PKK-Prozess in Stammheim: „Weil die Türkei es so will“

Die PKK wird als terroristische Organisation eingestuft, weil die Türkei das so will. Wenn der Staatsschutzsenat in Stuttgart das Urteil verkündet, sollte ihm klar sein, dass er als Vollzugsorgan des türkischen Staates agiert, meint Rechtsanwalt Oswald.

Am Freitag wird das Urteil im Prozess gegen fünf kurdische Angeklagte vor dem Oberlandesgericht Stuttgart verkündet. Den vier Männern und einer Frau wird Mitgliedschaft bzw. Unterstützung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) nach §§129a/b zur Last gelegt. Während die Generalbundesanwaltschaft mehrjährige Freiheitsstrafen fordert, hat die Verteidigung Freisprüche beantragt. Der Tübinger Rechtsanwalt Axel Oswald vertritt den kurdischen Aktivisten Agit Kulu und hat in seinem Plädoyer ausführlich dargelegt, dass es sich bei dem Prozess um ein politisches Verfahren handelt, mit dem die Bundesrepublik Deutschland Unterstützung für das terroristische Regime in der Türkei leistet.

Wir dokumentieren Auszüge aus dem Plädoyer von Rechtsanwalt Axel Oswald:

Wir sind hier bei einem Staatsschutzsenat!“

Ich hatte nicht lange zu überlegen, welches Label ich meinen abschließenden Ausführungen in diesem Strafverfahren geben werde. Es sind die Worte, welche durch den Vorsitzenden Richter Dr. Schnelle an einem der ersten Tage der Hauptverhandlung, als die Verteidigung wegen der beabsichtigten Einschließung der Angeklagten in den aquariumsähnlichen Glaskasten im Saal mit dem Senat eine mehrtägige Auseinandersetzung führen musste, zu den Verteidigern und Verteidigerinnen und den Angeklagten, mit einem Hauch von Verzweiflung, aber auch mit hörbar aufsteigender Wut, los werden wollte: „Wir sind hier bei einem Staatsschutzsenat!“

Diese wenigen Worte bringen den skurrilen formalen Charakter des Verfahrens, aber auch die damit notwendigerweise verbundene innere Widersprüchlichkeit oder alternativ, die innere völlige emphatielose Gleichgültigkeit der dieses Verfahren führenden Staatsschutz-Personen, nämlich den Senatsmitgliedern und den Bundesanwälten, auf den Punkt.

Der formelle und rechtliche Rahmen der Staatsschutzjustiz wird, was banal ist, maßgeblich bestimmt von den ihr zugrundeliegenden Rechtsnormen und der Rechtsprechung hierzu. Ausgangspunkt dafür ist das politische Ziel, den Staat, also die Bundesrepublik Deutschland, vor Gefahren zu schützen, welche durch politische Gruppierungen ausgehen. Hierzu ist die Definition dessen, was geschützt werden soll, erforderlich und in der Folge, wie diese Schutzgüter geschützt werden sollen.

Allen bekannt ist die weitere rechtlich banale Tatsache, dass die Gesetze der BRD letztlich vor allem ein Ziel haben, den Bestand der BRD auf dem Boden des Grundgesetzes zu erhalten und somit Gefahren hierfür zu bekämpfen und abzuwehren. Allen bekannt ist auch die Tatsache, dass Recht und Gesetz nicht im realitätsfernen Studierstübchen ausgebrütet werden, sondern immer je nach Rechtsgebiet unterschiedliche politische Zielvorstellungen in die Rechtsetzung einfließen. Dazu gibt es umfangreiche formalisierte Verfahren, wobei die unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Interessenverbände Einfluss nehmen. Bei gesetzlichen Staatsschutzregelungen besteht immer die Notwendigkeit, zusätzlich die aktuelle innen- und außenpolitische Lage und Interessen zu berücksichtigen und hierzu jeweils die passenden Lösungen zur Umsetzung der von der politischen Klasse formulierten politischen Ziele zu finden.

Ein dreistes Format: Definitionsmacht politischer Verfolgungsermächtigung“

Vor Ort, also quasi an der Front des Staatsschutzes, sind hierfür neben den Staatsschutzabteilungen der Polizeibehörden die Staatsschutzkammern bzw. Staatsschutzsenate und die vor Ort handelnden weisungsgebunden Beamten des GBA bzw. des Generalstaatsanwaltes zuständig.

Selbstverständlich kann nicht jede Entscheidung dem juristischen Personal vor Ort überlassen werden, dies wäre möglicherweise zu riskant und würde zu im Kern unterschiedlichen und widersprüchlichen Entscheidungen führen, weshalb die rechtlich äußerst fragwürdige, aber zugleich offen dreiste Idee umgesetzt wurde, den konkreten Feind, also die konkrete Bedrohung in Fällen wie hier, wenn im Fall der § 129b i.V.m $ 129a StGB ausländische Organisationen das Ziel der Verfolgung sein sollen, die Definitionsmacht und die Ermächtigungserteilung hierzu dem Bundesjustizminister, also einer politischen Führungsebene der Bundesregierung zu überlassen.

Als dreist bezeichne ich dieses Format deshalb, weil hier auch ohne besonders kritische Einstellung zu unserem Rechtssystem deutlich wie bei kaum einem anderen Rechtsgebiet wird, dass es sich um explizit politisches Recht handelt, also konkret um politische Strafjustiz.

