Ermittlungen gegen Gefangene im Widerstand

Nach Angaben der Jurist:innenvereinigung ÖHD wurden Verfahren gegen Gefangene eingeleitet, die sich am Kommunikationsboykott im Rahmen der Kampagne „Freiheit für Abdullah Öcalan und eine politische Lösung der kurdischen Frage“ beteiligen.

Widerstand in türkischen Gefängnissen

Seit dem 27. November 2023 befinden sich die politischen Gefangenen aus der PKK und PAJK in türkischen Gefängnissen in einer konzertierten Widerstandsaktion. Nach einem Hungerstreik wurde der Widerstand am 4. April in einen Kommunikationsboykott umgewandelt. Sie schlossen sich mit ihrer Aktion der Kampagne „Freiheit für Abdullah Öcalan und eine politische Lösung der kurdischen Frage“ an und entschieden sich, unter den gleichen Isolationsbedingungen wie Abdullah Öcalan zu leben. Die Gefangenen fordern die Aufhebung der Isolation und schließlich die physische Freiheit des kurdischen Vordenkers.

Gefängnisse als Laboratorien der Unterdrückung und Kontrolle

Im ANF-Gespräch erinnerte die Anwältin Zilan Aydın von der Gefängniskommission der Jurist:innenvereinigung ÖHD an die historische Bedeutung des Gefängniswiderstands. Bereits nach dem Putsch 1980 seien die Gefängnisse das erste Angriffsziel der Junta gewesen. Nachdem die Putschisten meinten, dort erfolgreich gewesen zu sein, gingen sie zunächst gegen die kurdische Gesellschaft und dann gegen jegliches Widerstandspotential vor. Aydın sieht klare Parallelen zu heute: „Heute sind wir an einem nicht ganz unähnlichen Punkt. Der Zustand der Unterdrückung und der Angst, der in der Gesellschaft weiterhin erzeugt werden soll, wird zuerst in den Gefängnissen ausprobiert. Da dazu geschwiegen wird, breitet sich diese Situation von den Gefängnissen auf die ganze Gesellschaft aus.“

Imrali: Ein besonderes Beispiel

Zilan Aydın unterstrich, dass die Isolation zuerst auf Imrali angefangen habe: „Seit 38 Monaten gibt es kein Lebenszeichen mehr aus Imralı. Die Gefangenen dort dürfen in keiner Weise kommunizieren, nicht einmal mit ihren Familien und Rechtsbeiständen. Es ist ein Zustand der Totalisolation. Obwohl Imralı ein besonderes Beispiel ist, so hat es eine immense Bedeutung für die Gesellschaft und die anderen Gefängnisse. Die Isolation breitet sich von dort auf die Gefängnisse und dann auf die gesamte Gesellschaft aus.“

Die revolutionäre Aufgabe der Gefangenen

Aydın weiter: „Der Widerstand in den Gefängnissen hat eine historische Tradition, die mit Hungerstreiks und Todesfasten gegen das diktatorische Regime nach 1980 begann und fortgesetzt wird. Auch die Gesellschaft wird so an die Notwendigkeit des Widerstands erinnert. Nach den Hungerstreiks von 2016 und 2019 begannen die politischen Gefangenen am 27. November 2023 einen rotierenden Hungerstreik als Reaktion auf die Isolation. Leider hat die Gesellschaft nicht ausreichend auf diese Situation reagiert. Infolgedessen haben die Gefangenen, die bereits unter Isolationsbedingungen leben, beschlossen, keine Familienbesuche und Telefonanrufe zu empfangen, um auf die verschärften Isolationsbedingungen aufmerksam zu machen.“

Ermittlungsverfahren gegen Gefangene im Widerstand

Aydın berichtete, dass die Gefängnisverwaltungen unterschiedliche Ansätze verfolgen, den Widerstand der Gefangenen zu brechen. So versuchen die Gefängnisleitungen, den Protest durch Disziplinarstrafen wie Telefon- oder Besuchsverbote ins Leere laufen zu lassen und das Heft in der Hand zu behalten. Die Anwältin führte aus: „Im Allgemeinen erhalten Gefangene, die sich an Protesten beteiligen, Disziplinarverfahren und werden mit Disziplinarstrafen belegt. Im L-Typ-Gefängnis Silivri Nr. 5 werden beispielsweise Gefangene, die ihr Telefonrecht nicht wahrnehmen, zu einem Entzug der Kommunikationsmittel verurteilt oder Gefangene, die keine Besuche empfangen, werden mit Besuchsverbot belegt. Als Reaktion auf die Proteste werden Disziplinarverfahren eingeleitet.“

Widerstand als Weg zu wahrer Freiheit

Die ÖHD-Vertreterin hob hervor, dass die Gefangenen ihren Widerstand nicht nur als Reaktion auf Unterdrückung und Isolation sehen, sondern auch als einen Weg zur Wahrheit. Sie führte aus: „Der Widerstand wird als Prozess der Erschaffung des freien Individuums, des neuen Lebens betrachtet, indem die schmutzige, hoffnungslose, gebrochene Persönlichkeit, die vom System geschaffen wurde, samt ihrer ganzen Eigenschaften zurückgewiesen wird. Politische Gefangene, die sich bewusst sind, dass der Weg zum Aufbau eines neuen Lebens als freies Individuum und zum Erreichen der Wahrheit darin besteht, die Isolation zu durchbrechen, betrachten ihre Aktionen sowohl als einen inneren als auch als einen äußeren Kampf.“