Prozess um Massaker von Pirsûs im März

Kommenden März beginnt in der Türkei der Prozess um das Massaker von Pirsûs. Auf der Anklagebank sitzen dreizehn Personen. Bei zwei von ihnen handelt es sich jedoch um Opfer, die den geplanten Angriff nur mit Glück überlebten.

Am 24. März 2019 beginnt in der Türkei der Prozess um das Massaker von Pirsûs (Suruç). In der Stadt in der nordkurdischen Provinz Riha (Urfa) war es wenige Tage vor den Wahlen im Juni 2018 während einer von bewaffneten Bodyguards begleiteten Wahlkampftour des ehemaligen AKP-Abgeordneten Ibrahim Halil Yıldız zu einem Angriff auf die gewerbetreibende Familie Şenyaşar gekommen. Dabei wurden Hacı Esvet Şenyaşar, seine Söhne Celal und Adil Şenyaşar sowie einer der Angreifer getötet. Die Brüder Fadıl und Ferit Şenyaşar sowie sieben weitere Personen wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt.

Eineinhalb Jahre nach dem Massaker hat die 7. Strafkammer des Schwurgerichts von Urfa die Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft angenommen. Demnach sollen insgesamt dreizehn Personen auf der Anklagebank sitzen. Ihnen wird Mord, versuchter Mord, Körperverletzung, Sachbeschädigung und illegaler Besitz von Schusswaffen vorgeworfen. Neben elf Verwandten aus dem Umfeld des AKP-Politikers Ibrahim Halil Yıldız sind auch Ferit und Fadıl Şenyaşar angeklagt. Letzterer war nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus verhaftet worden. Seitdem sitzt er in einem Hochsicherheitsgefängnis in Xarpêt (Elazığ) in Isolationshaft. Ein anderer Bruder, Mehmet Şenyaşar, der das Massaker ebenfalls überlebte, wurde gleichermaßen direkt im Anschluss an seine Entlassung aus einem Krankenhaus in Gewahrsam genommen, im Anschluss an seine Aussage jedoch wieder auf freien Fuß gesetzt.

Tatverdächtiger stellte sich

Vergangenen September hatte sich ein Tatverdächtiger den Behörden gestellt. Mit rund 50 Angehörigen seines Stammes begab sich Enver Yıldız, Bruder des AKP-Politikers Ibrahim Halil Yıldız, demonstrativ unter Polizeischutz zum Justizpalast. Nach der staatsanwaltlichen Befragung erging ein Haftbefehl gegen ihn. Danach wurde er an ein Gefängnis überstellt.

Ort für Verhandlung noch unklar

Unklar ist allerdings, wo der Prozess um den Dreifachmord stattfinden wird. Die Staatsanwaltschaft Urfa hat aus Sicherheitsgründen eine Verlegung an einen anderen Ort beantragt. Solche Methoden sind üblich bei Prozessen, in denen es um Menschenrechtsverletzungen an Kurdinnen und Kurden geht. In den meisten Fällen landen die Prozesse dann vor Gerichten in der Westtürkei.

Massaker von Pirsûs

Was am 14. Juni 2018 in Pirsûs geschah, hielt die Demokratische Partei der Völker (HDP) wenige Tage nach dem Massaker in einem Untersuchungsbericht fest. Darin hieß es: „Der AKP-Kandidat Yıldız hat mit seinen Verwandten den Laden der Familie Şenyaşar aufgesucht. Die verbale Auseinandersetzung mündete in eine Schießerei. Die Brüder Adil, Celal und Ferit Şenyaşar wurden von dem AKP-Kandidaten Yıldız und seinen Begleitern unter Anwendung von Pistolen und Langfeuerwaffen attackiert.

Tötungen im Krankenhaus

Die durch den Angriff verletzten beiden Söhne von Hacı Esvet Şenyaşar, Adil und Celal Şenyaşar, wurden in die Notaufnahme des staatlichen Krankenhauses von Suruç eingeliefert. Ein anderer Sohn wurde in das staatliche Krankenhaus Balıklıgöl im Zentrum der Provinzhauptstadt Riha gebracht. Hacı Esvet Şenyaşar selbst hat sich zu Fuß in das Krankenhaus von Suruç begeben.

