Land droht rein symbolische christliche Präsenz
Nach dem Selbstmordanschlag auf die griechisch-orthodoxe Mar-Elias-Kirche in der syrischen Hauptstadt Damaskus mit 22 Toten und über 60 Verletzten hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) ihre Warnung vor einer Eskalation der Gewalt gegen religiöse und ethnische Minderheiten im Land wiederholt. Die Menschenrechtsorganisation macht die neuen islamistischen Machthaber in Damaskus für die zunehmende Unsicherheit verantwortlich.
„Die neuen syrischen Machthaber sind nicht gewillt, Minderheiten vor Angriffen zu schützen“, erklärte GfbV-Nahostreferent Dr. Kamal Sido am Montag in Göttingen. Vielmehr gehörten Kurd:innen, Drus:innen, Alawit:innen und Christ:innen zu den erklärten Feindbildern der neuen Herrscher. Die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) hingegen könne in den Einflussgebieten der neuen Führung nahezu unbehelligt agieren. Der Anschlag auf die Kirche vom Sonntag sei ein Ausdruck dieser bedrohlichen Entwicklung.
Drohungen gegen Kirchen in Hama
Sido war im April auf einer Recherchereise in Syrien, darunter auch in Damaskus, und sprach in der nordostsyrischen Autonomieregion unter anderem mit dem Generalkommandanten der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), Mazlum Abdi. Schon damals habe dieser vor der IS-Präsenz in den Gebieten unter Kontrolle der sogenannten Übergangsregierung gewarnt. Auch Angehörige religiöser Minderheiten hätten bestätigt, dass sie in ständiger Angst vor Anschlägen lebten.
Für den Anschlag auf die Mar-Elias-Kirche im überwiegend christlich geprägten Viertel Tabbalah im Stadtteil Al-Duwaila wird der selbsternannte IS verantwortlich gemacht. Nach Angaben der GfbV seien in der Provinz Hama zudem Drohungen gegen weitere Kirchen aufgetaucht. An deren Wänden sei die Botschaft „Ihr kommt dran“ hinterlassen worden, sagte Sido.
Neue Machthaber nicht verharmlosen
Die GfbV ruft deutsche Medien und Politik dazu auf, die Machtübernahme islamistischer Milizen in Damaskus nicht zu verharmlosen. „Die sunnitischen Milizen, die die Macht in Syrien übernommen haben, unterscheiden sich kaum vom IS. Daher haben diese Milizen auch seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs kein Interesse, den IS zu bekämpfen“, so Sido. Eine Politik der Beschwichtigung werde die Lage nicht stabilisieren, sondern die Islamisten bestärken, ihre autoritäre und sektiererische Agenda weiterzuführen. Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa setze auf „oberflächliche Veränderungen und nette Rhetorik“, um sein Image zu verbessern.
Syrien droht rein symbolische christliche Präsenz
Syrien war einst nach Ägypten das Land mit der größten christlichen Gemeinschaft im Nahen Osten. Während dort vor Beginn des Bürgerkriegs bis zu drei Millionen Christ:innen lebten, wird ihre Zahl heute auf nur noch rund 300.000 geschätzt. Die Mehrheit gehört der griechisch-orthodoxen Kirche an. Sido warnt: Wenn die Gewalt gegen Christ:innen anhält, werden auch die letzten Gläubigen das Land verlassen. Syrien drohe eine rein symbolische christliche Präsenz. Die Verantwortung dafür trügen die neuen Machthaber, die Hassreden gegen religiöse und ethnische Minderheiten nicht nur duldeten, sondern gezielt schürten.
Irak 2.0?
Sido warnte vor einer Entwicklung wie im Irak nach 2003. „Damals wurden Kirchen, Organisationen und Gemeinden der assyrischen, aramäischen und chaldäischen Christen systematisch angegriffen – vor allem durch sunnitische Extremisten.“ Auch Syriens derzeitiger Machthaber al-Scharaa habe einst als Dschihadist an entsprechenden Angriffen teilgenommen – gegen die USA sowie Schiit:innen, Kurd:innen, Ezid:innen und christliche Gläubige.