Emine Çağırga, die Mutter der im Jahre 2015 bei Angriffen türkischer Sicherheitskräfte in Cizîr (Cizre) getöteten Cemile, sagt dazu: „Drei Jahre nach ihrem Tod haben die Behörden meiner Tochter den Stempel ‚Mord unbekannter Täter‘ aufgedrückt. Wir hatten sowieso keine Erwartungen an die Gerechtigkeit dieses Staates. Ich werde es vielleicht nicht mehr erleben, aber ich weiß, dass es eines Tages Gerechtigkeit geben wird.“
Cemile ist am 7. September 2015 während der Zeit des Kampfes für Selbstverwaltung von einem Geschoss getroffen worden, das aus einem gepanzerten Fahrzeug abgefeuert wurde, als sie vor ihrem elterlichen Haus im Stadtteil Cûdî spielte. Da die Familie aufgrund der Ausgangssperre den Leichnam ihrer Tochter nicht ins Krankenhaus bringen oder bestatten durfte, mussten sie ihn tagelang in einer Gefriertruhe aufbewahren.
Mit der Begründung, dass die Täter nicht feststellbar seien, hat das Gericht nun einen Beschluss über eine dauerhafte Fahndung erlassen, was einer Einstellung der Ermittlungen gleichkommt. Die faktische Einstellung der Ermittlungen unter dem Label „unbekannte Täter“ wird als eine Fortsetzung der Straflosigkeit der extralegalen Hinrichtungen der 90er Jahre betrachtet.
Es ist klar, woher die Kugel kam…
In einem Schreiben der Staatsanwaltschaft an die Bezirkspolizeidirektion wird die Entscheidung damit begründet, dass „die Täter nicht festzustellen“ seien. Das Verfahren war wegen vorsätzlicher Tötung eines Kindes eröffnet worden. In der Akte befand sich nicht ein Beschuldigter. Als Todesursache von Cemile wurde „der Einschlag einer Kugel aus unbekannter Richtung in den Körper“ angegeben. In der Entscheidung wurde eine Verjährungsfrist von 30 Jahren, also bis zum 7. September 2045, festgelegt. Weiter heißt es in dem Beschluss: „Im Rahmen der Ausgangssperre aufgrund der Operationen gegen Mitglieder der Terrororganisation in Cizre wurde Cemile Çağırga am Tattag von einem Geschoss aus unbekannter Richtung am Körper getroffen und verlor ihr Leben.“ Da trotz aller Bemühungen kein Täter habe festgestellt werden können, müsse eine dauerhafte Fahndung ausgeschrieben werden: „Es wird darum gebeten, die Generalstaatsanwaltschaft im Falle der Ermittlung der Identität des oder der Verdächtigen in Kenntnis zu setzen und im Falle der Nichtfeststellung der Identität der Verdächtigen der Generalstaatsanwaltschaft einmal jährlich Bericht zu erstatten und die Verdächtigen bis zum Ende der Verjährungsfrist zu suchen.“
„Eines Tages wird es Gerechtigkeit geben“
Obwohl drei Jahre vergangen sind, ist der Schmerz im Herzen von Cemiles Mutter Emine Çağırga nicht weniger geworden. Sie sagt: „Das dritte Jahr ist nun vorbei und das vierte beginnt. In dieser ganzen Zeit gab es keinen Fortschritt. Der Staat hat meine Tochter zum Opfer unbekannter Täter gemacht. Von diesem Staat haben wir sowieso keine Gerechtigkeit erwartet. Vielleicht werde ich es nicht mehr erleben, aber ich weiß, dass es eines Tages Gerechtigkeit geben wird. Ich höre immer noch die Stimme meiner Cemile, wenn ich schlafe.“ Das Verfahren werde sie ihr Leben lang weiterverfolgen, sagt Emine Çağırga: „Selbst wenn wir sterben, werden meine Enkel und meine Verwandten in meinem Sinne weitermachen. Der Staat weiß, wer die Mörder sind, und wir wissen es auch. Der Täter in diesem Verfahren ist der Staat.“