IHD: Hungerstreikende Gefangene in Einzelhaft

Die anhaltende Isolationshaft auf Imrali geht weit über die Gefängnisinsel hinaus. Das dort angewandte System drücke gleichzeitig den Unwillen der Regierung aus, die kurdische Frage zu lösen, meint Rechtsanwalt Fırat Vural vom Menschenrechtsverein IHD.

Die Geschichte der Kämpfe kurdischer politischer Gefangener hat eine lange Tradition. Die Gefängnisse sind Orte unzähliger Aufstände und Widerstandsaktionen gegen einen repressiven Staat, der gegen jegliche Art von Opposition vorgeht und dabei kaum vor Gewalt und Folter an den politischen Gefangenen zurückschreckt. Seit die damals noch wegen ihrer Kritik an der türkischen Militärinvasion im nordsyrischen Kanton Efrîn inhaftierte HDP-Abgeordnete Leyla Güven mit ihrem am 7. November 2018 aufgenommenen Hungerstreik gegen die Isolation des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali einen weiteren Gefängniswiderstand initiiert hat, der binnen kürzester Zeit eine länderübergreifende Massenbewegung hervorbrachte, hat sich auch die Repression gegen die rund 7000 Gefangenen verschärft, die sich am Hungerstreik beteiligen. Ohne Ausnahme werden gegen alle dieser Gefangenen willkürliche Strafmaßnahmen ergriffen.

Wir haben mit dem Rechtsanwalt Fırat Vural über die derzeitige Situation der Gefangenen im Hungerstreik gegen die Isolation gesprochen. Vural ist Mitglied im Exekutivrat der Istanbuler Sektion des Menschenrechtsvereins IHD und engagiert sich in der Gefängniskommission der Freiheitlichen Juristenvereinigung ÖHD. Er sagt, dass die anhaltende Isolationshaft und Vereinsamung auf Imrali weit über die Gefängnisinsel hinaus gehe. Das auf Imrali angewandte System drücke gleichzeitig den Unwillen der Regierung aus, die kurdische Frage zu lösen. Mit dem Hungerstreik versuchten die Gefangenen, den vom Staat zu einer politischen Lösung des Konflikts verbauten Weg freizumachen, meint Vural.

Wir wissen, dass die Hungerstreiks in den Gefängnissen weiterhin andauern, gleichzeitig aber auch die Rechtsverletzungen zunehmen. Was wissen Sie als IHD darüber?

Seit der Hungerstreik von der DTK-Vorsitzenden Leyla Güven initiiert wurde, der sich bereits auf alle Gefängnisse ausgeweitet hat, dokumentiert unsere Kommission in den von uns aufgesuchten Haftanstalten immer wieder gravierende Rechtsverletzungen. Auch erreichen uns Briefe von betroffenen Gefangenen. Insbesondere in einigen der Pilotgefängnisse haben die Rechtsverletzungen mit dem Hungerstreik ein alarmierendes Ausmaß erreicht. Zum Beispiel sind Gefängnisverwaltungen verpflichtet, die angemessene Versorgung hungerstreikender Gefangener mit Zitronen, Zucker, Salz und Wasser zu gewährleisten. Es gibt jedoch Anstalten, in denen dies unzureichend oder gar nicht der Fall ist. Wir haben herausgefunden, dass den Gefangenen in Silivri, Tekirdağ, Gebze und Bakirköy das im Hungerstreik dringend notwendige Vitamin B1 mehr als zwei Wochen vorenthalten wurde. In Tekirdağ erhalten die hungerstreikenden Gefangenen, die ohnehin schon in einer schlechten gesundheitlichen Verfassung sind, kein Karbonat. Allgemein bewegen sich die Anstaltsleitungen und Gefängnisärzte nicht an einem menschlichen Punkt, was diese Aktion betrifft. Wir mussten einige Beschwerden wegen Verstößen gegen die ärztliche Ethik einreichen. Allerdings kann ich sagen, dass es daraufhin zu positiven Veränderungen im Verhalten der Ärzte kam.

In Gebze, Amed (Diyarbakir), Êlih (Batman), Istanbul und Qoser (Kızıltepe) sind Mütter von Gefangenen angegriffen worden. Woher kommt diese Aggression?

