Sorge um Todestrakt-Gefangene nach sechs Wochen Hungerstreik

Nach sechs Wochen Hungerstreik befinden sich die in Hewlêr inhaftierten Kurden Mazlum Dağ und Abdurrahman Er in sehr schlechter Verfassung. Zum dritten Mal binnen weniger Monate protestieren sie mit der Nahrungsverweigerung gegen ihre Entrechtung in Haft.

Am 43. Tag ihres Hungerstreiks befinden sich die in Südkurdistan inhaftierten Aktivisten Mazlum Dağ und Abdurrahman Er nach Angaben ihrer Angehörigen in sehr schlechter Verfassung. Er habe rund 20 Kilogramm Körpergewicht verloren, sagte sein in der Schweiz lebender Onkel Necmettin Er am Donnerstag gegenüber ANF. Er und Dağ haben sich in den vergangenen Monaten mehrfach mit Hungerstreiks gegen ihre Haftbedingungen im Gefängnis von Hewlêr (Erbil) gewehrt. Seit dem 18. Mai verweigern sie die Nahrungsaufnahme, weil ihnen Einheitskleidung aufgezwungen werden soll.

Er zufolge ist sein Neffe vorerkrankt und unter anderem von Blutzuckerschwankungen betroffen. Die Symptome für eine solche Unterzuckerung können sowohl Zittern, Herzklopfen oder Schweißausbruch als auch ein verändertes Verhalten bis hin zu Bewusstseinstrübung sein. „Abdurrahman ist aktuell kaum noch in der Lage, aufrecht zu stehen. Dennoch ist sowohl er als auch Mazlum weiterhin Opfer einer Praxis der Folter“, moniert der Onkel. Zwar hätten die physischen Misshandlungen im Vergleich zu den Anfängen der Haftzeit etwas abgenommen. Aktuell seien beide Gefangene, die sich in Isolationshaft im Todestrakt befinden, jedoch massiver psychischer Folter ausgesetzt.


„Abdurrahman und Mazlum werden täglich über mehrere Stunden an ihre Zellentür gefesselt. Damit werden sie praktisch zur Schau gestellt. Man isoliert sie voneinander und allen anderen Gefangenen, hält das Geld ein, das wir ihnen schicken, und unterbindet Kontakte zu ihrem Rechtsbeistand“, kritisiert Er. Um Schäden durch den Hungerstreik zu vermeiden, trinken Er und Dağ Wasser und nehmen Salz und Zucker zu sich. Doch da die körpereigenen Thiaminspeicher (Vitamin B1) im Rahmen einer Mangelernährung beziehungsweise während eines Gewichtsverlustes sehr leicht und rasch entleert werden können und dadurch das Risiko des Verlusts bestimmter Gehirnfunktionen besteht, benötigen sie zusätzlich Vitamin B1. Doch die Vollzugsleitung weigert sich, das notwendige Vitaminpräparat auszuhändigen. „Der Übergang zu einem Todesfasten wird so kaum mehr zu stoppen sein“, betont Necmettin Er.

Mazlum Dağ und Abdurrahman Er werden beschuldigt, am 17. Juli 2019 den türkischen Vizekonsul und Geheimdienstverantwortlichen Osman Köse sowie zwei weitere Personen in einem Luxusrestaurant in Hewlêr, der Hauptstadt der südkurdischen Autonomieregion, erschossen zu haben. Im Februar 2020 wurden Dağ und Er vom 2. Strafgericht in Hewlêr in einem Schauprozess auf Druck der Türkei zum Tode verurteilt. Direkt im Anschluss an die Verhandlung sind die beiden Aktivisten in einer Gefängniszelle von IS-Dschihadisten untergebracht worden. Am 22. September 2020 wurden die Todesurteile vom Kassationsgericht bestätigt.

Informationen zur Verfassung der beiden Todestrakt-Gefangenen beziehen ihre Angehörigen über Kontaktpersonen im kurdischen Geflüchtetenlager Mexmûr, das südwestlich von Hewlêr liegt. Von den Behörden in der Region erhielten sie keine Auskunft. Abdurrahman Er spricht von einer „großen Ignoranz“ angesichts des Schicksals der Aktivisten und wandte sich deshalb an die Schweizer Sektion der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Dort habe man ihm versichert, den Fall von Er und Dağ aufmerksam zu verfolgen und sich für die beiden einzusetzen. „Das Problem dabei ist, dass es keine Anlaufstelle der Organisation in Südkurdistan gibt und alles über das Büro in Bagdad abgewickelt wird. Wir finden einfach keine Ansprechpartner, die sich der Sache direkt vor Ort annehmen können.“

Necmettin Er appelliert an die kurdische Öffentlichkeit und Menschenrechtsgruppen, sich für Abdurrahman Er und Mazlum Dağ einzusetzen. An die Behörden in Hewlêr richtet er drei Forderungen:

1- Beendigung von Folter und Misshandlung im Gefängnis

2- Abschaffung der Einheitskleidung

3- Ende der Einzelhaft und Isolierung der Gefangenen