Sechsmonatiges Anwaltsverbot für Imrali-Gefangene

Seit 2019 hat Abdullah Öcalan keinen Kontakt zu seinem Rechtsbeistand, seine Mitgefangenen haben auf Imrali noch nie einen Anwalt gesehen. Nun hat das Vollzugsgericht erneut ein sechsmonatiges Besuchsverbot für das Verteidigerteam angeordnet.

Verstoß gegen die Nelson-Mandela-Regeln

Dem Verteidigungsteam des kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalan ist ein weiteres Mal ein sechsmonatiges Besuchsverbot für die Gefängnisinsel Imrali erteilt worden. Eine Begründung für die Entscheidung legte das für die Insel im Marmarameer zuständige Vollzugsgericht in Bursa nicht vor, wie die Istanbuler Kanzlei Asrin am Dienstag bekannt gab. Das Rechtsbüro, das Öcalan seit seiner Verschleppung in die Türkei vor 25 Jahren juristisch vertritt, erfuhr von dem neuerlichen Anwaltsverbot erst durch einen Besuchsantrag beim Vollzugsgericht. Von der Maßnahme seien auch Öcalans Mitgefangene Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş betroffen, so die Kanzlei.

Seit mehr als vier Jahren gilt auf Imrali ein striktes Anwaltsverbot; der letzte Besuch des Verteidigungsteams von Öcalan hatte am 7. August 2019 stattgefunden. Seine Mitgefangenen haben seit ihrer Verlegung nach Imrali im Jahr 2015 noch nie mit ihrem Rechtsbeistand sprechen können. Als juristische Ummantelung für das Unrecht auf der Gefängnisinsel dienen der türkischen Justiz in der Regel willkürlich verhängte „Disziplinarmaßnahmen“ gegen die Imrali-Gefangenen. Lange Zeit zogen die türkischen Behörden als Begründung für das Besuchsverbot des Anwaltsteams die 2009 von Öcalan dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vorgelegte „Roadmap für Verhandlungen“ heran. Als Öcalan zwischen 2011 und 2016 von seiner Außenwelt abgeschottet wurde, nannten türkische Behörden als Vorwand widrige Wetterbedingungen oder einen Defekt der für die Überfahrt nach Imrali vorgesehenen Fähre.

Das Verbot von Anwaltsbesuchen im Imrali-Gefängnis verstößt offen gegen die 2015 aktualisierten Standard-Mindestregeln der Vereinten Nationen (UN) für die Behandlung von Gefangenen (Nelson-Mandela-Regeln), gegen die Empfehlungen des Antifolterkomitees des Europarats (CPT) und gegen das türkische Vollzugsgesetz (Gesetz Nr. 5275). Staaten sind verpflichtet, die Ausübung der Rechte von Gefangenen und Verurteilten ohne Rücksicht auf ihre Identität oder die Qualität ihrer Strafe zu gewährleisten. Doch die türkische Justiz ist nicht gewillt, die menschenverachtenden Haftbedingungen auf Imrali zu korrigieren und hält an einer Behandlung nach Feindstrafrecht fest. Die Kanzlei Asrin hat angekündigt, eine Verfassungsbeschwerde gegen das Kontaktverbot auf der Insel einzulegen.

Letztes Lebenszeichen im März 2021

Abdullah Öcalan befindet sich seit dem 15. Februar 1999 in türkischer Gefangenschaft. Seine Verschleppung aus Kenia in die Türkei erfolgte im Zuge einer internationalen Geheimdienstoperation, an der Geheimdienste wie die US-amerikanische CIA und der israelische Mossad beteiligt waren. Der türkische Staat fungiert in internationaler Absprache als Gefängniswächter, um den kurdischen Vordenker von der Öffentlichkeit zu isolieren und seine Vorstellungen von einer gerechten Gesellschaftsordnung zu unterdrücken. Auch Angehörigen der Imrali-Gefangenen wird jeglicher Kontakt verweigert. Der letzte Familienbesuch auf der Insel wurde im März 2020 abgesegnet. Ein Jahr später kam – bedingt durch eine internationale Protestwelle gegen die Isolation – ein Telefongespräch zwischen Abdullah Öcalan und seinem Bruder zustande, das nach wenigen Minuten aus unbekannten Gründen unterbrochen wurde. Seitdem gibt es kein Lebenszeichen mehr von den Imrali-Gefangenen.