Festnahmen und Prozesstermine gegen kurdische Aktivisten

Bei der politischen Verfolgung der kurdische Bewegung arbeiten der türkische und der deutsche Staat Hand in Hand. Der Kölner Rechtshilfefonds Azadî e.V. hat einen Überblick über die Repression in Deutschland veröffentlicht.

Azadî e.V., der Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland, hat einen Überblick über die Repression gegen die kurdische Bewegung in der Bundesrepublik und die anstehenden Prozesstermine wegen angeblicher PKK-Mitgliedschaft (§§129a/b StGB) veröffentlicht. Die Übersicht beginnt mit einem Rückblick auf Mai 2021. „Kaum war das Großverfahren vor dem OLG Stuttgart-Stammheim am 30. April beendet, ging das routinemäßige Repressionsgeschehen wenige Tage später weiter“, so Azadî e.V.:

Festnahme von Mirza B. in Nürnberg

So wurde am 7. Mai der 35-jährige Aktivist Mirza B. auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft auf Beschluss des OLG München in Nürnberg festgenommen. In diesem Zusammenhang kam es zu polizeilichen Razzien in einer Privatwohnung und im örtlichen Medya Volkshaus, in dem Mobiliar und andere Einrichtungsgegenstände brachial zerstört und zahlreiche Gegenstände beschlagnahmt worden sind. Die Ko-Vorsitzende des Vereins erlitt während der Durchsuchung der Wohnung einen Nervenzusammenbruch, weshalb sie in einem Krankenhaus ärztlich behandelt und betreut werden musste. Gegen diese Angriffe fanden am kommenden Tag Proteste statt. Mirza B., der keiner individuellen Straftat beschuldigt wird, befindet sich in der JVA Augsburg-Gablingen.

Festnahme von Abdullah Ö. in Heilbronn

Am 11. Mai wurde in Heilbronn der kurdische Aktivist Abdullah Ö. (57) festgenommen. Ihm wird vorgeworfen, seit August 2019 als Gebiets- bzw. Regionalverantwortlicher in verschiedenen „PKK-Gebieten“, u.a. Hessen, Saarland und Stuttgart, politisch tätig gewesen zu sein. Bei ihm wie bei anderen Aktivist*innen basieren die Anklagen insbesondere auf der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ). Das Verfahren wird von der Bundesanwaltschaft geführt. Abdullah Ö. befindet sich in der JVA Frankfurt/M. I.

Festnahme von Mazlum D. in Esslingen

Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft und nach Beschluss des OLG Stuttgart ist am gleichen Tag der 41-jährige bekannte kurdische Musiker und Aktivist Mazlum D. in Esslingen festgenommen worden. Der Festnahme vorausgegangen war auch in diesem Fall eine polizeiliche Durchsuchung der Privatwohnung sowie des Kurdischen Gesellschaftszentrums Heilbronn. Die Anklage beruht auf „Erkenntnissen“ des Verfassungsschutzes, auf Videoaufzeichnungen der Polizei, einer Fahrzeuginnenraumüberwachung sowie TKÜ. Außerdem heißt es in dem OLG-Beschluss, dass es auch Angaben von Personen gegeben habe, „welchen von den Strafverfolgungsbehörden Vertraulichkeit zugesagt“ worden ist. Er wird beschuldigt, als „PKK-Führungsfunktionär“ ab Mitte Juli 2019 das „PKK-Gebiet“ Heilbronn verantwortlich geleitet zu haben. Individuelle Straftaten werden ihm nicht vorgeworfen. Mazlum D. befindet sich in der JVA Stuttgart-Stammheim.

Einseitige Darstellung in der Lokalpresse

Im Zusammenhang mit diesen Festnahmen erschien in der „Heilbronner Stimme“ ein Artikel, der reißerisch mit dem Titel „Terrorgruppe der PKK auch in Heilbronn aktiv“ aufmachte und die Thematik einseitig aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden, der Justiz, des Innenministers und des Verfassungsschutzes dargestellt hat. Hierzu hat der Verein eine ausführliche Stellungnahme verfasst, die der Redaktion übergeben und zahlreichen Organisationen und staatlichen Institutionen zugeleitet wurde.

Weitere Razzien im Raum Heilbronn

Am 27. Mai hat die Polizei im Rahmen von Ermittlungsverfahren wegen mutmaßlicher PKK-Mitgliedschaft (§§129a/b StGB) weitere Razzien im Raum Heilbronn vorgenommen. Hiervon betroffen waren der 67-jährige Emin B. und ein weiterer 43-jähriger Aktivist, deren Wohnungen durchsucht wurden. Emin B. soll laut Durchsuchungsbeschluss des OLG Stuttgart vom 10. Mai für den „PKK-Raum“ Crailsheim verantwortlich gewesen sein und Eintrittskarten oder Bustickets für Fahrten zu Demonstrationen oder Kundgebungen verkauft haben. Alle werden zudem beschuldigt, für Spendenkampagnen zugunsten der PKK verantwortlich gewesen zu sein.

Aktueller Prozess vor dem OLG Stuttgart

Seit dem 8. Oktober 2020 steht Kamuran Yekta V. (34) als Angeklagter vor dem OLG Stuttgart. Auf Ersuchen der Bundesanwaltschaft war er im November 2019 am Flughafen Zürich fest- und in Auslieferungshaft genommen worden, von wo er im Juni 2020 an die Justizbehörden in Stuttgart überstellt wurde. Kamuran Yekta V. wird vorgeworfen, ab Juni 2014 Jugendverantwortlicher der PKK in Stuttgart gewesen zu sein und in den Jahren 2015 bis 2016 das „PKK-Gebiet“ Saarland verantwortlich geleitet zu haben.

Die weiteren Verhandlungstermine sind voraussichtlich ab dem 8. Juni jeden Dienstag und Mittwoch ab 9.00 Uhr, OLG Stuttgart, Olgastraße 2.

Noch ausstehende Prozesse und kurdische Aktivisten in Haft

Bislang nicht eröffnet sind die Verfahren gegen Mustafa T., Mirza B., Mazlum D. und Abdullah Ö. Derzeit befinden sich elf kurdische Aktivisten in Untersuchungs- bzw. Strafhaft. Der Haftbefehl gegen Yilmaz A. wurde vom Bundesgerichtshof (BGH) wegen des Verstoßes gegen den Beschleunigungsgrundsatz aufgehoben, weshalb er seit dem 13. April auf freiem Fuß ist.

Seit der BGH im Oktober 2010 die Strafverfolgung gem. §§129a/b StGB auch auf die PKK ausgeweitet hat, wurden von AZADÎ bisher 47 Kurd:innen unterstützt bzw. deren Verfahren beobachtet. Der Rechtshilfefonds mit Sitz in Köln besteht seit 25 Jahren.