Der politische Charakter dieser Form der Strafverfolgung wird auch daran deutlich, daß je nach politischer Lage, d.h. wirtschaftlichen und/oder militärischen Interessen der BRD in den jeweiligen Staaten, in denen diese Organisationen tätig sind, solche Organisationen als terroristisch eingestuft werden oder nicht, bzw. die konkrete staatliche Repression an die jeweilige politische Lage angepasst wird.

Die PKK ist eine bewaffnete Befreiungsbewegung“

Diese Einstufung hängt natürlich nicht davon ab, ob sich die jeweilige Organisation in einer militärischen Auseinandersetzung mit der jeweiligen Staatsmacht befindet und sich selbst als Befreiungsorganisation bezeichnet oder nicht.

Die Einstufung hängt auch nicht davon ab, ob die Anzahl der Toten in dieser bewaffneten Auseinandersetzung auf Seiten der ausländischen Organisation und der mit ihr sympathisierenden Zivilbevölkerung weit höher ist als die Opfer auf Seiten der Staatsmacht.

Und, was besonders perfide ist, die Einstufung hängt schon gar nicht davon ab, inwieweit in dem jeweiligen Staat die Menschenrechte im Hinblick auf die Mitglieder oder Unterstützer der jeweiligen Organisation oder deren Sympathisanten in der jeweiligen Bevölkerung alltäglich mit Füßen, besser, Militärstiefeln, getreten werden und willkürlich Tausende verhaftet, misshandelt und für lange Zeit hinter Gitter verschleppt werden.

Die PKK ist eine bewaffnete Befreiungsbewegung, welche sich gegen die strukturelle und repressive, sowie auch militärische Unterdrückung des kurdischen Volkes in der Türkei stellt. Verantwortlich hierfür ist der türkische Staat.

Die Türkei will Gegenleistungen sehen“

Die PKK wird als terroristische Organisation eingestuft, weil die Türkei das so will. Die BRD hat umfangreiche wirtschaftliche Beziehungen zur Türkei, welche auch Mitgliedsstaat der NATO ist und als solcher geostrategisch wichtige Funktionen für Europa leisten soll. Aktuell ist sie zusätzlich ein sogenanntes Bollwerk gegen die gefürchtete hohe Zahl von weiteren Kriegsflüchtlingen aus dem Irak und Syrien, wofür die Türkei Gegenleistungen sehen will, und nicht nur finanzieller Art. Um dies zu erreichen, unterstützt die BRD ein islam-faschistisches AKP-Regime in der Türkei. Das Bundesjustizministerium setzt diesen politischen Willen mit den Verfolgungsermächtigungen praktisch für die Staatsschutzjustiz um.

Die in ihrer Allgemeinheit, aber wie ich meine ausreichender Deutlichkeit beschriebenen politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen für das Agieren der Staatsschutzjustiz sind das Feld und auch das rechtliche Korsett für die Beamten der BAW und die Richter und Richterinnen dieses OLG-Staatsschutzsenates.

Inwieweit diesen ihre Rolle bewusst ist, kann und will ich nicht beurteilen. Ihnen sollte aber klar sein, dass sie hier letztlich die Vollzugsorgane des türkischen Staates, konkret des islam-faschistischen AKP-Regimes sind, auch wenn sie meinen sollten, Teil einer unabhängigen Judikative in Deutschland zu sein.

Unterstützung eines terroristischen Regimes durch den deutschen Staat“

Was diese Rolle noch skandalöser macht, ist die Tatsache, dass die deutsche Staatsschutzjustiz keinerlei direkte Gefahren für die Menschen in Deutschland und auch keinerlei Gefahren für den Bestand der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch die Bekämpfung vermeintlicher nicht militanter und nicht bewaffneter Aktivitäten der PKK in Deutschland abwehrt.

Im Gegenteil wird dadurch indirekt, aber natürlich auch direkt, ein menschenverachtendes Regime in der Türkei gestützt, welches in vielerlei Hinsicht nichts mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes zu tun hat, sondern einen religiös-diktatorischen Charakter besitzt und mit brutaler Repression gegen die kurdische Befreiungsbewegung vorgeht.

Im übertragenen Sinn bedeutet dies, dass durch diese Verfolgungsmaßnahmen der Staatsschutzjustiz letztlich die Inhalte des Grundgesetzes und die damit verbundenen Werte und Menschenrechte verhöhnt werden.

Es wird dadurch ein Regime geschützt und gestärkt, das die Grundsätze des hiesigen Rechts, festgehalten im GG, in der Türkei mit Füßen tritt. Eine Bewegung aber, welche sich gegen dieses Regime wendet und für Gleichheit und Beachtung der Menschenrechte in der Türkei kämpft, wird auch hier erbarmungslos strafrechtlich verfolgt.

Im moralischen Sinn, aber auch im rechtlichen Sinn unter Bezug auf die Werte des Grundgesetzes, liegt nach meiner Ansicht in der Unterstützung der Türkei, wie ausgeführt, die Unterstützung eines terroristischen Regimes durch die deutsche Staatsschutzjustiz, also durch den deutschen Staat, vor.