Rûbar Şervan, ein Schauspieler und Guerillakämpfer

Als der Regisseur Ersin Çelik nach Schauspielern für einen Film über den Widerstand von Sur suchte, traf er in Kobanê auf Rûbar Şervan, der damals gegen den IS kämpfte.

Der HPG-Kämpfer Rûbar Şervan spielt in dem Film „Ji bo Azadiyê“ (Für die Freiheit, englischer Titel: The end will be spectacular) die Rolle des Kommandanten Çiyager im Widerstand gegen die türkische Belagerung von Sur, der historischen Altstadt von Amed (Diyarbakir), in den Jahren 2015/2016. Am 25. Oktober ist er in Heftanin bei der Verteidigung Südkurdistans gegen die türkische Besatzung ums Leben gekommen.

Der Journalist und Regisseur Ersin Çelik erinnert an seinen Hauptdarsteller:

Wan, wo Rûbar Şervan (Cihan Sever) herkam, ist eine der kältesten Gegenden Kurdistans, wenn es um das Klima geht. Ein Ziel und Gefühl brachte Rûbar aus dem kältesten und gebirgigsten Teil seines Landes in den heißesten. Er kam 2014 nach Kobanê, um gegen den IS zu kämpfen. Als wir uns kennenlernten, hatte er in Rojava gekämpft und war mehrmals verwundet worden. Wir trafen uns erstmalig im Oktober 2017 in Kobanê, als die Vorbereitungen für den Film bereits im Gange waren.

Sie können besser verstehen, warum er Schauspieler wurde, wenn ich die Frage beantworte, nach welcher Art von Schauspielern wir gesucht haben. Ich war eigentlich auf der Suche nach Amateurschauspielern, weil wir authentische Emotionen von Menschen einfangen wollten, die sowohl dem, was in Sur geschehen war, als auch der Subjektivität der jungen Menschen, die dort gekämpft haben, so nah wie möglich waren. Wir waren daher überzeugt, dass nur Menschen, die ähnliche Ereignisse erlebt hatten, diese Geschichte darstellen konnten. So musste der Schauspieler, der die Figur interpretiert, im wirklichen Leben so nah wie möglich bei ihm sein.

Das war nicht einfach. Es fanden sehr heftige Kämpfe statt, der Krieg gegen den IS tobte immer noch in Raqqa. Wir waren eine Gruppe von Filmemachern, Journalisten und Einzelpersonen, die sich dem Projekt widmeten, und wir arbeiteten aktiv am Drehbuch, der Suche nach Schauspielern und der architektonischen Darstellung von Sur in Kobanê. Sur ist eine Stadt aus schwarzem Stein, die für ihre Region charakteristisch ist, mit engen Gassen, während mehr als 80 Prozent von Kobanê zerstört wurden.

Wir bereiteten einen Film vor, während wir bereits einen lebten: Wir hatten geplant, eine Gruppe von Kämpfern der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) aus Şeddadê als Schauspieler einzusetzen, aber sie wurden zu Beginn der Operation in Deir ez-Zor an die Front gerufen, da die Prioritäten anderswo lagen. Der YPG-Kämpfer Kahraman Amed sollte eine Rolle im Film spielen, aber er fiel ein paar Tage vor Drehbeginn in Raqqa. Auch der Filmemacher und Journalist Mehmet Aksoy kam bei einem Angriff des IS in Raqqa ums Leben.

Rûbar Şervan bei den Dreharbeiten zu Ji bo Azadiyê

In der ersten Vorbereitungsphase hatten wir die Rollen nie verteilt, da wir mit der Organisation und Schulung der Crew beschäftigt waren. Diese dauerte drei Monate und beschäftigte sich mit den verschiedenen Aspekten des Kinos, darunter Theorie, Kritik und Theaterunterricht. Am Ende dieses Trainings begannen wir mit der Arbeit an dem Szenario und den Proben für einige der Schlüsselszenen. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Casting präziser. Da es sich um einen Gruppenfilm handelte, war es wichtig, dass sich die Charaktere im Szenario gegenseitig ergänzen. Aber wie gesagt, am wichtigsten war, dass die Charakterzüge der Schauspieler den Persönlichkeiten des Szenarios ähnelten.

Als ich Rûbar zum ersten Mal sah, sagte ich mir, dass er der Richtige ist, und meine Meinung änderte sich während der dreimonatigen Ausbildungszeit nicht: Er konnte die Hauptrolle spielen, die von Çiyager, dem Anführer des Widerstands von Dezember 2015 bis März 2016 gegen die polizeiliche und militärische Belagerung von Sur. Rûbars Herz war federleicht, er war äußerst bescheiden und auch bei Schwierigkeiten immer optimistisch. Er lächelte die ganze Zeit und sogar die Art, wie er sich bewegte, war beeindruckend. Kurz gesagt, er hatte alle Eigenschaften eines revolutionären Kommandanten. Er war genauso wie Çiyager, den er darstellen sollte.

