HDP veröffentlicht Pirsûs-Bericht

Die HDP hat einen vorläufigen Bericht zu dem bewaffneten Angriff in Pirsûs (Suruç) veröffentlicht. Bei dem Angriff von AKP-Funktionären und ihren Bodyguards waren drei Gewerbetreibende und einer der Angreifer getötet worden.

Die Demokratische Partei der Völker hat gestern einen vorläufigen Bericht zu dem Angriff am vergangenen Donnerstag in der nordkurdischen Kreisstadt Pirsûs (Suruç) veröffentlicht. Dort war die von bewaffneten Bodyguards begleitete Wahlkampftour des AKP-Kandidaten für Riha (Urfa), Ibrahim Halil Yıldız, auf den Protest von Gewerbetreibenden gestoßen. Daraufhin eröffneten die Begleiter des AKP-Funktionärs das Feuer auf die Gewerbetreibenden. Vier Menschen wurden getötet.

Die Opfer des Angriffs, Hacı Esvet Şenyaşar und seine Söhne, betreibten seit 25 Jahren ihr Geschäft im Einkaufsviertel hinter der Stadtverwaltung von Pirsûs. Zwei Tage vor dem tödlichen Angriff war der AKP-Kandidat Yıldız bei seinem Wahlkampfrundgang in der Stadt bereits auf den Protest von Hacı Esvet Şenyaşar gestoßen. Laut HDP-Bericht endete die mündliche Auseinandersetzung ohne Zwischenfälle.

Was passierte am 14. Juni?

Was am 14. Juni geschehen ist, beschreibt der vorliegende Bericht wie folgt: „Der AKP-Kandidat Yıldız hat mit seinen Verwandten den Laden der Familie Şenyaşar erneut aufgesucht. Diesmal mündete die verbale Auseinandersetzung in eine Schießerei. Die Brüder Adil, Celal und Ferit Şenyaşar wurden von dem AKP-Kandidaten Yıldız und seinen Begleitern unter Anwendung von Pistolen und Langfeuerwaffen attackiert.

Tötungen im Krankenhaus

Die durch den Angriff verletzten beiden Söhne von Hacı Esvet Şenyaşar, Adil und Celal Şenyaşar, wurden in die Notaufnahme des staatlichen Krankenhauses von Suruç eingeliefert. Der dritte Sohn Ferit wurde in das staatliche Krankenhaus Balıklıgöl im Zentrum der Provinzhauptstadt Riha gebracht. Hacı Esvet Şenyaşar selbst hat sich zu Fuß in das Krankenhaus von Suruç begeben.

Auf Betreiben des AKP-Kandidaten zerstörten Verwandte von İbrahim Halil Yıldız zunächst die Überwachungskameras im Krankenhaus und töteten anschließend einen der Söhne von Hacı Esvet Şenyaşar in der Notaufnahme des Krankenhauses. Ein weiterer Sohn wurde vor dem staatlichen Krankenhaus von Suruç ermordet. Durch Schläge mit einer Sauerstoffflasche auf den Kopf wurde Hacı Esvet Şenyaşar schwer verletzt und in das Krankenhaus 25. Dezember in der Stadt Dîlok (Antep) eingeliefert. Am 15. Juni verstarb Hacı Esvet Şenyaşar, während seine Söhne in Pirsûs beigesetzt wurden.“

Untersuchungsergebnisse der HDP-Delegation

Eine Delegation der HDP erreichte am 15. Juni Pirsûs und führte Untersuchungen zu dem Angriff durch. Zu den Delegationsmitgliedern gehören die stellvertretende Ko-Vorsitzende und HDP-Abgeordnete Ayşe Acar Başaran, die Abgeordneten Meral Danış Beştaş, Nimetullah Erdoğmuş und Sibel Yiğitalp sowie die HDP-Kandidatin für Riha und stellvertretende Ko-Vorsitzende der DBP, Hacer Özdemir.

Die Untersuchungsergebnisse lauten: „Unsere Delegation hat den Tatort ausführlich untersucht. Die Sicherheits-und Überwachungskameras vor Ort sind deutlich erkennbar. Vorliegende Informationen zu dem Vorfall wurden von einer Vielzahl von Gewerbetreibenden und Kunden, die am Tattag vor Ort waren, bestätigt.

Tathergang

Am 14. Juni suchte der AKP-Kandidat İbrahim Halil Yıldız im Rahmen seiner Wahlkampftour in Begleitung einer Delegation und bewaffneten Leibwächtern gegen 15.30 Uhr das Geschäft Istanbul Ucuzluk Pazarı des Gewerbetreibenden Hacı Esvet Şenyaşar auf der Bir-Milyoncu-Straße auf. Zu der Zeit befand sich Celal Şenyaşar im und Adil Şenyaşar vor dem Geschäft.

