Erstmals in der Bundesrepublik wurden die Arbeiten der Filmkommune Rojava im Rahmen von Filmtagen in Hamburg gezeigt. Organisiert wurden die Rojava-Filmtage vom Antifa Enternasyonal Café gemeinsam mit der Roten Flora und dem Drehbuchautor Önder Çakar, der selbst Mitglied der Kommune ist.
Die Filmkommune in Kobanê wurde 2015 gegründet und bildet seitdem Drehbuchautor*innen, Regisseur*innen und Filmemacher*innen aus. Ihr Ziel ist es, dem elitären Kino ein populäres Kino entgegenzusetzen, in dem sich die Menschen einander ihre Geschichten erzählen können. Neben dem kulturellen Austausch liegt ein weiterer Fokus auf der Perspektive der Frauen und der Unterdrückten. Kurdisch, das jahrzehntelang in Syrien verboten war, wurde erstmalig zur Kinosprache.
Die Organisatoren zeigten sich über den Verlauf der Filmtage sehr erfreut. Die Beteiligung war an allen vier Tagen durchgängig hoch. Zudem kamen Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen in der Roten Flora im Hamburger Schanzenviertel zusammen, was zu einem wertvollen Austausch führte. Auch die Zuschauer*innen zeigten sich begeistert, interessiert und offen. Das Medium des Films schafft es besonders gut, unterschiedliche Arten des Zugangs herzustellen. Die Bildsprache, die Musik und die Geschichten der Filme waren alle von hoher Qualität. Aber eben auch die Realität, die allen Arbeiten zugrunde liegt, prägte die Zuschauer*innen stark.
Zum Abschluss der Filmtage fand am Samstag zusätzlich ein Solidaritätskonzert statt. Martin Dolzer spielte mit seiner Band in den Räumen der Roten Flora.
Die Organisatoren freuen sich im Übrigen, wenn die Filmtage auch in anderen Städten laufen können, um dem Wunsch der Filmkommune nachzukommen. Bei Interesse oder sonstigen Fragen kann man sich über die folgende Mailadresse melden: [email protected].
Nach den Filmtagen haben wir mit Önder Çakar von der Filmkommune Rojava gesprochen. Der Filmemacher stammt aus der Türkei, war mit Sakine Cansiz zusammen im Gefängnis, hat den Gezi-Aufstand in Istanbul miterlebt, wurde im Kampf um Kobanê schwer verletzt und hält sich momentan in Hamburg auf. Sein Lebensmittelpunkt ist jedoch weiter Rojava.
Kannst du dich zunächst einmal kurz vorstellen? Woher kommst du, welchen Hintergrund hast du?
Ich bin ein Filmemacher und Drehbuchautor aus der Türkei und habe mehrere Filme produziert. In der Art des Neuen Kinos haben wir damals in Istanbul ein Kino-Kollektiv gegründet und zwölf Filme produziert, für welche ich die Drehbücher geschrieben habe. Zum Beispiel machten wir die Filme „Gemide – Auf dem Schiff“, „Eine Heilige in Laleli“, „Offside“, „Takva: A Man’s Fear of God“. Viele dieser Filme haben auf internationalen Festivals Preise bekommen. Es waren alles alternative Filme zum System. Gegenwärtig ist die Arbeit in Istanbul zum Stillstand gekommen, da das Erdoğan-System jeden Winkel kontrolliert und auch in allen kulturellen Bereichen, wie dem Kino, bestimmt. Unsere Freundinnen und Freunde in der Türkei, die geblieben sind, führen dort natürlich einen Kampf um die Hoheit, um die Hoheit der Alternative, um diese auch weiter zu entwickeln. Vor acht Jahren gab es in Istanbul ein Kino, das Emek Kino, das aufgrund der Gentrifizierung hätte dicht gemacht werden sollen. Wir haben damals mit verschiedenen Gruppen, mit feministischen, anarchistischen, allen möglichen Gruppen versucht, gegen die Stadtverwaltung der AKP Widerstand zu leisten. Aus dieser Bewegung heraus ist dann die Gezi-Park-Bewegung. entstanden. Die Filmschaffenden haben sowohl beim Kampf um das Emek Kino als auch im Kampf um den Gezi-Park in vorderster Reihe gekämpft. Unsere Kollektive haben von Anfang an an den Protesten teilgenommen.
