Ende der Repression „nur über massiven Druck auf die Regierung“

Im neuen AZADÎ-Info äußert sich Rechtsanwalt Dr. Björn Elberling zum Stand des PKK-Prozesses in Stuttgart-Stammheim und stellt fest, dass die Repression gegen die kurdische Bewegung nur durch politischen Druck beendet werden kann.

Seit dem 16. April 2019 läuft vor dem OLG Stuttgart-Stammheim das §129a/b-Verfahren gegen fünf kurdische Aktivisten – darunter eine Frau. Über den Verlauf dieses Verfahrens hat der Rechtshilfefonds AZADÎ e.V.* mit Rechtsanwalt Dr. Björn Elberling gesprochen, der gemeinsam mit Rechtsanwältin Antonia von der Behrens den Angeklagten Özkan Taş vertritt.

Seit der Bundesgerichtshof in seinen Entscheidungen von 2013/2014 die Kriterien zur Einordnung der PKK als „terroristische“ Vereinigung im Ausland festgezurrt hat, gibt der Generalbundesanwalt die meisten 129b-Verfahren an die Generalstaatsanwaltschaften ab. Die Staatsschutzsenate der diversen Oberlandesgerichte sind bestrebt, möglichst „kurzen Prozess“ zu machen, weil sie meinen, nichts mehr klären zu müssen. Das scheint im Stuttgarter Verfahren so nicht der Fall zu sein. Was wird den Angeklagten neben der Mitgliedschaft in der PKK bzw. deren Unterstützung noch vorgeworfen?

Ihnen wird vorgeworfen, einen „PKK-Aussteiger“ entführt und unter Druck gesetzt zu haben – wobei sowohl unklar ist, wie genau diese „Entführung“ ausgesehen haben soll als auch, was denn eigentlich von ihm verlangt worden sein soll.

In diesem Verfahren hat der Kronzeuge Ridvan Ö., gegen den im August 2020 auch Anklage erhoben worden ist, umfangreiche die Angeklagten belastende Aussagen gemacht, die allerdings selbst von den Richtern in Zweifel gezogen worden sind. Sind Ihrer Einschätzung nach diese Aussagen für eine Urteilsfindung des Gerichts dennoch bedeutungsvoll?

Das werden sie sicher sein. Das Gericht hat zwar deutlich gemacht, dass es an den Angaben des Ö., die schon in sich total widersprüchlich waren und die wir auch an einigen Stellen mit Beweisanträgen klar widerlegen konnten, wenig Glauben schenkt. Das Gericht ist auch deswegen zu einer besonders vorsichtigen Beweiswürdigung gezwungen, weil die Verteidigung Ö. zu vielen Themen nicht befragen konnte. Er hat sich in unserer Befragung recht schnell auf sein Auskunftsverweigerungsrecht berufen. Das Gericht hat aber deutlich gemacht, dass es trotzdem Teilen seiner Aussage glauben will, und zwar jenen, die es durch andere Beweismittel bestätigt sieht. Leider zeigen die letzten Beschlüsse des Gerichts eine deutliche Tendenz, diese anderen Beweismittel sehr einseitig gegen die Angeklagten zu verstehen.

Wie in allen anderen 129b-Prozessen leisten die Verteidiger*innen mit ihren Anträgen regelrechte Aufklärungsarbeit über die realen politischen Ereignisse und Vorgänge in allen kurdischen Gebieten, insbesondere im türkischen Teil. Mit ihren Initiativen setzen sie einen Kontrapunkt gegen die einförmige quasi vorgegebene Sichtweise der Gerichte. Ist die Vielzahl solcher qualifizierten Anträge der Verteidigung möglicherweise ein Grund, warum sich dieser Prozess so lange hinzieht?

Diese Anträge sind durchaus ein Grund, auch, weil der Senat etwas gewillter als andere Staatsschutzsenate zu sein scheint, sich diesen Wahrheiten auszusetzen. So hat er etwa auf Antrag der Verteidigung von Veysel Satılmış eine Reihe von Video- und Audiodateien im Gerichtssaal abgespielt, die das verbrecherische Vorgehen der türkischen Armee gegen die Zivilbevölkerung im Jahr 2016 betrafen. Der Hauptgrund für die Dauer des Prozesses ist aber sicher der Anklagevorwurf „Entführung des Ö.“ Allein die Befragung des Kronzeugen hat 20 Hauptverhandlungstage in Anspruch genommen. Die weitere Auseinandersetzung, in der wir versuchen, dem Gericht aufzuzeigen, dass dieser Vorwurf auf tönernen Füßen steht, tut ihr übriges.

Setzen sich die Richter*innen ernst- und gewissenhaft mit den Argumenten und Belegen der Verteidigung auseinander oder werden sie mehr oder weniger kommentarlos abgewiesen?

Wir haben schon den Eindruck, dass sich der Senat das alles aufmerksam anhört. Tatsächlich ist er ja auch von bestimmten Punkten, die sich noch in der Anklage fanden, deutlich abgerückt: Aus der brutalen Entführung mit maskierten, bewaffneten Männern und Folterszenen im Keller, die sich der Kronzeuge Ö. ausgedacht hatte, ist jetzt eher ein mehr oder weniger unfreiwillig geführtes Gespräch geworden. Aber gleichzeitig zeichnet es sich ab, dass auch dieser Senat seiner Rolle als Staatsschutzsenat gerecht werden und versuchen wird, von den Angaben des Kronzeugen Ö. soviel wie möglich zu retten und alle Angeklagten zu verurteilen. Zum Anklagevorwurf der PKK-Mitgliedschaft bzw. -Unterstützung scheint der Senat wohl der „modernen“ Linie unter den Oberlandesgerichten folgen zu wollen, nämlich einerseits die Verfolgung der Kurd*innen durch den türkischen Staat und die Rolle der HPG im Kampf gegen Daesh etwa im Sindschar-Gebirge 2014 anzuerkennen, aber trotzdem zu verurteilen.

