Die vergangene Woche in Amed (tr. Diyarbakır) festgenommene kurdische Journalistin Dicle Müftüoğlu ist aus der Polizeihaft entlassen worden. Zuvor wurde sie im örtlichen Justizpalast über ein Videokonferenzsystem von der Staatsanwaltschaft Van verhört, die das Ermittlungsverfahren gegen Müftüoğlu führt. Die Behörde stellte einen Antrag auf Erlass von Meldeauflagen, der von der Strafabteilung des Amtsgerichts Van positiv beschieden wurde.
Dicle Müftüoğlu, die in Amed als Redakteurin für die kurdische Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) arbeitet und Ko-Vorsitzende des Journalistenvereins Tigris-Euphrat (Dicle Fırat Gazeteciler Derneği, kurz: DFG) ist, war am Freitagfrüh in Gewahrsam genommen worden. Kurz zuvor hatte die Polizei die Wohnung der Journalistin gestürmt und durchsucht, sie aber nicht angetroffen. Daraufhin wurde Müftüoğlu telefonisch zu einem Verhör in das Präsidium vorgeladen und ohne Angaben von Gründen festgenommen.
Bis Montag waren die Hintergründe des Ermittlungsverfahrens gegen Müftüoğlu aufgrund einer Geheimhaltungsklausel unklar. Inzwischen ist bekannt, dass der Journalistin „Terrorismusfinanzierung“ vorgeworfen wird. Die Staatsanwaltschaft Van stützt sich bei dieser Beschuldigung auf eine Geldeinzahlung für inhaftierte Kollegen. Müftüoğlu hatte bis 2016 als Chefredakteurin für die per Staatsdekret verbotene Nachrichtenagentur DIHA gearbeitet. Im selben Jahr wurden die DIHA-Korrespondenten Nedim Türfent und Ziya Ataman – beide inzwischen zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt – verhaftet. Um ihnen während der Untersuchungshaft finanziell unter die Arme zu greifen, hätte Müftüoğlu ihren Kollegen kleinere Geldbeträge zukommen lassen – „als Akt der Solidarität“, wie ihr Verteidiger Resul Tamur nach dem Verhör äußerte. Das werde nun als „Finanzierung einer Terrororganisation“ angesehen.
Resul Tamur ist empört: „Eine ausreichende rechtliche Grundlage für diesen Vorwurf herzustellen, wäre unter rechtstaatlichen Verhältnissen eigentlich nicht möglich“, kommentierte der Jurist das Vorgehen gegen seine Mandantin. Da die Justiz in der Türkei längst nicht mehr als unabhängig gelten kann, sondern in weiten Teilen zum Instrument der Regierungspolitik geworden ist, würde es ihn nicht verwundern, wenn die Ermittlungen gegen Müftüoğlu fortgesetzt werden. Daher sei es zu diesem Zeitpunkt nicht absehbar, ob und wann es zu einer Anklage gegen die Journalistin kommt. Bis eine gegenteilige Entscheidung vorliegt, muss sie sich wöchentlich bei der Polizei melden und darf das Land nicht verlassen. Grundlage der als „Präventivmaßnahme“ bezeichneten Meldeauflage ist das 2013 in Kraft getretene Gesetz zur „Freilassung unter Kontrolle“. Der Mechanismus gilt als Alternative zur Haft und wird von der türkischen Justiz exzessiv ausgeschöpft, um unliebsame Personen unter Kontrolle zu halten. Besonders betroffen sind Medienschaffende, Aktive der kurdischen Zivilgesellschaft und Mitglieder der HDP.
Im Fokus der Repressionsbehörden
Dicle Müftüoğlu befindet sich schon länger im Fokus der türkischen Repressionsbehörden. Ende 2020 wurde sie wegen eines 2014 in sozialen Medien geteilten Fotos vom Kampf um Kobanê zu einem Jahr und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Zum damaligen Zeitpunkt war sie Chefredakteurin der inzwischen verbotenen Nachrichtenagentur DIHA. Das Gericht warf ihr dennoch „Propaganda für eine Terrororganisation“ vor. Wenige Wochen später war ein neues Ermittlungsverfahren gegen Müftüoğlu eingeleitet worden, ebenfalls wegen vermeintlicher Terrorpropaganda im Netz. In dem Verfahren geht es um ihre eigenen Berichte, die sie auf Twitter teilte.