Schüsse nach Schlag ins Gesicht

Adil Şenyaşar forderte den AKP-Kandidaten İbrahim Halil Yıldız auf, das Geschäft nicht zu betreten, solange sich weibliche Kunden, die sich gestört fühlen könnten, darin befinden. Daraufhin habe Yıldız gesagt: ‚Sind wir ehrenlos oder warum lässt du uns nicht rein?‘. Anschließend brach eine verbale Diskussion aus. Einer der Leibwächter des AKP-Kandidaten schlug Adil Şenyaşar zunächst ins Gesicht, bevor ihm ins Bein geschossen wurde.

Währenddessen schlugen die Leibwächter und Verwandten des AKP-Kandidaten mit Stöcken auf Adil Şenyaşar ein und attackierten ihn mit Messern. Kurz darauf eilte der Bruder Ferit Şenyaşar aus dem angrenzenden Geschäft herbei und eröffnete das Feuer auf die AKP-Delegation. Durch den daraufhin ausgebrochenen Schusswechsel wurde der Bruder des AKP-Kandidaten, Mehmet Şah Yıldız, Celal Şenyaşar und eine weitere Person, deren Identität nicht festgestellt werden konnte, verletzt und in das staatliche Krankenhaus von Suruç eingeliefert. Kurze Zeit später verstarb Mehmet Şah Yıldız.

Vor den Augen der Ärzte mit Messerstichen getötet

Im Folgenden drangen Verwandte des AKP-Kandidaten in das Behandlungszimmer des verletzten Celal Şenyaşar ein und töteten diesen vor den Augen der anwesenden Ärzte mit Messerstichen. Der verletzte Bruder Adil Şenyaşar wurde im Krankenhaus erschossen. Auch hier wurde das Personal Zeuge der Tat.

Der ins Krankenhaus geeilte Vater Hacı Esvet Şenyaşar wurde am Eingang des Krankenhauses von einem Mob aus Angehörigen und Verwandten des AKP-Kandidaten gelyncht und durch Schläge mit einer Sauerstoffflasche auf den Kopf verletzt.

Überwachungssystem des Krankenhauses zerstört

Die Verwandten des AKP-Kandidaten haben das Überwachungssystem des Krankenhauses zerstört und versucht, Beweise zu vernichten. Zeugen, die ausführliche Angaben zu dem Vorfall gemacht haben, wollen aus Sicherheitsgründen namentlich nicht genannt werden.

Zeugenaussagen

Person, die sich zum Tatzeitpunkt im Krankenhaus aufhielt: „Gegen 17.00 Uhr bin ich ins Krankenhaus gegangen, um jemanden zu besuchen. Kurz darauf erfuhr ich, dass die Verletzten ins Krankenhaus gebracht worden waren. Sowohl im Krankenhaus als auch davor war eine große Menschenmenge versammelt. In Suruç kennt jeder jeden, deshalb war sofort klar, dass es sich bei der Gruppe, die plötzlich das Krankenhaus stürmte, um Verwandte des aus dem Dorf Şeyis stammenden AKP-Kandidaten İbrahim Halil Yıldız handelte. Zu dem Zeitpunkt befanden sich am Eingang sehr viele Polizisten, die allerdings nicht eingriffen und die Gruppe passieren ließen. Weil ich Angst bekam, bin ich draußen geblieben, hörte aber die kurdischen Rufe „me quşt, me quşt (wir haben sie getötet, wir haben sie getötet)“. Dann brach Applaus aus und es wurde in die Luft geschossen. Daraufhin forderte die Polizei, dass sich die Gruppe zerstreut. Weil sie dem nicht nachkamen, schossen auch die Polizisten in die Luft. Festgenommen haben sie zu dem Zeitpunkt aber niemanden.

Gesundheitsbedienstete/r im staatlichen Krankenhaus von Suruç: Am Tattag brachten wir gegen 15.50 Uhr einen Verletzten mit Nachnamen Yıldız ins städische Krankenhaus in Suruç. Als wir ankamen, war der AKP-Vorsitzende bereits vor Ort. Im Inneren des Krankenhauses als auch im Garten befanden sich Polizisten. Gegen 16.00 Uhr brachten wir einen anderen Verletzten, dem es den Umständen entsprechend besser ging, ins Krankenhaus im Zentrum von Urfa.

