Es passiert immer wieder: Hausbesuch im Morgengrauen. Martialisches Auftreten, das auch ohne Worte signalisiert: Wir sind die Staatsmacht. Wir kommen, um dich fertig zu machen. Wir sind delegiert, ein „Recht“ durchsetzen, das uns der Staat verliehen hat. Das heißt, wir dringen ein in dein Leben, durchwühlen deine Privatsphäre, nehmen mit, was wir meinen, gegen dich verwenden zu können, nehmen am Ende dich mit. Am Schluss werden Protokolle angefertigt. Sie sollen den Schein einer „Rechtsstaatlichkeit“ wahren.
Für Kurd:innen ist dies Alltag. Viele sind damit aufgewachsen, kennen dies aus ihrem Leben in der Türkei. Dort gerne garniert mit physischer Gewalt, dafür ohne Protokoll. Europa, so dachten viele, verspricht Sicherheit und Schutz. Sie haben sich geirrt.
Es passiert immer wieder – überall in Deutschland und zuletzt in Nürnberg, Esslingen und Heilbronn. Kurd:innen werden aus ihrem Alltag gerissen, mitgenommen, weggesperrt. Dann werden ihnen Jahre des Lebens gestohlen. Die Ermittlungsbehörden zählen die „Straftatbestände“ auf: Eine minutiöse Auflistung, an welcher genehmigten Kundgebung sie angeblich teilgenommen haben, wer wen wann besucht hat. Küchenabrechnungen, Quittungen über Spenden an Hilfsorganisationen müssen als Beweise für „finanzielle Transaktionen“ herhalten. Später werden die Gerichte feststellen, es liege „keine individuelle Schuld“ vor. Alles, was die Ermittler aufgelistet hatten, stellt sich als banal heraus. Tausende Seiten von Akten als Beweis für „gefährlichen Terrorismus“ haben ein einziges Ziel: Das Engagement für eine Befreiungsbewegung zu diskreditieren und mittels angenommener Tätigkeit für die PKK die Aufrechterhaltung der Verfolgungspraxis nach außen hin irgendwie zu begründen.
1993 erließ Bundesinnenminister Kanther die Verbotsverfügung gegen die Betätigung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in Deutschland. 2010 entschied der Bundesgerichtshof eine Strafverfolgung der PKK nach § 129b StGB mit der Besonderheit, dass hier das Bundesjustizministerium die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt, die weder begründet sein muss noch juristisch überprüfbar ist. Diese „Verfolgungsermächtigung“ ist ein Freibrief für die Kriminalisierung aller Aktivitäten der PKK und zwingt sie in die Illegalität. Dass sich das Paradigma der Bewegung im Laufe der Jahre geändert hat, wurde ebenso wenig zur Kenntnis genommen wie der Wandel der türkischen Regierungen. Entscheidend sind jeweils die bilateralen Beziehungen zur Türkei und die damit verbundenen außenpolitischen Interessen der BRD.
Seitdem sind immer wieder Wellen der Verfolgung zu beobachten. Meist stehen sie im Zusammenhang mit vorherigen Konsultationen deutscher und türkischer Politiker, bei denen die jeweiligen Interessen abgesprochen werden. Beide Seiten wollen etwas voneinander – Stichpunkte: Bindung an die NATO, Flüchtlingsabwehr, Waffengeschäfte, Zollunion, Investitionen, Geldtransfer und so weiter. Immer mit dabei ist die Forderung der türkischen Regierung nach Unterstützung im „Kampf gegen den Terror“, wie die erbetene Zustimmung zu den Angriffen auf die kurdische Freiheitsbewegung umschrieben wird. Unterstützung meint hier: Schweigen zu Invasion, Besatzung und Kriegsverbrechen des türkischen Militärs in verschiedenen Teilen Kurdistans und parallel dazu die aktive Verfolgung der PKK und ihrer Sympathisant:innen in Deutschland.
Das ist dann der große Augenblick der Heerscharen von Ermittlern in den Landeskriminalämtern und beim Verfassungsschutz. Ihre Daseinsberechtigung wird jetzt bestätigt. Die über Monate und Jahre hinweg akribisch gesammelten Banalitäten erfahren Aufmerksamkeit, und etwaige Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Jobs der Überwacher verfliegen. Das System funktioniert und wurde mittlerweile zur Routine. Mit Textbausteinen wird die Gefährlichkeit der Person X oder Y „nachgewiesen“. Es ist nur ein Job. Dass man sich zum Büttel eines Staatsapparats macht, der in diesem Fall interessengeleitet eine islamo-faschistische Diktatur unterstützt, wird im Überwachungsalltag ausgeblendet. Bürokraten erledigen die ihnen zugewiesene Arbeit und werden nicht dafür bezahlt, über den Sinn oder die Folgen ihrer Arbeit nachzudenken. Den Mut, Fragen zu stellen oder Anweisungen zu widersprechen, darf man nicht erwarten.
Wird es deshalb immer wieder passieren, dass Kurd:innen, die sich für Kurd:innen engagieren, die türkische Kriegspolitik anprangern und für Selbstbestimmung, Freiheit und eine demokratische Lösung eintreten, im Morgengrauen aus ihrem Leben gerissen werden? Die Antwort ist leider ein „ja“, wenn es nicht gelingt, massenhaft zu intervenieren – in der Öffentlichkeit, der Politik, den Medien. Die Rolle Deutschlands zum AKP/MHP-Regime muss endlich diskutiert und damit auch das Verbot der PKK revidiert werden. Vielleicht ist es naiv, auf eine Wende der deutschen Außenpolitik zu bauen, doch sich damit abzufinden, dass immer wieder Freund:innen abgeholt werden, ist auch keine Lösung.