten Medienschaffenden und ihre Einrichtungen „Propaganda für eine Terrororganisation“ betreiben würden, TV-Programme „zugunsten des Anführers der Terrororganisation“ – gemeint ist der PKK-Begründer Abdullah Öcalan – produziert hätten, zur „Beeinflussung der Öffentlichkeit Agitation“ betreiben, „indem sie den Eindruck erwecken, die Operationen türkischer Streitkräfte gegen die Terrororganisation würden sich gegen das kurdische Volk richten“, sich „für die Legitimation der Terrororganisation“ betätigten, „Anweisungen von der Führungsebene“ weiterleiteten und „Terroristen mittels Nachrichtenbeiträgen und TV-Programmen über Operationen und Aktivitäten der Luftwaffe“ informierten.

Türkei extrem repressives Land für Medien

„Grundrechte und -freiheiten verletzend, nehmen die türkische Regierung und ihre Partner weiterhin Medienschaffende ins Visier, ebnen den Weg für physische Angriffe auf sie und belohnen diejenigen, die Journalist:innen ungestraft angreifen“, heißt es weiter im Appell aus der Schweiz. Die lange Festsetzung von Medienschaffenden aufgrund willkürlicher Anschuldigungen sei ein Angriff auf die Demokratie. Darüber hinaus sei die Türkei nach wie vor ein „extrem repressives Land“ für die Medien. Türkische Behörden und Gerichte setzten kritischen Journalismus mit kriminellen terroristischen Aktivitäten gleich. „Dies wurde auch von internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen, dem Europarat und der EU, RSF und Amnesty International stark kritisiert. Die Türkei steht auf dem Weltindex für Pressefreiheit auf Platz 149 von 180 Ländern, und derzeit befinden sich in der Türkei 60 Journalist:innen im Gefängnis.“

Neuer Gesetzesentwurf über „Desinformation und falsche Informationen“

Außerdem versucht die Regierung derzeit, mit einem neuen Gesetz Druck auf die Medien zu schaffen und Zensur auszuüben. Der neue Gesetzesentwurf über „Desinformation und falsche Informationen“ sieht eine Gefängnisstrafe von bis zu drei Jahren für jede Person vor, die „die Sicherheit des Landes oder die öffentliche Ordnung gefährden will“. Ein solches Gesetz, das die Definition von „Desinformation“ und „Absicht“ so vage lasse, setze Medienschaffende und Millionen von Netznutzer:innen in der Türkei dem Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung aus, wenn sie Informationen weitergeben, die von der Regierung nicht gebilligt werden. „Das Gesetz kann zu einem weiteren Instrument werden, um Journalist:innen und Oppositionsgruppen zu schikanieren und die Selbstzensur zu verallgemeinern“, heißt es eindringlich in dem Appell.

Weitere Forderungen des Appells

„In diesem Zusammenhang fordern wir, die Unterzeichnenden, die Beendigung der Verfolgung von Journalist:innen in der Türkei und die sofortige Freilassung der derzeit inhaftierten; weiter die Aufhebung der Anti-Terror-Gesetzgebung des Landes, die Einführung wirksamer Garantien für die Meinungsfreiheit und die Unabhängigkeit der Justiz, die Beendigung der systematischen Verletzung demokratischer Normen und die Einführung von Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit. Wir fordern die Türkei auf, im Einklang mit den von ihr unterzeichneten internationalen Konventionen zu handeln.“

Der vollständige und mehrsprachige Appell kann unter der Adresse https://form.jotform.com/221605337173047 eingesehen und unterzeichnet werden.