Wir gehen davon aus, dass auch in diesem Prozess die so diametral andere Auffassung des belgischen Kassationshofs zur Einschätzung der PKK unter völkerrechtlichen Aspekten zur Sprache gebracht wurde. Hat sich der Senat hierzu verhalten und wenn ja, in welcher Weise? Oder ist die belgische Entscheidung für die deutsche Justiz schlichtweg irrelevant?

Die Entscheidung interessiert in der Tat weder die Vertreter der Bundesanwaltschaft noch unseren Senat.

Wann rechnen Sie mit dem Abschluss des Verfahrens?

Das ist schwer zu sagen, der Senat ist zwar mit dem Beweisprogramm aus seiner Sicht fertig, aber aus Sicht der Verteidigung ist schon noch einiges zu klären. Bei einem Teil unserer Beweisanträge konnte sich der Senat dem auch in letzter Zeit nicht entziehen. Die Corona-Pandemie mag auch noch einmal zu einer Unterbrechung führen. Ich halte es für möglich, dass wir vor den baden-württembergischen Osterferien – also Ende März – fertig werden. Sicher bin ich mir da aber nicht.

Wie sind derzeit die Haftbedingungen – insbesondere angesichts der Corona-Pandemie – der drei inhaftierten Kurden (zwei Angeklagte befinden sich auf freiem Fuß)?

Die sind noch schlechter als sonst schon: zum einen, weil in den Justizvollzugsanstalten nach all dem, was wir so mitbekommen, noch immer eine erhöhte -Ansteckungsgefahr besteht, und zum anderen, weil natürlich Gemeinschaftsaktivitäten, die den Haftalltag etwas erträglicher machen würden, ausfallen müssen.

Im November 2020 war es anlässlich eines geplanten Arztbesuches von Veysel Satılmış während des Transportes zu massiven Misshandlungen durch bewaffnete Polizeikräfte gekommen: Handschellen waren bei gegeneinander verdrehten Händen angelegt worden; ebenso war er durch Fußfesseln bewegungsunfähig gemacht worden. Seine Hände waren in einen engen Sack gesteckt und die Arme mit einem Gürtel am Körper fixiert worden. Der Gefangene wurde wie ein Paket geschnürt mit einem Rollstuhl ins Sprechzimmer gefahren. Ein Dolmetscher war nicht anwesend, dafür weitere vier Polizisten. Eine Behandlung, die diesen Namen verdient, konnte es unter diesen Umständen nicht geben. Welche juristischen Schritte gegen diese Misshandlung hat Ihr Kollege Martin Heiming gegen die Verantwortlichen eingeleitet?

Die beabsichtigte Beschwerde verzögert sich aktuell immer noch wegen eines Streits mit der Gefängnisleitung um Einsicht in die Akten dieses Vorgangs.

Alle Prozesse und derart üblen Ereignisse sind letztlich nur möglich durch die seit Jahrzehnten anhaltende Praxis der Kriminalisierung und politisch motivierte Verbotspolitik aller Bundesregierungen, deren Umsetzung durch die Polizei- und Justizbehörden erfolgt. Mindestens ebenso lang gibt es einen politischen und juristischen Kampf von zahlreichen Organisationen, Initiativen und Einzelpersonen gegen diese repressive, dem türkischen Staat dienende Haltung der deutschen Politik. Was wäre Ihrer Meinung nach erforderlich, um diesen demokratiefernen Kreislauf der politisch-strafrechtlichen Verfolgungslogik zu durchbrechen?

Letztlich handelt die Strafjustiz – allen voran die politische Behörde Bundesanwaltschaft – hier nach dem allgemeinen politischen Zeitgeist. Strafverfolgung wegen angeblicher PKK-Mitgliedschaft etwa setzt ja immer eine Verfolgungsermächtigung des Justizministeriums voraus. Die Regierung hat es also weiter in der Hand, mit einem Federstrich einen großen Teil dieser Repression zu beenden. Wir führen den Kampf im Gerichtssaal und für die einzelnen Angeklagten, aber gewonnen werden kann die Auseinandersetzung nur über massiven Druck auf die Regierung, den außenpolitischen Kurs der Kooperation mit dem Erdoğan-Regime und der Repression gegen kurdische und andere Oppositionelle hierzulande zu beenden.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Der Dank geht zurück – danke wie immer an AZADÎ für die Unterstützung und Begleitung. Danke ebenso an die solidarischen Zuschauer*innen, die auch unter Corona-Bedingungen weiter ins Gericht kommen, um die Angeklagten zu unterstützen.


*Das Interview ist der ersten Ausgabe des AZADÎ-Infos im neuen Jahr entnommen. Die Publikation enthält viele weitere interessante Berichte und Informationen über die Folgen der Repressions- und Kriminalisierungspolitik in Deutschland. Unter anderem wird über das am 8. Januar eröffnete §129b-Verfahren gegen den Aktivisten Hüseyin Açar vor dem OLG Koblenz berichtet. Der Sechzigjährige hat bereits über zwanzig Jahre seines Lebens in türkischen Gefängnissen und knapp vier Jahre in deutscher Haft verbracht.

Auf der Internetseite des Rechtshilfefonds können außerdem von einem „Verbotspaket“ alle relevanten Verfügungen und Runderlasse des Bundesinnenministeriums mit den Abbildungen verbotener und eingeschränkt untersagter Kennzeichen kurdischer Organisationen sowie einige ausgewählte parlamentarische Anfragen eingesehen oder heruntergeladen werden.