Nach dem Gezi-Aufstand begannen die Angriffe des IS auf Kobanê; es war auch Erdoğans Sohn, der den IS hat angreifen lassen. Als die Verteidigung von Kobanê im Gange war, haben wir als Kollektive dazu aufgerufen, nach Kobanê zu gehen und sich an der Verteidigung zu beteiligen. Wir riefen nicht dazu auf, dass man dorthin geht, um Filme zu machen oder über das Geschehen zu berichten, sondern dass es die Zeit sei, nach der Waffe zu greifen und Kobanê zu verteidigen. Von unseren Kollektiven habe ich mich bereit erklärt, mich daran zu beteiligen, eben wie es in unserem Aufruf stand. Also bin ich nach Kobanê an die Grenze. Es gab viele weitere Filmschaffende, die auch dazu bereit waren. Wir haben vor Kobanê, noch in der Türkei, unser Zelt aufgebaut unter dem Namen „Widerstand leistende Filmschaffende“. Wir mussten warten, bis wir uns dann in Kobanê an der Verteidigung beteiligten durften, weil diejenigen, die Kurdisch konnten oder jünger waren, schneller über die Grenze kamen. 49 Tage mussten wir warten, bis wir hinüber durften. In Kobanê wurde damals unter sehr schweren Bedingungen Widerstand geleistet. In diesem Krieg ging um Tod oder die Rettung von Kobanê und bei diesem Widerstand bin ich sehr schwer verletzt worden. Ich war auf der Intensivstation in Diyarbakir, nach einem Monat wurde ich nach Istanbul geflogen und war danach noch viele Monate in stationärer Behandlung. Und als ich noch verletzt herumlag, geschah etwas ganz Großes: Kobanê wurde befreit. Als ich im Krankenhaus lag, haben mir meine Freunde aus Kobanê das live mitgeteilt, so hatte ich die Ehre, es sofort zu erfahren. Und kurze Zeit danach wurde mir gesagt, dass in Kobanê eine Filmschule eröffnet werden sollte und ich wurde gefragt, ob ich bereit wäre, dort zu unterrichten und die Kommune mit aufzubauen. Ich habe sofort ja gesagt. Natürlich habe ich ja gesagt. Und dann bin ich nach meiner Genesung sofort zurück nach Kobanê gegangen. Ich war dann nach Rojava, habe dort mitgewirkt, Filme mitproduziert, Filme gemacht. Jetzt bin ich vorübergehend für ein Projekt in Hamburg, aber ich gehöre dorthin, ich bin ein Filmschaffender aus Rojava.
Was war deine Motivation für die Mitarbeit in der Filmkommune?
Es sollte eine Akademie gegründet werden, die „Akademiya Şehîd Yekta Herekol“. Ich bin dorthin gegangen, um diese Akademie mit aufzubauen und so entstand mit den Menschen dort die Idee einer Filmkommune. Wir haben dann in Rojava nach Menschen gesucht, die etwas mit Filmen zu tun hatten. Wir stellten fest, dass es viele Menschen gibt, die sich mit Filmen beschäftigen. Es waren ja auch Menschen aus allen Teilen Kurdistans dort, die zur Verteidigung gekommen waren, und viele haben eben auch etwas von Film verstanden. Auch unter den Internationalist*innen waren viele, die etwas damit zu tun hatten. So haben wir mit 36 Menschen, die alle auf eine andere Art in der Lage waren, im Bereich Film zu arbeiten, die Filmkommune gegründet. Es ist keine Kommune, in der nur gemeinsam Filme gemacht wurden, wir haben auch zusammen gelebt und unser Leben gemeinsam gestaltet. Wir sind unabhängig und konnten unabhängig arbeiten. Wir haben alle zusammengelebt, zusammen produziert, und wenn wir ein Projekt hatten, sind wir für Unterstützung nicht zum Kulturministerium oder irgendeiner Behörde gegangen, sondern zum Volksrat. Der Volksrat hat uns dann eine gewisse Summe zur Verfügung gestellt, manchmal wenig, manchmal mehr. Und mit diesen Mitteln haben wir dann versucht, Filme zu machen. Wir haben nicht unsere Projekte beworben, die hat niemand gelesen, sondern wir haben gesagt, als Kommune brauchen wir die und die Mittel für dieses Projekt, diesen Film. Aber wir waren auch Teil des Lebens, wir waren auf dem Land, haben Felder bestellt, wir waren an der Front, alle von uns haben dort gekämpft, und gleichzeitig haben wir Filme gemacht.