Auf Betreiben des AKP-Kandidaten zerstörten Verwandte von İbrahim Halil Yıldız zunächst die Überwachungskameras im Krankenhaus und töteten anschließend einen der Söhne von Hacı Esvet Şenyaşar in der Notaufnahme des Krankenhauses. Ein weiterer Sohn wurde vor dem staatlichen Krankenhaus von Suruç ermordet. Durch Schläge mit einer Sauerstoffflasche auf den Kopf wurde Hacı Esvet Şenyaşar schwer verletzt und in das Krankenhaus 25. Dezember in der Stadt Dîlok (Antep) eingeliefert. Am 15. Juni verstarb Hacı Esvet Şenyaşar, während seine Söhne in Pirsûs beigesetzt wurden.“

Erschütternder Autopsiebericht

Auch der Autopsiebericht verdeutlichte das Ausmaß des Massakers. Die Gerichtsmedizin stellte bei der äußeren Untersuchung des Körpers von Celal Şenyaşar Einschüsse von Kugeln aus mindestens sechs Schusswaffen verschiedenen Kalibers fest. Der erste Einschuss war demnach bereits tödlich, die weiteren Schüsse sollen nicht tödlich gewesen sein. Die Untersuchung der Ein- und Austrittswunden am Körper habe ergeben, dass die Schüsse aus dem Nahabstand abgefeuert wurden.

Die Aussage eines zur Todesursache zitierten medizinischen Experten im Bericht lautet: „Der Tod der Person trat durch einen Splitterbruch der Oberschenkelknochen durch das Projektil einer Schusswaffe und den damit einhergehenden inneren schweren Blutungen durch die Verletzung der Ader ein.“

Bei der äußeren Untersuchung seines Bruders Adil Şenyaşar wurden an 14 Stellen des Körpers Schnitt- und Stichverletzungen wie auch Schlagverletzungen mit harten Gegenständen festgestellt. Beim großen Teil der 14 Verletzungen handelt es sich nach Angaben der Gerichtsmedizin um schwere Verletzungen. Im Bericht heißt es, dass Şenyaşar extremer Gewalt ausgesetzt gewesen sei. Bei der Autopsie wurden in seinem Körper siebzehn Kugeln verschiedenen Kalibers festgestellt. Von diesen Projektilen waren fünf tödlich, die anderen hätten Verletzungen hervorgerufen, die aber nicht tödlich gewesen seien. Nur zwei der Geschosse wurden nicht aus dem Nahabstand abgefeuert.

Die Ärzte schrieben zur Todesursache: „Durch Verletzung durch Schusswaffenprojektile wurden das Schlüsselbein, die Rippen, die Wirbel und das Becken gebrochen sowie bestimmte innere Organe geschädigt. Es traten innere Blutungen ein, die zum Tod führten.“

Hacı Esvet Şenyaşar mit Schnittwerkzeugen umgebracht

Als er erfuhr, dass seine Söhne angegriffen wurden, war Hacı Esvet Şenyaşar zum Krankenhaus in Pirsûs geeilt. Dort wurde er von einem Mob gelyncht und mit schweren Gegenständen misshandelt, wie auch Augenzeugen berichteten. Bei seiner Autopsie stellten die Ärzte großflächige Schnittverletzungen in sieben lebenswichtigen Bereichen fest. Neben diesen sieben schweren Verletzungen wurden am Körper des Ermordeten weitere 23 nichttödliche Verletzungen festgestellt. In dem Bericht ist insbesondere von schweren Hirnverletzungen aufgrund von Schädelbrüchen, inneren Blutungen durch Verletzungen innerer Organe und eine Verletzung im Bereich der Lunge (Pneumothorax) als Todesursachen die Rede.