Morde von Cizîr bleiben vor türkischer Justiz ungesühnt

Die 72 Ermittlungsverfahren bezüglich der Morde an Zivilist*innen während der Ausgangssperren in Cizîr wurden eingestellt.

Während der Ausgangssperren im nordkurdischen Cizîr (Cizre) zwischen dem 4. und 12. September 2015 und dem 14. Dezember 2015 bis 2. März 2016 wurden eine große Anzahl von Zivilist*innen, unter ihnen viele Kinder und Alte, von staatlichen Kräften getötet. Die Ermittlungsverfahren zum Tod dieser Personen werden eines nach dem anderen eingestellt und die Akten geschlossen.

Sogar der 14-jährige Hasan Ayaz wurde zum Mitglied einer „Terrororganisation“ erklärt

Die Generalstaatsanwaltschaft von Cizre hat mittlerweile in 72 Fällen die Ermittlungen eingestellt. Die meisten Akten wurden geschlossen, weil die Getöteten als Mitglieder einer „Terrororganisation“ ausgewiesen wurden. Selbst der 14-jährige Hasan Ayaz wurde zum Mitglied einer „Terrororganisation“ erklärt und das Ermittlungsverfahren zu seinem Tod eingestellt. Die Staatsanwaltschaft kam in allen Verfahren zur Feststellung, dass „die Operationen auf dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ durchgeführt worden seien. Die Staatsanwaltschaft verteidigte die Morde als „rechtskonform“. Sie erklärte, dass es sich bei einigen der eingestellten Verfahren um „natürliche Todesfälle“ handelte und es nicht möglich sei, den Betreffenden irgendwelche Schuldzuweisungen zu machen.

Cemile, Selman, Meryem …

In sieben Verfahren wurde mit der Begründung, dass die Täter nicht feststellbar seien, ein Beschluss über eine dauerhafte Fahndung erlassen, was einer Einstellung der Ermittlungen gleichkommt. Einige der davon betroffenen Opfer von Tötungen sind: die 53 Jahre alte Meryem Süne, der 75-jährige Mehmet Erdoğan, die zehnjährige Cemile Çağırga, deren Familie die Leiche ihrer Tochter im Gefrierschrank aufbewahren musste, der neunjährige Selman Ağar und der 13-jährige Hakki Külte.

Auch im Fall Ertene „unbekannte Täter“

Zuletzt wurde auch in Ermittlungen zum Tod des 16-jährigen Hüseyin Ertene ein dauerhafter Fahndungsbeschluss erlassen, da hier ebenfalls die Täter unbekannt seien. Damit wartet der Fall auf seine Verjährung. Die Verfahren wegen „vorsätzlicher Tötung eines Kindes“ verjährt nach 30 Jahren, also am 28. Dezember 2045. Ertene sei durch eine „Kugel aus unbekannter Richtung“ getötet worden, heißt es in der Erklärung der Staatsanwaltschaft. Da „trotz aller Untersuchungen die Täter nicht festgestellt werden konnten, wurde ein dauerhafter Fahndungsbeschluss erlassen“.

Es befinden sich im Moment immer noch viele Fälle im Ermittlungsstadium. Über viele Akten wurde ein Geheimhaltungsbeschluss verhängt, das Schicksal anderer Fälle ist unbekannt.