Wir haben ein Gründungsmanifest veröffentlicht. Das kann man auf der Seite der Kommune nachlesen. Wir hatten drei Ziele: Das erste, Filme, die andere gemacht haben, ins Kurdische zu übersetzen, weil bis dato dort die Kurden noch nie einen Film in ihrer Muttersprache gesehen hatten. Deshalb haben wir sehr viele Filme, die weltweit gemacht wurden, übersetzt und gezeigt. Das zweite Ziel war, in Rojava selbst Filme zu machen. Und das dritte, Menschen zu Filmschaffenden auszubilden.
Was bedeutet Filmkommune? Was ist das Besondere daran?
Es ist das Zusammenleben der Menschen, die diese drei Ziele hatten, die ich beschrieben habe. Also das kommunale Leben, um diese Ziele zu erreichen. Wir waren alle für uns selbst verantwortlich, hatten eine eigene Selbstverteidigung, ein eigenes Leben. In Gebieten, die befreit wurden, waren wir die ersten, die das aufgenommen und darüber berichtet haben. Wir ließen uns auch dazu ausbilden, wie wir uns selbst verteidigen konnten, denn wir waren immer Zielscheiben. Wo immer wir Kameras und Mikros in der Hand hatten, mussten wir uns auch selbst verteidigen. Wir haben unsere Aktivitäten fortgeführt, während der Krieg weiterging, an allen Fronten wurde gekämpft. Manchmal ging der Krieg in der Türkei los, manchmal in Kerkuk, manchmal in Efrîn. In Nordsyrien gegen den IS, in Minbic, Tabqa… Viele aus unserer Kommune arbeiteten dann auch bei den YPG in der Presseabteilung. Wir haben an der „Şehîd Yekta Herekol“-Akademie zunächst zwölf Menschen ausgebildet. Ich hatte zwölf Schülerinnen und Schüler, die elf Kurzfilme gedreht haben. Zwei davon haben wir in der Roten Flora gezeigt. Und dann gab es noch einen Film, der hieß 12x1. Das war ein Film über unsere zwölf Schüler*innen, darüber, wie sie eine gemeinsame Sache gemacht haben. Von den zwölf Schüler*innen sind acht gefallen. Und das ist nicht auf einmal, sondern nacheinander passiert. Sie sind nacheinander gefallen. Gesellschaftlich gesehen leiste ich dagegen Widerstand, aber für mich persönlich ist das sehr schmerzhaft, weil ich nach und nach alle meine Schüler*innen verliere. Das war eine sehr schwere Zeit für alle Mitglieder der Kommune. Aber wir haben weiter gearbeitet, weiter Menschen ausbildet. Wir haben einen zweiten Lehrgang eröffnet, daran haben acht Schüler*innen teilgenommen. Beim dritten Lehrgang waren es zehn. Wir machen unsere Bildungsarbeit ununterbrochen weiter, das führen wir fort und zeigen auch weiter Filme. Seit zwei Jahren veranstalten wir auch das Filmfestival Kobanê. Zuerst zeigten wir Charlie Chaplin, daraus ist danach das Festival entstanden. Beim ersten Mal gab es 460 Bewerbungen, davon haben wir 80 Filme gezeigt. Das Festival hatte keinen festen Standort, sondern fand überall statt, auch in kleinen Dörfern. Wir haben auch Menschen unterstützt, die aus dem Ausland kamen und in Rojava Filme machen wollten, beispielsweise wenn sie etwas Technisches gebraucht haben. Sie machten ihre Filme selbstbestimmt. Das andere war, dass wir selbst Filme gemacht haben, solche wie wir in der Roten Flora gezeigt haben.
Welche Rolle nimmt die Filmkommune deiner Meinung nach innerhalb der Revolution in Rojava ein?