Zuerst war er nicht sehr daran interessiert, bei dem Film mitzumachen. Er sah diese Arbeit nicht als seine Aufgabe, weil er keine Theater- oder Filmerfahrung hatte. Also musste er sich selbst und uns vertrauen.

Unser Vorteil war jedoch, dass unter politisch bewussten Kurden die Teilnahme am Widerstand von Sur eine Ehre ist, genau wie der Widerstand in Kobanê und Şengal. Leben oder Sterben ist nicht das Wichtigste, sondern Ehre, Widerstand, Freiheit und die innige Überzeugung, dass Revolution kein Traum ist. Kurz gesagt, man muss überzeugt sein, dass ein neues Leben möglich ist. Und wie viele andere hatte auch Rûbar diese Überzeugung. Für revolutionäre Menschen hat das Leben eine künstlerische und poetische Dimension. Nur Poesie und Kunst erzählen die Geschichte der Reise aus einer Region, in der der Schnee mehr als zwei Meter hoch liegt, in eine Region, in der die Sommer glühend heiß sind. Nur revolutionäre Menschen können die Titelrolle in einem Film übernehmen, wenn sie gegen den IS, das am besten organisierte Übel der Welt, kämpfen. So wurde Cihan in Kobanê zu Rûbar und spielte die Rolle des Çiyager im Film Ji bo Azadiye.

Natürlich konnten all diese Zutaten nicht ausreichen, denn ein Film ist ein langer und komplizierter technischer Prozess und nur wenige Menschen schaffen es, den Film hinter dem Szenario zu sehen, zusammen mit der Kamera, dem Licht, der Crew, dem Publikum. Amateurschauspieler haben es schwer, sich an all diese Aspekte zu gewöhnen, besonders wenn Aufnahmen wiederholt werden müssen. Wir haben es geschafft, den Film trotzdem zu vollenden, und es ist wirklich ein Film, auch wenn er auf realen Ereignissen basiert. Aber die Realität ist überall darin enthalten. Zwei der Schauspieler, Korsan Şervan und Haki, haben zum Beispiel wirklich in Sur gekämpft und wir sorgten dafür, dass sie ihre eigenen Rollen spielen konnten. Das ist ein wichtiges Detail in der Geschichte des Kinos. Rûbar Şervan zum Beispiel fragte sich, ob er in der Lage sein würde, Çiyager darzustellen.

Unser Film handelt von einem Prozess, der immer noch andauert und in aller Munde ist. Rûbar fühlte, dass dies kein gewöhnlicher Film war und er von dieser Rolle ein Leben lang geprägt sein würde.

Meine Aufgabe als Regisseur bestand darin, die Motivation aller aufrechtzuerhalten und die zu der jeweiligen Szene passende emotionale Atmosphäre herzustellen. Das war nicht ausreichend, denn manchmal mussten die Schauspieler die geringste Geste wiederholen. Aber jeder war in das Projekt eingestiegen und sagte sich, dass er sein Bestes geben müsse. Wir sagten immer wieder: „Wir können es besser machen." Mit dieser Einstellung ist es uns gelungen, den Motivationsmangel zu überwinden, der nach mehreren Aufnahmen auftreten kann. Wir haben den Gedanken verbannt, dass wir unter diesen Bedingungen nicht so anspruchsvoll sein müssen, mit Schauspielern und einer Mannschaft, der es an ausreichender Erfahrung für ein solches Projekt mangelt. Wir sind Amateure, aber wir haben versucht, wie Profis zu denken und zu handeln. Rûbar vertraute uns als Schauspieler, er nahm unsere Kritiken und Anregungen an. Er zeigte einen großen Einsatz.

Die Vorbereitungen dauerten drei Monate und die Dreharbeiten auch. Rûbar hatte bis zum Schluss Szenen, auch sehr schwere. Es gab keine Extravaganz, keine Übertreibung in diesem Film, sondern die Erzählung einer wahren, authentischen Geschichte. Unsere Schauspielerfreunde machten also eine Diät, um Gewicht zu verlieren, sie waren schmutzig und schnitten ihre Haare nicht. Rûbar war derjenige, der sich am wenigsten darüber beschwerte. Er verließ das Set im März 2018.

Wir haben uns zuletzt im Sommer 2018 gesehen, als ich ihm eine erste Version des Films im Rohschnitt zeigte. Danach hatten wir keinen Kontakt mehr, bis am 2. November die Nachricht von seinem Tod kam. Nach dem, was ich den Medien entnommen habe, starb er bei einem Gefecht mit der türkischen Armee in Heftanin. Er ist dem Leben gerecht geworden. Er liebte das Leben so sehr, dass er bereit war, dafür zu sterben. Unsere Aufgabe ist es, sein Andenken am Leben zu erhalten.