Im Prozess gegen eine Kurdin und vier Kurden vor dem Oberlandesgericht Stuttgart in Stammheim haben am Donnerstag und Freitag die 68. und 69. Verhandlung stattgefunden. Das Verfahren nach Paragraf 129a/b ist bereits am 16. April 2019 eröffnet worden. Den Angeklagten wird vorgeworfen, Mitglieder einer „terroristischen Vereinigung im Ausland“ gewesen zu sein bzw. diese unterstützt zu haben. Außerdem werden sie der Freiheitsberaubung, versuchten Nötigung und gefährlichen Körperverletzung beschuldigt. Die Anklage der Bundesanwaltschaft basiert maßgeblich auf den Aussagen eines Kronzeugen, der seinen Angaben zufolge für die PKK tätig gewesen sein soll. Veysel S., Agit K. und Özkan T. sind in Stuttgart-Stammheim inhaftiert. Cihan A. und Evrim A. sind aus der Untersuchungshaft entlassen worden.
Veysel S. hatte im Oktober vor Gericht eine zwanzigseitige Erklärung abgegeben, in der er die Unterdrückung der Kurden seit dem Osmanischen Reich bis in der heutigen Türkei geschildert hatte. Unter anderem ging es dabei um die Zerstörung ganzer Städte und Wohnviertel in Nordkurdistan durch türkische Sicherheitskräfte in den Jahren 2015 und 2016. Rechtsanwalt Martin Heiming, der Veysel T. vertritt, machte am vergangenen Donnerstag geltend, dass bisher nur Berichte der türkischen Seite in das Verfahren eingebracht worden sind. Für einen unparteiischen Prozess müsse jedoch auch den Erlebnissen von Kurdinnen und Kurden Raum gegeben werden.
Daraufhin wurden im Gerichtssaal knapp zehn Videobeiträge gezeigt. In den Aufnahmen der Nachrichtenagenturen DIHA und DHA sowie in Videos, die türkische Soldaten in den sozialen Medien verbreitet hatten, ging es unter anderem um Polizeiüberfälle auf Zentralen der Demokratischen Partei der Völker (HDP) und die Folter an Arbeitern in Nisêbîn (türk. Nusaybin). Außerdem wurde ein Radiobeitrag von Mehmet Tunç eingespielt. Tunç war Ko-Vorsitzender des Volksrats von Cizîr (Cizre) und kam in einem der berüchtigten Todeskeller der nordkurdischen Kreisstadt ums Leben. Dutzende Menschen wurden dort bei lebendigem Leib verbrannt. In der Audioaufnahme sagt Tunç: „Wir können nichts tun. Wir haben Verletzte und zwei Tote hier. Wir können nicht raus, sobald wir den Kopf herausstrecken, wird auf uns geschossen.“
Fatma Sayın, die Agit K. verteidigt, erklärte nach der Vorführung der verstörenden Aufnahmen, dass die in Europa lebenden Kurdinnen und Kurden genau aus diesem Grund Protestaktionen organisieren und diese legalen Proteste kriminalisiert werden.
Der Prozess wird am 12. und 13. November fortgesetzt.