Der Film „Ji bo Azadiyê” (Für die Freiheit, englischer Titel: The end will be spectacular) thematisiert den vom Dezember 2015 bis März 2016 andauernden Widerstand der Zivilen Verteidigungseinheiten YPS (Yekîneyên Parastina Sivîl) gegen die Belagerung des türkischen Militärs im Stadtteil Sûr von Amed (Diyarbakır). Gedreht wurde der Film in der nordsyrischen Stadt Kobanê. Seine Premiere feierte „Ji bo Azadiyê” auf dem 25. Internationalen Filmfestival im indischen Kalkutta. Diesen Freitag findet in Berlin die deutsche Uraufführung statt. ANF hat im Vorfeld mit dem Regisseur Ersin Çelik darüber gesprochen, wie der Film zustande kam und warum und mit wem er gedreht wurde.
Kannst du uns über die Filmkommune von Rojava erzählen und ihre Rolle in der Produktion des Films „Ji bo Azadiyê”?
Die Filmkommune von Rojava ist der Produzent des Films. Die Kommune wurde im Jahr 2015 in Rojava gegründet. Sie hat bis heute zahlreiche Filme, Dokumentationen und Musikvideos produziert. Die Kommune hat auch ein Filmfestival organisiert. Im Rahmen ihres mobilen Kinos hat sie auch Filmvorstellungen in den nordsyrischen Dörfern speziell für Kinder organisiert.
Den Film „Ji bo Azadiyê” hat nicht nur die Filmkommune allein erstellt. Dutzende Einrichtungen in Rojava und Hunderte Personen waren an der Produktion beteiligt. Bis zu 100 Freiwillige haben bei den fast sechs Monate umfassenden Dreharbeiten mitgearbeitet. Beispielsweise war die Unterstützung der Stadtviertel-Räte in Kobanê und der Frauen- und Jugendkommunen sowie Selbstverteidigungseinheiten entscheidend für den Dreh des Films.
Wie habt ihr die Geschichte zu einem Film gewandelt und Kontakt zu den Personen aufgebaut, die den Krieg in Sûr überlebt haben?
In der Phase der Entwicklung des Szenarios konnten wir in Kontakt mit vier Personen treten, die überlebt haben. Wir haben die Gespräche mit ihnen aufgenommen. Einer der wichtigsten Gründe, dieses Thema zu wählen, war das in Sûr geführte Tagebuch. Zudem wurde die Verbrennung von Hunderten Menschen in den Kellern von Cizîr (Cizre) live im Fernsehen ausgestrahlt. Über 300 Menschen wurden in den Kellern bei lebendigem Leibe verbrannt. In Sûr wurde eine Geschichte ausgelöscht. Als all dies passierte, schaute die Welt nur zu. In derselben Region ereigneten sich bereits Massaker und Übergriffe auf das Volk. Es gab eine massive Fluchtwelle. Dieser Film ist eine Kritik an diesem Schweigen.
Ist es schwer mit Menschen zu arbeiten, die keine ausgebildeten Schauspieler sind?
Es ist immer schwer mit Darstellern zusammenzuarbeiten, die für diese Tätigkeit keine Ausbildung erhalten haben. Doch es wäre vielleicht schwerer gewesen, diesen Film mit ausgebildeten Schauspielern zu drehen. Zwei Personen (Haki und Korsan Şervan), die am Widerstand in Sûr beteiligt waren, haben sich selbst gespielt. Auch die anderen Schauspieler waren größtenteils Jugendliche, die ihren Platz im Kampf gegen den IS hatten oder im Krieg aufgewachsen sind. Damit waren sie keine Schauspieler, aber verfügten über wahre Gefühle und Erfahrungen. Deshalb wollte ich, dass die Schauspieler nicht „schauspielern”. Ich habe versucht zu gewährleisten, dass sie sie selbst sind, sich so verhalten, wie sie es auch sonst tun. Ich denke, dass, wenn wir mit ausgebildeten Schauspielern diesen Film gedreht hätten, er seinen jetzigen Erfolg nicht hätte erreichen können.
Wie nah sind die Ereignisse im Film an der Realität? Wie ist die heutige Situation in Sûr?
Der Film, die Geschichte, beruht auf wahren Gegebenheiten. Die Basis bilden größtenteils reale Erzählungen und das Tagebuch, das von den Kämpfern während des Sûr-Widerstands geführt wurde. Der Drehort war ein Stadtteil von Kobanê, der beim Widerstand der Stadt zum größten Teil zerstört wurde. So wie es auch mit Sûr geschehen ist.
Die Ausgangssperre ist in einem Teil von Sûr immer noch gültig. Die größte Zerstörung hat das historische Sûr nach dem Ende des Krieges heimgesucht. Sie haben förmlich Rache an der Stadt genommen. Dieser langfristig angelegte Völkermord richtet sich nicht nur an die Gesellschaft, sondern gegen seine Geschichte und Zukunft. So wie beispielsweise das historische Heskîf (Hasankeyf) überflutet wird, wurde auch die historische Altstadt Sûr dem Erdboden gleichgemacht.
Während der Dreharbeiten zum Film dauerte der große Krieg gegen den IS in Raqqa an. Die Türkei hatte zudem begonnen, Efrîn zu bombardieren. Wie gefährlich waren die Dreharbeiten für euch?
Ja, wie heute auch gab es zum einen den Widerstand und zum anderen die Intervention und auch die Bombardierung von Efrîn durch die Türkei hatte begonnen. Wir haben den Film in der Stadt Kobanê gedreht, die als ein demokratisches Experiment internationale Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Dort, wo es Leben gibt, kann auch ein Film gedreht werden. Ja, es gab viele Risiken, aber es ist unsere Heimat. So wie alle Menschen dort in Gefahr leben, waren wir auch in Gefahr. Unser Set hätte bombardiert werden können. Ich und alle Kollegen vom Film-Team waren auf alles vorbereitet. Wir wollten unter allen Umständen diesen Film drehen. Das Kino ist Teil dieses demokratischen Widerstandes. Es ist so risikoreich wie die Politik und ein so gefährlicher Bereich wie der Krieg selbst.
Wie ist die gegenwärtige Situation des kurdischen Films?
Die Situation des kurdischen Films ist wie die kurdische Frage. Es werden Filme gedreht, aber im Land selbst wüten der Faschismus und der Krieg. Es ist schwer, sowohl einen Film zu drehen als auch diesen Film der Gesellschaft näherzubringen. Darüber hinaus gibt es die kurdische Gesellschaft in der Diaspora und ihre Filme.
Das kurdische Kino wird als ein Teil der gesellschaftlichen Opposition der Kurden wichtige Ergebnisse hervorbringen. Denn in unserer Heimat gibt es zum einen Diktaturen und zum anderen einen demokratischen und an der Befreiung der Frau orientierten Widerstand. Das kurdische Kino muss sich daran orientieren. Es gibt auch die Realität der Fluchtgeschichten, aber ich denke auch, die Rückkehr der vielen kurdischen Flüchtlinge ist ein noch viel wichtigeres Thema. Das kurdische Kino kann auch die Vorreiterrolle der Frauen im politischen, militärischen und kulturellen Bereich veranschaulichen.