Das ist eine sehr schwere Frage. Für die Menschen aus der Kommune ist die Revolution von Rojava sehr wichtig. Es gibt in dieser Revolution so viel, was wir verloren oder was wir von uns hineingesteckt haben. Die Revolution ist sehr groß, die können wir nicht bemessen. Es ist eine andere Freiheit und die Kommune ist etwas viel bescheideneres. Die Kommune wagt es noch nicht einmal, sich als ein Teil der Revolution zu bezeichnen, sondern strebt vielmehr an, der Revolution zu dienen, etwas beizutragen. Ganz persönlich möchte ich etwas dazu sagen: seit ich 15 Jahre alt bin, habe ich an der revolutionären Bewegung in der Türkei teilgenommen, ich war im Gefängnis, bin gefoltert worden. Dann war ich in Rojava und eigentlich habe ich erst dort begriffen, dass das, was wir Revolution nennen, eigentlich eine Energie ist. Es ist die Energie dafür zu sorgen, dass jeder ein Teil dessen, aber jeder auch selbst ein Teil dessen ist. Trotz Unterschieden, anderen Denkweisen, daran Anteil zu haben, die eigene Freiheit darin zu entdecken. Und die Kommune trägt eben dazu bei, dass diese Energie weiterlebt. Das ist meine Sicht, so sehe ich das.
Wie waren die Reaktionen auf eure Filme in Europa bisher? Gab es unterschiedliche Reaktionen in anderen Teilen der Welt?
Also wir sind da auf interessante Probleme gestoßen. Zum Beispiel haben wir in der Roten Flora einen Film gezeigt, „Die Geschichten der zerstörten Städte“. Mit diesem Film haben wir uns auf allen Festivals in Europa beworben. Wir haben dafür viel Geld ausgegeben, alleine für die Bewerbung Tausende Euro, aber kein Festival hat diesen Film angenommen. Aber wir haben den Film auch auf lateinamerikanische Festivals geschickt. Beim Filmfestival in Mexiko beispielsweise haben wir einen Preis bekommen, „Bester Film“ in der Kategorie „Erste Filme“. Beim Filmfest in Kolumbien haben wir einen Sonderpreis bekommen. Auch in Indien wurden wir ausgezeichnet. Aber in Europa wurde kein Film überhaupt erst angenommen. Wir haben beispielsweise die Reaktion bekommen, dass in unserem Film „bewaffnete Terroristen“ vorkommen, deshalb wurde er abgelehnt. Aber wir lieben unsere Filme. Wir haben uns entschieden, dass wir eben nicht zu den Filmfestivals gehen, sondern dass wir das tun, was eben auch zu Rojava passt, also eben an freie Orte zu gehen, wo wir unsere Filme zeigen können. Zuallererst sind wir nach Griechenland gegangen, zu griechischen Anarchisten, und haben die Filme in besetzten Häusern gezeigt. Und anschließend in der Roten Flora. Uns geht es nicht nur darum, unsere Filme zu zeigen, sondern wir wollen auch eine Verbindung zu Rojava herstellen und unsere Arbeit dort auch mit den Kritiken von hier beleben, zum Beispiel indem wir Live-Schaltungen machen. Die Kommune will eben wissen, wie der Film beim Zuschauer ankommt. Und will auch seine Meinung hören, deshalb machen wir die Live-Schaltungen nach Rojava, um dem alternativen Film Leben zu geben. Wir haben auch die Filme an einigen Universitäten gezeigt und in Museen Ausstellungen über die Filmkommune gemacht. An einigen habe ich mich beteiligt. Wir wurden gefragt, wie die Filmkommune unterstützt werden kann. Ich nannte ihnen die zwei schnellsten Wege: erstens, sie sollen sich die Filme anschauen und zweitens, wenn sie selbst etwas produzieren, diese hinschicken, damit ein Austausch stattfinden kann.
Wie bewertest du diese ersten Filmtage hier in Hamburg?
Ich war darüber, wie es in der Roten Flora gelaufen ist, sehr glücklich. Sowohl über die hohe Beteiligung als auch über die Qualität derjenigen, die dorthin kamen. Wir haben damit neue Freunde entdeckt, es gab Menschen, die bis dahin noch nichts über Rojava wussten, jeden Tag kamen und zu Stammgästen wurden. Diesen Geist, diese Menschen wollten wir erreichen und mit ihnen in den Austausch kommen. Deshalb bin ich seit einigen Tagen sehr glücklich. Wir wollen die Filme allen Menschen zeigen, alle erreichen, ich kenne mich mit den Bedingungen des Filmbetriebs in Deutschland nicht aus, aber wir sind bereit, diese überall dort zu zeigen, wo Menschen sie sehen wollen. Deshalb sprechen wir freie Räume und freie Menschen an, um diese Filme weiter zu zeigen.