Visionär, Stratege, Gestalter
Der Guerillakommandant Sîdar Armanc ist im Mai 2024 bei einem Angriff des türkischen Staates auf die Westfront der Zap-Region gefallen. Das teilte das Medien- und Kommunikationszentrum der Volksverteidigungskräfte (HPG) am Dienstag in einer Erklärung mit. Darin würdigt die Organisation den Kommandanten, der über lange Zeit den Tunnelwiderstand in Girê Amêdî anführte, als einen „großen Visionär, Strategen und Gestalter“. Er habe als fest verwurzelter apoistischer Militanter durch seine Verbundenheit zu den Werten der Freiheit und seinen Weggefährt:innen unauslöschliche Spuren in der Geschichte des Befreiungskampfes hinterlassen. „Die Erinnerung an unseren Genossen wird unser Wegweiser für den Sieg“, erklärten die HPG und sprachen der Familie des Gefallenen sowie der kurdischen Bevölkerung ihr Mitgefühl aus. In einem Nachruf auf Sîdar Armanc heißt es:
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Codename: Sîdar Armanc
Vor- und Nachname: Mahmut Tut
Geburtsort: Wan
Namen von Mutter und Vater: Hatice – Ali
Todestag und -ort: 4. Mai 2024 / Zap
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Sîdar Armanc wurde in der traditionsreichen Region Serhed, im nordkurdischen Erdîş (Provinz Wan), in eine Familie geboren, die fest in der kurdischen Kultur und den Werten des Widerstands verwurzelt war. Als Angehöriger einer Familie, deren Vorfahren das Massaker im Zîlan-Tal überlebt hatte, wurde er früh mit der Realität von Unterdrückung und Gewalt konfrontiert.
Um seine Familie zu unterstützen, arbeitete Sîdar Armanc bereits in jungen Jahren in verschiedenen Berufen. Diese Erfahrungen prägten ihn tief und stärkten seine Verbundenheit mit den einfachen Menschen und dem Wert von harter Arbeit. Die Widersprüche, denen er im türkischen Bildungssystem begegnete, führten ihn in die Suche nach Alternativen. Inspiriert von den Ideen der kurdischen Freiheitsbewegung und Abdullah Öcalans entschloss er sich, Teil der Jugendbewegung zu werden. Seine Überzeugung wuchs durch Diskussionen und intensive Auseinandersetzungen mit dem Paradigma der kurdischen Befreiungsbewegung. An der Universität engagierte er sich aktiv, beeindruckte sein Umfeld durch Klarheit, Entschlossenheit und Integrität und wurde rasch zu einer wichtigen Bezugsperson.
Trotz wiederholter Festnahmen und staatlicher Repression ließ sich Sîdar Armanc nicht einschüchtern. Aufgrund seines politischen Engagements verbrachte er als Student rund ein Jahr im Hochsicherheitsgefängnis von Tekirdağ. Auch dort setzte er sein politisches Wirken fort und vertiefte seine Überzeugungen. Die Assimilations- und Repressionspolitik des Staates hatten ihm klar vor Augen geführt, dass ein selbstbestimmtes Leben nur durch kollektiven Widerstand möglich ist.
Nach seiner Freilassung im Jahr 2013 schloss er sich der Guerilla an – überzeugt, dass die Berge Kurdistans der Ort sind, an dem Freiheit konkret verteidigt wird. In Metîna erhielt er seine militärische Grundausbildung und bewies von Anfang an Einsatzbereitschaft und Verantwortungsgefühl. In kurzer Zeit wurde er auf eigenen Wunsch hin Teil der Sondereinheit „Hêzên Taybet“, da er durch seine tiefe Verbundenheit zur Bewegung, zu den Gefallenen und zur Vision eines freien Lebens überzeugte. In seinen eigenen Worten beschrieb er sein Ziel: „Ich möchte mich in den Dienst einer historischen Bewegung stellen, die mit beispiellosem Mut geführt wird. Wenn ich mich dafür ganz hingebe, dann bei den Hêzên Taybet – dort, wo die Verantwortung am höchsten ist.“ Diese Haltung prägte sein ganzes Wirken.
Fünf Jahre lang wirkte Sîdar Armanc im Sicherheitsbereich der Guerilla und bewahrte dabei stets Bescheidenheit, Verlässlichkeit und eine klare politische Haltung. Nach dieser Phase im Qendîl-Gebirge vertiefte er seine theoretische Ausbildung an der Mazlum-Doğan-Parteischule. Dort begleitete er auch andere Kämpfer:innen in ihrem Lernprozess und verkörperte mit Haltung und Engagement die Linie von Zîlan, einer Pionierin des kurdischen Widerstands.
Als Reaktion auf die türkische Invasion in den Medya-Verteidigungsgebieten meldete Sîdar Armanc sich freiwillig für den besonders gefährdeten Raum Behdînan. Dort nahm er an militärisch anspruchsvollen Aufgaben teil und entwickelte sich in kurzer Zeit zu einem disziplinierten und strategisch denkenden Kommandanten – besonders in der Region Gare, wo er umfassende Verantwortung übernahm und unter anderem am Ausbau wichtiger Infrastruktur für den Guerillakampf verantwortlich war.
Im Jahr 2022, mit dem Beginn der großangelegten Besatzungsangriffe der türkischen Armee auf die Regionen Zap, Avaşîn und Metîna, war es Sîdar Armanc, der sich erneut freiwillig meldete. Er ging an die besonders umkämpfte Westfront der Zap-Region und übernahm dort zentrale Aufgaben. In einer Phase, in der die türkischen Angriffe ins Stocken gerieten, trug er mit klarem Blick und unerschütterlichem Willen dazu bei, strategische Erfolge zu sichern. Sein Ziel war es stets, den Opfern vergangener Massaker – vom Zîlan-Tal bis heute – mit einem würdevollen, standhaften Leben zu gedenken.
Mit seinem Leben und seinem Wirken hinterlässt Sîdar Armanc eine tiefe Spur: als Kämpfer, als politischer Weggefährte, als jemand, der sich mit ganzer Kraft für eine gerechtere, freiere Welt einsetzte. Seine Entschlossenheit, sein Glaube an den kollektiven Weg und seine Menschlichkeit bleiben als Vermächtnis erhalten. Sein Andenken wird auf dem Weg zu einem freien Kurdistan weiterleben – in jedem Schritt, den jene gehen, die sich dem Frieden, der Gerechtigkeit und der Freiheit verschrieben haben.