Zwanzig Journalist:innen seit Mittwoch in Polizeihaft

In Amed befinden sich zwanzig Journalist:innen seit drei Tagen in Polizeihaft. Zahlreiche Organisationen fordern ihre sofortige Freilassung. Der Journalistenverein DFG erklärt, dass die freien Medien mit Repression zum Schweigen gebracht werden sollen.

Zivilgesellschaftliche Organisationen und die Parteien HDP und DBP haben am Freitag in Amed (tr. Diyarbakir) die Freilassung der am 8. Juni festgenommenen Journalist:innen gefordert. An der Aktion beteiligten sich neben HDP-Abgeordneten Vertreter:innen der Juristenvereinigung ÖHD, des mesopotamischen Sprach- und Kulturvereins MED-DER, der Solidaritätsvereine MEBYA-DER, TUAY-DER und MED TUHAD-FED, der Frauenbewegung TJA, des mesopotamischen Migrationsvereins GÖÇ-DER, des Frauenvereins Rosa, des Menschenrechtsvereins IHD, der Menschenrechtsstiftung TIHV, der Initiative der Friedensmütter und weiterer Institutionen.

Die Teilnehmenden liefen mit einem Transparent mit der Aufschrift „Ihr könnt uns nicht zum Schweigen bringen“ vom HDP-Provinzverband zu den Räumlichkeiten des Journalistenvereins DFG in der Sanat Sokağı. Dort wurde eine Erklärung abgegeben, in denen sich die Vertreter:innen der verschiedenen Organisationen mit den Festgenommenen solidarisierten und die Repression gegen die kurdischen Medien als Teil des Vernichtungsfeldzugs in Kurdistan einordneten.

Zwanzig Journalist:innen seit vier Tagen in Polizeigewahrsam

Bei den festgenommenen Medienschaffenden handelt es sich um Vertreter:innen der freien kurdischen Presse:  Serdar Altan (Ko-Vorsitzender des Journalistenvereins Dicle-Firat, DFG), Safiye Alagaş (Direktorin der Frauennachrichtenagentur JinNews), Gülşen Koçuk (Redakteurin von JinNews), Aziz Oruç (Redakteur der Nachrichtenagentur Mezopotamya, MA), Ömer Çelik, Suat Doğuhan, Ramazan Geciken, Berivan Karatorak, Esmer Tunç, Neşe Toprak, Zeynel Abidin Bulut, Mazlum Doğan Güler, Mehmet Şahin, Elif Üngür, Ibrahim Koyuncu, Remziye Temel, Mehmet Yalçın und Abdurrahman Öncü. Im selben Ermittlungsverfahren ist auch die Aktivistin Feynaz Koçuk aus Gebze in der Westtürkei festgenommen worden.

Die festgenommenen Journalist:innen werden in der Antiterrorabteilung festgehalten

Noch immer ist unklar, was den Betroffenen vorgeworfen wird. Die Akte unterliegt einer Geheimhaltungsklausel, selbst Anwältinnen und Anwälte haben keinen Zugang. Die Medienschaffenden werden nach wie vor in Einzelzellen in der Antiterrorabteilung der Polizei Diyarbakır festgehalten. Am Freitag wurde die Dauer der Polizeihaft um vorerst zwei Tage verlängert, weil die Fahndung nach weiteren „Gesuchten“ noch nicht abgeschlossen sei.

DFG: Die freie Presse soll zum Schweigen gebracht werden

Der Journalistenverein Dicle-Firat (DFG) hat unterdessen eine Stellungnahme zu den Festnahmen veröffentlicht. In der Erklärung heißt es:

„Am 8. Juni 2022 wurde in Diyarbakır eine umfassende Verhaftungsaktion gegen Journalist:innen und Medienorganisationen durchgeführt. Während die Regierung versucht, Restriktionen zu verhängen, um die freie Presse zum Schweigen zu bringen und die Bevölkerung daran zu hindern, die Fakten zu erfahren, werden Journalist:innen, die unter sehr schwierigen Umständen arbeiten, inhaftiert und Medieneinrichtungen geschlossen. Die Türkei, die auf der Weltrangliste der Pressefreiheit einen der hintersten Plätze einnimmt, rückt mit ihren Einschränkungen für die Presse ganz nach unten auf der Liste. Jeden Tag wird eine neue Untersuchung gegen einen Journalisten oder eine Nachrichtenagentur eingeleitet. Weniger als eine Woche, nachdem unsere Ko-Vorsitzende Dicle Müftüoğlu festgenommen und wieder freigelassen wurde, wurden Dutzende von Journalist:innen, darunter auch unser anderer Ko-Vorsitzender Serdar Altan, mitten in der Nacht bei Hausdurchsuchungen festgenommen. Die Journalist:innen, die jeden Tag zur Arbeit gehen und im Fernsehen auftreten, wurden bei Razzien in ihren Wohnungen festgenommen, als ob sie etwas zu verbergen hätten, nur um sie zu kriminalisieren. Aus der Erklärung der Polizei geht jedoch hervor, dass sie wegen ihrer journalistischen Tätigkeit festgenommen wurden.