Als ich zurück in Suruç war, sollten Celal und Adil in andere Krankenhäuser verlegt werden. Die Mitglieder der Familie Yıldız hielten den Transport der Verletzten auf und beschlagnahmten die Schlüssel der Krankenwagen. Danach zerschossen sie die Reifen der Fahrzeuge und zerstörten die Fensterscheiben. Die Krankenwagenfahrer wurden mit dem Tod bedroht und einem Soldaten wurde die Nase gebrochen. Der Parlamentsabgeordnete Eşref Fakıbaba versuchte, den Mob zu beschwichtigen, was ihm jedoch nicht gelungen ist. Esvet Şenyaşar war zu Fuß ins Krankenhaus gekommen. Im Eingangsbereich der gelb markierten Notaufnahme versuchten Mitglieder der Familie Yıldız, Esvet Şenyaşar zu lynchen und schlugen ihm mehrfach mit einer Sauerstoffflasche auf den Kopf. Sein Schädel wurde zertrümmert und sein Blut spritzte an die Wand der Notaufnahme. Bis in die Nacht hinein wurde dort saubergemacht und gestrichen. Ich habe außerdem gesehen, dass die Überwachungskameras der Notaufnahme zerstört wurden und gegen 2.00 Uhr nachts der Staatsanwalt ins Krankenhaus kam.“

Gewerbetreibender, dessen Geschäft an das Şenyaşar-Geschäft angrenzt: Sie suchten bereits seit drei Tagen unsere Geschäfte auf. Als sie am 13. Juni kamen haben wir Ladenbesitzer ihnen gesagt, dass wir ihnen unsere Stimme nicht geben werden. Am nächsten Tag kamen sie mit einer noch größeren Gruppe. Es schien, als hätten sie sich vorbereitet. Es waren fast 30 Personen. Sie haben verlangt, dass wir die rot-gelb-grünen Haarspangen und Accessoires wegpacken, die wir sonst verteilen. Darauf folgte eine verbale Auseinandersetzung. Die Begleiter des AKP-Kandidaten schlugen unserem Kollegen ins Gesicht und die Diskussion wurde immer heftiger. Plötzlich fielen Schüsse. Celal und Adil versuchten sich mit Stöcken und Messern zu schützen. All dies geschah vor den Augen der Polizei. Beamte in Zivil sahen zu. Es war kaum möglich, die Verletzten ins Krankenhaus zu bringen.”

CHP-Kreisvorsitzender Servet Gören: „İbrahim Halil Yıldız und seine Brüder gehen in den Laden eines Kurzwarenhändlers. Als der Ladenbesitzer dagegen protestiert, kommt es zu einer bewaffneten Auseinandersetzung. Sie greifen an. Der Vater und der Sohn werden ins Krankenhaus gebracht und dort umgebracht.“

Ömer Melik, Vorsitzender der Ärztekammer von Urfa, bestätigte, dass eine Abordnung der Ärztekammer nach dem Vorfall das Krankenhaus von Suruç aufgesucht hat. Laut Melik seien notwendige Sicherheitsmaßnahmen nicht getroffen worden. Auch wurden von der Staatsanwaltschaft keinerlei Maßnahmen ergriffen, damit die Beweise ordnungsgemäß gesichert werden können. Das Innere des Krankenhauses sei vergleichbar mit einem Schlachtfeld gewesen. Eine 100–150-köpfige Gruppe habe das Krankenhaus gestürmt und die Verletzten angegriffen. Einige Verletzte wurden mit Schneidewerkzeugen am Hals verletzt, andere mit Sauerstoffflaschen am Kopf angegriffen und wiederum andere Verletzte angeschossen, so Melik.

Beweise wurden vernichtet

In ihrem Bericht weist die HDP darauf hin, dass die Beweise der Tat systematisch vernichtet worden sind. Aussagen von Personen, die Zeugen des Lynchs wurden, seien erschreckend, heißt es weiter.

Aufnahmen aus den Überwachungskameras zur Ermordung von Hacı Esvet Şenyaşar und Celal Şenyaşar konnten nicht eingesehen werden. „Blutspuren in der Notaufnahme wurden entfernt, bevor die Spurensicherung eintraf. Blutspritzer an den Wänden wurden ebenfalls entfernt, bevor die Wände hastig neu gestrichen wurden. Während Gesprächen mit dem Krankenhauspersonal konnte beobachtet werden, dass sie bedroht wurden und nicht mit uns sprechen wollten.“

AKP-Minister zur Tatzeit vor dem Krankenhaus

Abschließend heißt es: „Dass sich während des Angriffs im Krankenhaus der Gouverneur von Urfa, der Landrat von Suruç sowie der Minister Eşref Fakıbaba am Eingang des Krankenhauses befanden, wurde von Augenzeugen bestätigt. In einem Telefonat mit unserem Abgeordneten Nimettullah Erdoğmuş, das während der Tatzeit mit dem Gouverneur geführt wurde, bestätigte dieser ebenfalls, im Krankenhaus gewesen zu sein.

Während die Aussagen der Augenzeugen bereits äußerst erschreckend sind, ist die Rhetorik der Regierung und ihr treuer Medien gleichermaßen alarmierend. Damit dieses schwerwiegende Verbrechen aufgeklärt werden kann, rufen wir die Anwaltskammern, Menschenrechtsorganisationen und insbesondere den Menschenrechtsverein IHD dazu auf, sich an den Ermittlungen zu beteiligen.“