Zehn Tage vor der Parlamentswahl am 24. Juni 2018 in der Türkei war es in der kurdischen Stadt Pirsûs (Suruç, Provinz Riha/Urfa) während einer von bewaffneten Bodyguards begleiteten Wahlkampftour des ehemaligen AKP-Abgeordneten Ibrahim Halil Yıldız zu einem Angriff auf Gewerbetreibende gekommen. Dabei wurden Hacı Esvet Şenyaşar, seine Söhne Celal und Adil Şenyaşar sowie einer der Angreifer getötet.
Die Opfer des Angriffs betrieben 25 Jahre lang ihr Geschäft im Einkaufsviertel hinter der Stadtverwaltung von Pirsûs. Zwei Tage vor dem tödlichen Angriff war der AKP-Kandidat Yıldız bei seinem Wahlkampfrundgang in der Stadt bereits auf den Protest von Hacı Esvet Şenyaşar gestoßen. Was dann am 14. Juni 2018 in Pirsûs geschah, hielt die HDP in einem Untersuchungsbericht wie folgt fest: „Der AKP-Kandidat Yıldız hat mit seinen Verwandten den Laden der Familie Şenyaşar erneut aufgesucht. Diesmal mündete die verbale Auseinandersetzung in eine Schießerei. Die Brüder Adil, Celal und Ferit Şenyaşar wurden von dem AKP-Kandidaten Yıldız und seinen Begleitern unter Anwendung von Pistolen und Langfeuerwaffen attackiert.
Tötungen im Krankenhaus
Die durch den Angriff verletzten beiden Söhne von Hacı Esvet Şenyaşar, Adil und Celal Şenyaşar, wurden in die Notaufnahme des staatlichen Krankenhauses von Suruç eingeliefert. Ein anderer Sohn wurde in das staatliche Krankenhaus Balıklıgöl im Zentrum der Provinzhauptstadt Riha gebracht. Hacı Esvet Şenyaşar selbst hat sich zu Fuß in das Krankenhaus von Suruç begeben.
Auf Betreiben des AKP-Kandidaten zerstörten Verwandte von İbrahim Halil Yıldız zunächst die Überwachungskameras im Krankenhaus und töteten anschließend einen der Söhne von Hacı Esvet Şenyaşar in der Notaufnahme des Krankenhauses. Ein weiterer Sohn wurde vor dem staatlichen Krankenhaus von Suruç ermordet. Durch Schläge mit einer Sauerstoffflasche auf den Kopf wurde Hacı Esvet Şenyaşar schwer verletzt und in das Krankenhaus 25. Dezember in der Stadt Dîlok (Antep) eingeliefert. Am 15. Juni verstarb Hacı Esvet Şenyaşar, während seine Söhne in Pirsûs beigesetzt wurden.“
Geplanter Angriff
Die Vorsitzende der Menschenrechtsstiftung der Türkei (TIHV) und Hessische Friedenspreisträgerin Prof. Dr. Şebnem Korur Fincancı teilte damals das Bild einer der zerstörten Kameras in den sozialen Medien und schrieb dazu: „Die Zerstörung der Kameras im Krankenhaus von Suruç zeigen, dass dieser Angriff geplant war.“
Verletzter Sohn im Gefängnis
Fadıl Şenyaşar (34), ein weiterer Sohn von Hacı Esvet Şenyaşar, hatte den Angriff überlebt und war nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus verhaftet worden. Seit 15 Monaten sitzt er in einem Hochsicherheitsgefängnis in Xarpêt (Elazığ) in Isolationshaft. Ein anderer Sohn, Mehmet Şenyaşar, wurde gleichermaßen direkt im Anschluss an seine Entlassung aus dem Krankenhaus in Dîlok (Antep) in Gewahrsam genommen, im Anschluss an seine Aussage jedoch wieder auf freien Fuß gesetzt worden.
Emine und Ferit Şenyaşar bei ihrem Protest am 11. September 2019 vor dem Justizpalast Riha
Akte unter Geheimhaltung
Die Prozessakte zum Tod von Hacı Esvet Şenyaşar und seiner Söhne war eine Woche nach dem Angriff unter Geheimhaltung gestellt worden. Eine Einsicht in den Autopsiebericht war nur möglich, da er der in Nordkurdistan ansässigen Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) zugespielt worden war. Mittlerweile sind 15 Monate vergangenen, eine Anklage gegen die Täter wurde bis heute nicht erhoben. Um dagegen zu protestierten, zogen Hacı Esvet Şenyaşar Ehefrau Emine und ihr Sohn Ferit, der den Angriff ebenfalls überlebt hatte, vergangene Woche vor den Justizpalast Urfa und forderten mit einem Sitzstreik Gerechtigkeit. Heute wurde nun bekannt, dass sich ein Tatverdächtiger den Behörden gestellt hat. Mit rund 50 Angehörigen seines Stammes begab sich Enver Yıldız, Bruder des AKP-Politikers Ibrahim Halil Yıldız, unter Polizeischutz zum Justizpalast. Nach der staatsanwaltlichen Befragung erging ein Haftbefehl gegen ihn. Mittlerweile wurde er an ein Gefängnis überstellt.