Druck und Gewalt gegen Oppositionelle

Die derzeitige Regierung der Türkei befindet sich in einer politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krise. Die antidemokratischen Praktiken im Lande nehmen von Tag zu Tag zu. Infolgedessen verschärft sich die Wirtschaftskrise. Die Regierung greift auf die Methode des Krieges zurück, um die Menschen über die Rechtsverletzungen in der Türkei und die Wirtschaftskrise hinwegzutäuschen. Sie übt auch Druck und Gewalt auf diejenigen aus, die sich dem Kurs der Regierungspartei widersetzen. In den letzten zwei Wochen hat sie umfangreiche Operationen gegen oppositionelle Jugendliche, demokratische Politiker:innen und Frauenrechtsaktivist:innen durchgeführt. Die Regierung hat auf alle Oppositionsgruppen abgesehen, um sich aus dem von ihr verursachten Chaos zu befreien.

Sechs Medieneinrichtungen durchsucht

Jetzt wurde eine Operation gegen die Journalist:innen durchgeführt, die über diese Operationen berichtet und die Kriegspolitik aufgedeckt haben. Serdar Altan, Safiye Alagaş, Gülşen Koçuk, Aziz Oruç, Ömer Çelik, Suat Doğuhan, Ramazan Geciken, Esmer Tunç, Neşe Toprak, Zeynel Bulut, Mazlum Güler, Mehmet Şahin, Elif Üngür, İbrahim Koyuncu, Remziye Temel, Mehmet Yalçın, Abdurrahman Öncü, Mehmet Ali Ertaş, Lezgin Akdeniz und Kadir Bayram wurden im Rahmen dieser Operation festgenommen. Sechs Einrichtungen, in denen Journalist:innen arbeiten, wurden durchsucht und ihre technische Ausrüstung beschlagnahmt. Insgesamt wurden sechs Medieneinrichtungen, darunter zwei Nachrichtenagenturen (MA und JinNews), eine kurdischsprachige Zeitung (Xwebûn) und drei Produktionsfirmen (Piya, Ari und Pel) ins Visier genommen. Das Pressematerial in diesen Einrichtungen wurde von der Polizei beschlagnahmt und auf die Polizeiwache gebracht. Mehmet Ali Ertaş, Chefredakteur der Zeitung Xwebûn, wurde bei der Durchsuchung seiner Wohnung zehn Stunden lang in Handschellen festgehalten.

Dreißigjährige Tradition der kurdischen Medien

Die mehr als 30 Jahre währende Tradition der freien Presse unter kurdischen Journalist:innen wurde von Anfang an angegriffen und unter Druck gesetzt. Dutzende von Mitarbeiter:innen der freien Presse wurden von Soldaten, der Polizei oder paramilitärischen Kräften hingerichtet. Tausende wurden inhaftiert. Nach dem letzten Bericht unseres Vereins, der am 5. Juni 2022 veröffentlicht wurde, befinden sich 60 Journalist:innen im Gefängnis. Wir verstehen diese Operation so, dass noch mehr Journalist:innen im Gefängnis sein sollen. Solange keine gemeinsame Reaktion gegen diese Angriffe auf Journalist:innen organisiert wird, wird die Repressionspolitik der Regierung zu Ergebnissen führen.

Die Wahrheit wird nicht verheimlicht

Als Journalistenverein Dicle-Firat (DFG) kämpfen wir unter allen Umständen für den Schutz der Rechte der Mitarbeiter:innen freier Medien. Als Vereinigung von Journalist:innen, die ihren Beruf unter dem Motto ,Die Wahrheit wird nicht verheimlicht' ausüben, werden wir diese Forderung weiterhin aufrechterhalten. Wir werden für die Freilassung unserer derzeit inhaftierten Kolleginnen und Kollegen kämpfen, und für eine Zukunft, in der sie ihre berufliche Tätigkeit in einem demokratischen und freien Land ausüben können. Wir rufen alle Journalist:innen und Berufsorganisationen, die auf nationaler und internationaler Ebene kämpfen, auf, sich mit uns in diesem Kampf zu solidarisieren. Nur durch einen gemeinsamen Kampf können wir ein demokratisches Umfeld erreichen, in dem die Meinungs- und Pressefreiheit gewährleistet ist.“