Als sich der Hungerstreik für die Aufhebung der Isolationshaft Abdullah Öcalans auf alle Gefängnisse ausweitete, sind sowohl die Angehörigen als auch die Gesellschaft für die Forderungen der Hungerstreikenden eingetreten. Die Familien stehen hinter ihren Kindern und versuchen vor den Gefängnissen, die Öffentlichkeit auf den Hungerstreik aufmerksam zu machen. Eine Mahnwache von Müttern mit weißen Kopftüchern hatte zunächst vor dem Frauengefängnis in Gebze begonnen, später folgten ähnliche Aktionen in Qoser, Amed und Êlih. Bei diesen Frauen handelt es sich größtenteils um die Friedensmütter und Mütter von Gefangenen. Sie stellen nur eine Forderung; ihre Kinder sollen leben. Die Polizei reagiert auf diese Mahnwachen mit barbarischen Übergriffen, die der Folter in nichts nachstehen. An der Gewalt gegen die Mütter der Gefangenen können wir das gesamte Ausmaß der Polizeibrutalität in der Türkei erkennen. Auf legitime Forderungen wird mit äußerster Gewalt reagiert und gegen das Recht verstoßen. Wir als IHD gehen dagegen vor.    

Rechtsanwalt Fırat Vural (sechster von links) und Friedensmütter

Sieben politische Gefangene haben aus Protest Suizid begangen. Was für rechtliche Konsequenzen wird es geben, sollte es aufgrund des Hungerstreiks zu Todesfällen kommen?

Mit Zülküf Gezen in Tekirdağ, Ayten Beçet in Gebze, Zehra Sağlam in Erzîrom (Erzurum), Medya Çınar in Mêrdîn (Mardin), Yonca Akıncı in Izmir, Siraç Yüksek in Osmaniye und Mahsum Pamay in Xarpêt (Elazığ) sind es in der Tat sieben Gefangene, die den Freitod gewählt haben. Der Staat hat die Pflicht, das Recht auf Leben und Gesundheit zu wahren, seine im Rahmen des Hungerstreiks angewendeten Maßnahmen stellen jedoch Verstöße gegen das Grundgesetz dar. Ein Staat muss seine positiven Schutzpflichten erfüllen. Wenn ein Gefangener aufgrund eines Hungerstreiks ums Leben kommt, bedeutet das, dass der Staat eine Verantwortung dabei trägt. Der Hilfeschrei der Familien, die Todesfälle in den Gefängnissen befürchten, ist die Forderung an den Staat, seinen Schutzpflichten nachzukommen.

Die Isolation Abdullah Öcalans wird zwar hervorgehoben, doch wir wissen, dass es in allen Gefängnissen strikte Isolationspraktiken gibt.

Die grundlegende Forderung der Gefangenen ist die Aufhebung der Isolation des Repräsentanten Abdullah Öcalan. Im Prinzip ist diese Forderung die Analyse dessen, dass dieses System die gesamte Gesellschaft in der Türkei betrifft. Ein Ende der Imrali-Isolation würde bedeuten, dass die Hindernisse auf dem Weg zum Frieden beseitigt werden. Mit der Gewähr von Angehörigen- und Anwaltsbesuchen würden Schritte in Richtung einer Lösung getan. Mehr als die Tatsache, dass die Öcalan-Anwälte seit 2011 Imrali nicht betreten dürfen, zeigt der Aufbau und die Umsetzung des Systems auf der Insel, dass das Thema Isolation ein wesentlicher Punkt auf der Agenda der Türkei ist. Die Verhinderung einer politischen Lösung der kurdischen Frage und die Isolation, die sich dauerhaft auf die gesamte Gesellschaft auswirkt, erfordert einen gesamtheitlichen Umgang mit dem Imrali-System. Sobald es auf der Insel abgeschafft wird, enden auch ähnliche Praktiken in anderen Gefängnissen. Deshalb müssen wir dieses System als Ganzes betrachten.

Gegen die Hungerstreikenden laufen in den Gefängnissen Verfahren. Was können Sie uns darüber sagen?

Das stimmt. Gegen alle 7000 hungerstreikenden politischen Gefangenen sind Verfahren eingeleitet worden. Im T-Typ-Gefängnis von Tekirdağ wurden sie direkt in Einzelhaft verlegt. Ich möchte nicht sagen, dass dies rechtens ist, allerdings ist es üblich, dass vor solchen Maßnahmen zunächst Disziplinarverfahren eingeleitet werden. Dass dies in Tekirdağ nicht der Fall ist, ist ein Ausdruck der absoluten Rechtswidrigkeit, die in den Gefängnissen herrscht. Vor den Hungerstreiks wurden die Gefangenen zwar auch mit Strafen belegt, wodurch sie sich nicht in Gemeinschaftsräumen aufhalten, an sportlichen Aktivitäten teilnehmen, Briefe senden und empfangen und Telefongespräche führen durften. Doch mit den Hungerstreiks haben sich willkürliche Repressionsmaßnahmen wie diese verschärft. Es gibt sogar politische Gefangene, die ihre Haftzeit abgesessen haben, aber nicht entlassen werden, weil ihnen Disziplinarstrafen auferlegt wurden.