Nach Terrorparagraf angeklagt
Die kurdische Journalistin Reyhan Hacıoğlu ist am Freitag vom 2. Schwurgerichtshof in Wan (tr. Van) unter Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Hacıoğlu ist wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer „terroristischen Organisation“ - gemeint ist die PKK - angeklagt und war im Januar verhaftet worden. In ihrer Verteidigung sprach sie von einem Angriff auf die Pressefreiheit und bezeichnete ihre journalistische Arbeit als legitimes öffentliches Interesse.
Die Verhandlung wurde von zahlreichen Beobachter:innen verfolgt, darunter Mitglieder des Journalistenvereins Dicle Firat (DFG), der Vereinigung der Journalistinnen Mesopotamiens (MKG) sowie verschiedene Politiker:innen.
„Ich bin Journalistin, keine Kriminelle“
Reyhan Hacıoğlu betonte in ihrer Stellungnahme, sie sei seit elf Jahren als Journalistin tätig und habe sich mit Themen wie der kurdischen Frage, Umweltzerstörung, Frauenrechten und Isolationshaft beschäftigt. Inhalte ihrer journalistischen Beiträge seien im Verfahren aus dem Zusammenhang gerissen und kriminalisiert worden. Besonders die Verwendung des Begriffs „Kurdistan“ sei ihr zur Last gelegt worden.
Nach ihrer Entlassung aus dem Hochsicherheitsgefängnis in Wan sagte Hacıoğlu: „Ich sehe diese Entlassung nicht als Freiheit. Das wäre unfair gegenüber all jenen, die weiterhin inhaftiert sind. Es war ein Akt politischer Geiselhaft. Die freie Presse wird immer wieder ins Visier genommen – wir sehen und bewerten das so.“
„Warum ich ‚Kurdistan‘ sage? Weil diese Region historisch so genannt wurde – von Evliya Çelebi über Sultan Selim bis zu Atatürk“, so Hacıoğlu. „Das als Beleg für ein Verbrechen zu deuten, ist absurd.“ Sie wies darauf hin, dass der Begriff „Kurdistan“ selbst bei regierungsnahen Veranstaltungen, etwa auf AKP-Wahlkampfkundgebungen in Amed (Diyarbakır), mehrfach gefallen sei. Die Behandlung ihrer journalistischen Beiträge durch die Justiz sei ein Angriff auf die freie Berichterstattung.
Kritik an Haftbedingungen und Justiz
In ihrer Erklärung schilderte Hacıoğlu auch Missstände im türkischen Justizvollzug, darunter fehlende medizinische Versorgung, willkürliche Zellendurchsuchungen, Einschränkungen beim Zugang zu Büchern und Zeitungen sowie die systematische Verletzung von Gefangenenrechten.
Sie verwies auf ihre erste Haftzeit im Jahr 2018, während der mehrere Inhaftierte im Zuge von Hungerstreiks ums Leben kamen – ein Thema, das sie journalistisch aufarbeitete. „Wir schreiben nicht, um den Staat zu diskreditieren, sondern um Missstände aufzudecken“, sagte sie. „Für uns bedeutet Journalismus nicht nur 5W1H, sondern auch Gewissen, Ethik und Verantwortung.“
Kritische Fragen des Gerichts
Für Aufmerksamkeit sorgten die Fragen des Gerichts an die Angeklagte, etwa: „Was meinen Sie mit ‚Kurdistan‘?“, „Was ist Jineolojî?“, oder „Wer sind die Personen, die laut Ihnen durch Drohnen getötet wurden?“ Die Staatsanwaltschaft forderte eine Fortsetzung der Untersuchungshaft.
Verteidigung: Anklage politisch motiviert
Verteidigerin Jiyan Özkaplan kritisierte die Anklage als „juristisch nicht haltbar“ und sprach von dem Versuch, Hacıoğlu mit konstruierten Vorwürfen mundtot zu machen. „Meine Mandantin ist Journalistin – die inkriminierten Aussagen wurden aus journalistischen Sendungen herausgepickt und verzerrt dargestellt“, sagte Özkaplan.
Das Gericht entschied sich dennoch gegen die Forderung der Staatsanwaltschaft und ordnete Hacıoğlus Freilassung unter Auflagen an. Die Verhandlung wurde auf den 9. Oktober vertagt.